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Zahlmeister Deutschland unter Druck

12.07.2015  |  Manfred Gburek
So verrückt kann die Börse sein: Da verlangt ein griechischer Frechdachs von den Gläubigern seines Landes mal eben 53,5 Milliarden Euro, um in den kommenden drei Jahren die Schulden abstottern zu können; dafür verspricht er vage Reformen - und die Börsianer jubeln. Dabei muss Griechenland bis zum 20. Juli dieses Jahres, also in wenigen Tagen, noch 3,5 Milliarden Euro an die EZB zurückzahlen, wahrlich kein Grund zum Jubeln.

Dennoch: Alles läuft auf einen Kompromiss hinaus, und das sieht man an der Börse positiv. Warum, ist wohl nur dadurch zu erklären, dass man sich sagt: besser ein Kompromiss zulasten deutscher Steuerzahler – Deutschland ist der größte Gläubiger Griechenlands - als ein Crash zulasten der Börsianer für den Fall, dass es zum Grexit käme, zum Austritt der Griechen aus der Eurozone.

Das Ganze hat auch eine enorme politische Dimension: Christine Lagarde, Chefin des von den USA beherrschten Internationalen Währungsfonds (IWF), drängt Deutschland, einer Umschuldung bzw. einem Schuldenschnitt Griechenlands zuzustimmen (sie spricht von Restrukturierung). Pikant daran ist, dass es ausgerechnet die deutsche Kanzlerin war, die sich ursprünglich für die Einmischung des IWF in die europäische Krisenbewältigung stark gemacht hatte. US-Präsident Barack Obama schickte seinen Finanzminister Jack Lew vor, um Deutschland die Leviten zu lesen.

Diverse amerikanische Professoren halfen dabei mit abenteuerlichen Gedankenspielen. Den Gipfel leistete sich indes der ehemalige US-Finanzminister Lawrence Summers, als er neulich in einer Konferenz der Neuen Zürcher Zeitung in Bern seiner Phantasie mit der folgenden Bemerkung freien Lauf ließ: "Ich fürchte, dass wir in fünf Jahren den Juni 2015 so sehen werden, wie wir heute den Juli 1914 sehen." Bekanntlich brach damals mit der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien der verheerende Erste Weltkrieg aus.

Da fällt mir ein Bonmot ein, das ziemlich genau das Gegenteil besagt. Es stammt vom früheren "Le Figaro"-Chefredakteur Franz-Olivier Giesbert. Ich habe es unter anderem im 1993 erschienenen Buch „Das Maastricht Dossier“ von Bruno Bandulet gefunden: "Maastricht, das ist der Versailler Vertrag ohne Krieg." Warum Gegenteil? Weil Summers mit seiner Bemerkung offenbar zum Ausdruck bringen wollte, dass Europa in eine Katastrophe hineinschlittern dürfte, falls der Konflikt um Griechenland eskalieren würde.

Und weil Giesbert die in Maastricht beschlossene Beteiligung Deutschlands an der Währungsunion als ebensolche Schmach interpretierte wie den Versailler Knebelvertrag von 1918, den das Deutsche Reich nie und nimmer einhalten konnte. Die Folgen sind bekannt, sie mündeten schließlich in den Zweiten Weltkrieg. Kurzum, aus dem aktuellen Konflikt wird Deutschland als Zahlmeister Europas hervorgehen - und wahrscheinlich auch darüber hinaus, wenn man die Aussagen unserer Verteidigungsministerin richtig interpretiert.

Ein Entrinnen ist kaum möglich, obwohl Finanzminister Wolfgang Schäuble tapfer dagegenhält, indem er Sätze wie diesen sagt: "Wer die europäischen Verträge kennt, weiß, dass ein Schuldenschnitt unter das Bailout-Verbot fällt." Er ist sich darin zwar mit der Kanzlerin einig, aber das ist es auch schon. Einigkeit mit den Franzosen, Italienern oder gar Griechen? Höchstens in Sonntagsreden. Bailout bedeutet Schulden- bzw. Haftungsübernahme. Sie wird kommen, kaschiert und damit für breite Bevölkerungskreise - sprich Wähler - nicht auf Anhieb erkennbar. So funktioniert Politik nun mal.

Doch was ist mit den europäischen Verträgen? Sie waren von Beginn an nicht eindeutig. Bandulet bezeichnet den Maastricht-Vertrag, Ursprung und eigentliches Herzstück der Währungsunion, als "verworren und kompliziert. Ganz gelesen hat ihn wohl keiner der in Maastricht versammelten Staatsmänner, sonst wäre ihnen aufgefallen, dass sich einige Artikel widersprachen. Der Text wurde später in aller Heimlichkeit bereinigt und am 7. Februar 1992 offiziell unterzeichnet."

Die Bundesregierung scheint also schlechte Karten zu haben, wenn sie mit den europäischen Verträgen argumentiert. Oder doch nicht? Steigen wir einfach mal in die Niederungen des bereits 1957 entstandenen, später substanziell modifizierten "Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union" (AEUV). Er ist Teil einer Sammlung von Verträgen, Protokollen, Richtlinien und sonstigen Bürokratiemonstern, die allein in der aktuellen dtv-Taschenbuchausgabe "Europa-Recht" 755 eng bedruckte Seiten füllen. Artikel 125 AEUV beschäftigt sich mit Haftungsausschlüssen. Bitte urteilen Sie anhand der folgenden Passagen aus diesem Artikel selbst, ob die Bundesregierung gute oder schlechte Karten hat:

"Ein Mitgliedstaat haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen eines anderen Mitgliedstaats und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein; dies gilt unbeschadet der gegenseitigen finanziellen Garantien für die gemeinsame Durchführung eines bestimmten Vorhabens."

Dann folgt ein besonders interessanter Passus: "Der Rat kann erforderlichenfalls auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments die Definitionen für die Anwendung der … in diesem Artikel vorgesehenen Verbote näher bestimmen." Also eine Art Arbeitsbeschaffungsprogramm für Bürokraten, auslegbar nach Gusto und als Hilfe für die Bewältigung der jetzigen heißen Phase der vermeintlichen Griechenland-Rettung absolut untauglich. Denn auf dieser wackeligen Basis können bestenfalls Rechtsverdreher viele Gutachten erstellen und sich dabei eine goldene Nase verdienen; dagegen taugt Artikel 125 AEUV in der aktuellen Rettungs-Schlammschlacht nichts.

Um auf den Anfang und damit auf den Jubel der Börsianer zurückzukommen: Dahinter verbirgt sich die Erwartung, dass alles halb so schlimm enden und dass die Börse vonseiten der Zentralbanken weiter mit Liquidität überschüttet werde. Eine Börse eher für Spieler, die geopolitische Risiken (Ukraine, Russland, Baltikum, Japan/China u.a.) einfach ausblenden. Dagegen nehmen Anlagestrategen jetzt lieber ihre üppigen Gewinne mit und horten möglichst viel eigene Liquidität.


© Manfred Gburek
www.gburek.eu

Herr Gburek ist Fachjournalist und Buchautor. Seine letzten Werke waren: Außer diversen Börsenbüchern schrieb er: "Das Goldbuch", das Wörterbuch "Geld und Gold klipp und klar von A bis Z", "Die 382 dümmsten Sprüche der Banker" und zuletzt das Ebook "Ach du liebes Geld!".



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