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Prüfung der 2011er Prognosen: China, Deutschland, USA (Teil 1/2)

17.10.2013
Seit Beginn der globalen Finanzkrise in den Jahren 2007-2008 vertrete ich die Auffassung, dass die Krise in erster Linie ein Folge der globalen Handelsungleichgewichte war, die durch strukturelle Besonderheiten erzeugt wurden und zu schweren Ungleichgewichten in der Spartätigkeit Chinas, der USA und des europäischen Raumes geführt hatten. Mein Modell beschreibe ich in meinem jüngsten Buch The Great Rebalancing: Trade, Conflict, and the Perilous Road Ahead for the World Economy [1] (Princeton University Press).

Die aktuelle Krise weist in dieser Hinsicht viele Merkmale auf, die auch fast allen anderen globalen Krisen der letzten 200 Jahre eigen waren; sie wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach auch auf ganz ähnlichen Wegen auflösen - und zwar durch eine Abfolge von Ausfällen oder Neustrukturierungen von Staatsschulden, die sich aber nicht nur auf eine Reihe europäischer Staaten beschränken werden. Alle “Globalisierungszyklen“ der letzten 200 Jahre haben mit ausgedehnten Staatsschuldenausfällen geendet, mit Ausnahme jenes Zyklus, der im ersten Weltkrieg endete. In diesem Fall sorgte der Krieg für horrend steigende Rohstoffpreise und starke Einschränkungen im Export europäischer Industriegüter, zwei Faktoren, die den damaligen Schwellenländern von größter Hilfe waren. Das ist möglicherweise auch der Grund, warum allein jener "Globalisierungszyklus" nicht in einem massiven Staatsschuldenausfall endete.

[Mehr zum Thema hören Sie hier: Martin Armstrong: The US Is the Beneficiary of Foreign Crises - Follow the Capital Flows]

Noch eine Randinformation, für die, die es interessiert: Meiner Einschätzung dürfte die erste “moderne“ globale Schuldenkrise Mitte der 1820er Jahre in Großbritannien begonnen haben. Bis 1825 hatte sie Südeuropa und Lateinamerika erfasst (die erste in einer langen Reihe lateinamerikanischer Staatsschuldenkrisen). In den 1830ern griff sie auch auf die USA über, wo einige US-Bundesstaaten bankrottgingen, zu denen ganz überraschend auch Pennsylvania zählte, das zu dieser Zeit einer der reichsten US-Staaten war und auch zu den reichsten Wirtschaftsräumen der Welt zählt.

Andere vertreten die Auffassung, die erste wahrhaftig globale Schuldenkrise wäre im Mai 1873 von Wien ausgegangen und hätte anschließend auf den Rest der Welt übergegriffen, wo sie durch die US-Eisenbahnkrise von 1873 bis heute bekannt wurde. Die Krise der 1930er, die große Teile Europas, Lateinamerikas und eine Anzahl anderer Staaten betraf, war ohne jeden Zweifel eine globale Krise, die in vielen Hinsichten der heutigen Krise am nächsten kommt. Ich würde zudem noch die Krisen der 1890er und der 1980er in meine Liste der globalen Schuldenkrisen aufnehmen. Ohne den Eindruck erwecken zu wollen, ich würde in diesem Artikel mit meinen Büchern hausieren gehen, möchte ich nur darauf verweisen, dass ich in einem meiner früheren Bücher all diese Finanzierungswellen und die darauf folgenden Krisen beschrieben habe. (The Volatility Machine: Emerging Economies and the Threat of Financial Collapse, Oxford University Press, 2001.)

In den ersten drei oder vier Kapitel dieses Buches gehe ich auf die geschichtlichen Hintergründe jeder dieser Perioden ein. Ich versuche zudem aufzuzeigen, dass es nicht nur, oder nicht hauptsächlich, die fundamentalen Veränderungen in den Empfängerwirtschaften waren, die das Wirtschaftswachstum vorangetrieben hatten (oder aber der politische Prozess ökonomischer Reformierung), sondern dass auch exogene Veränderungen in der globalen Liquidität den zeitlichen Rahmen dieses Prozesses bestimmten. Wie ich in meinem Buch schreibe, legt das unter anderem eines nah: Bei der Prognose der Wirtschaftsleistung einzelner Staaten (einschließlich der Richtung und Geschwindigkeit ökonomischer Reformen) ist ein Verständnis für die externen Liquiditätsbedingungen wahrscheinlich mindestens von genauso großer Bedeutung wie die Bewertung der binnenstaatlichen Wirtschaftspolitik (etwas, das uns das vieldiskutierte “Tapering“ der Fed wieder in Erinnerung bringen könnte).

Falls mein Denkmodell der globalen Ungleichgewichte die Quelle der Krise korrekt beschreibt, so ergibt sich aus diesem Modell natürlich auch eine ganze Reihe von “Vorhersagen“. Das Modell hatte ich in zahlreichen Newslettern erörtert und vor zwei Jahren - 2011 - auch in Form von 12 “Vorhersagen“ zusammengefasst. Diese Vorhersagen waren folgende:

  • Die BRICs und andere Schwellenländer haben sich nicht ausschlagebend von der entwickelten Welt abkoppeln können; sobald der aktuelle liquiditätsgetriebene Investment-Boom abebbt, werden die Schwellenländer dies schwer zu spüren bekommen.

  • Innerhalb der nächsten zwei Jahre wird der Konsum der chinesischen Haushalte anteilig am BIP weiter sinken.

  • Die Höhe der chinesischen Verschuldung wird dieses und nächstes Jahr schnell weiter wachsen.

  • Das chinesische Wirtschaftswachstum wird sich in den Jahren 2013-14 deutlich abkühlen und sich noch deutlich vor dem Ende des Jahrzehnts bei durchschnittlich 3% einpegeln.

  • Sollte sich die chinesische Zentralbank im Umfeld rückläufiger Inflation dagegen wehren, die Zinsen zu senken, könnte die Wirtschaftsaktivität Chinas sogar schon 2012 zu sinken beginnen.

  • Rückläufiges BIP-Wachstum wird die Investitionstätigkeit überproportional beeinflussen und so auch die Nachfrage nach Non-Food-Erzeugnissen.

  • Deutlich sinkendes Wachstum in China wird im Inland nicht zu sozialen Unruhen führen, falls China gegensteuert und umstrukturiert.

  • Innerhalb von drei Jahren wird Peking im Rahmen von Umstrukturierungsmaßnahmen ernsthaft großangelegte Privatisierungen in Betracht ziehen.

  • Die europäische Politiklandschaft wird sich zunehmend verschlechtern, die großen politischen Parteien werden sich entweder immer stärker radikalisieren oder marginalisiert werden.

  • Spanien und verschiedene andere Länder, vielleicht sogar Italien (wahrscheinlich aber nicht Frankreich) werden zum Austritt aus dem Euro und zu einer Umschuldung (mit deutlichen Schuldenerlässen) gezwungen.

  • Deutschland wird sich hartnäckig weigern, den Löwenanteil der Lasten des europäischen Anpassungsprozesses zu tragen; die darauf folgende Vergeltung der Defizitländer wird dazu führen, dass das deutsche Wirtschaftswachstum für viele Jahre auf null oder in den negativen Bereich sinkt.

  • In den USA wird die Befürwortung von Handelsprotektionismus unaufhaltsam steigen; die Arbeitslosigkeit wird auf viele Jahre hinweg hoch bleiben.

Es soll noch eine letzte "Vorhersage" hinzugefügt werden, welche nicht in dieser Liste stand, aber hier her gehört, nämlich dass die USA die erste große Wirtschaft sein werden, die aus der Krise von 2007-08 hervorgeht und China möglicherweise die letzte, obgleich sich Europa von China dahingehend nicht so leicht unterkriegen lassen könnte.




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