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"ANFA". Oder: Wie mit dem Euro umverteilt wird

20.12.2015  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
"ANFA" steht für das, was die EZB-Geldpolitik im Kern ausmacht: Sie sorgt für eine weitreichende Umverteilung im Euroraum.

Es sollte geheim bleiben, nun ist es aber doch zutage befördert worden: Die 19 Zentralbanken des Eurosystems haben heimlich mit der Europäischen Zentralbank (EZB) einen Vertrag geschlossen, der Obergrenzen für den Erwerb von Wertpapieren festlegt, die nicht direkt im Zusammenhang mit der Geldpolitik stehen. Dieses Abkommen heißt "ANFA" (und steht für die englische Abkürzung für "Agreement on Net Financial Assets"). Es erlaubt, dass eine nationale Zentralbank beispielsweise nationale Staatsanleihen im Kapitalmarkt kauft und mit neu geschaffenen Euro bezahlt. Was ist davon zu halten?

Die EZB-Geldpolitik besteht im Kern darin, dass die nationalen Zentralbanken dem Bankensektor neues Euro-Geld bereitstellen, indem sie Wertpapiere kaufen oder beleihen. Als Daumenregel gilt dabei: Je höher die Käufe einer nationalen Zentralbank ausfallen, desto geringer müssen die Käufe anderer nationaler Zentralbanken sein. Ansonsten würde ja die Euro-Geldmenge zu stark anschwellen. Weiterhin lässt sich sagen: Je höher die Nachfrage nach den Staatsanleihen ausfällt, desto stärker werden die Kurse der nachgefragten Papiere ansteigen und folglich ihre Renditen absinken.

Anders gesprochen: Die Käufe von Wertpapieren senken die Zinskosten der Schuldner herab, und zwar unter das Niveau, das vorherrschen würde, wenn die Zentralbank keine Papiere kaufen würde. Das bedeutet, dass nationale Zentralbanken, die kräftig Gebrauch machen von den im ANFA-Abkommen erlaubten Wertpapierkäufen, ihre landeseigene Regierung und ihre Wirtschaft subventionieren. Dem stehen entsprechende Nachteile für die Länder gegenüber, in de-nen die Zentralbanken davon absehen, Staatsanleihen zu kaufen, also keine monetären Subventionen vergeben.

Es kommen weitere Umverteilungswirkungen hinzu. Dazu muss man wissen, dass ein Ausweiten der Geldmenge notwendigerweise einige begünstigt zu Lasten anderer. Die Erstempfänger des neuen Geldes sind die Begünstigten. Sie können mit ihrem neuen Geld Güter zu noch unveränderten Preisen kaufen. Nach und nach verbreitet sich das neue Geld im Wirtschaftsleben, und dabei steigen die Güterpreise an (beziehungsweise erreichen ein Niveau, das höher ist im Vergleich zu einer Situation, in der die Geldmenge nicht ausgeweitet worden wäre). Folglich können diejenigen, die die neu geschaffene Geldmenge erst zu einem späteren Zeitpunkt erhalten, nur noch zu erhöhten Güterpreisen kaufen. Es tritt eine Vermögensmehrung bei den Erstempfängern des neuen Geldes ein, die zu Lasten der Spätempfänger des neuen Geldes geht.

Diese Einsicht ist unmittelbar praxisrelevant: Kauft zum Beispiel die französische Zentralbank in großem Umfang französische Staatsanleihen unter ANFA, sind die Verkäufer der Papiere (wie beispielsweise französische Banken) die Erstempfänger des neuen Geldes. Sie kommen in den Genuss neuer Kaufkraft, um zum Beispiel neue Wertpapiere (zu noch unveränderten Kursen) oder andere Banken zu kaufen; oder sie zahlen den Gewinnanteil als Lohn an die Mitarbeiter aus, die dann quasi die Erstempfänger des neuen Geldes werden. Wie immer auch im konkreten Fall der Weg des neuen Geldes aussehen mag: Die Tatsache, dass einige die neu geschaffene Geldmenge zeitlich vor den anderen erhalten, führt notwendigerweise zu einer nichtmarktkonformen Verteilung von Einkommen und Vermögen.


Öffentliche Entrüstung

Die öffentliche Entrüstung über das ANFA-Abkommen ist nachvollziehbar und begründet. Die damit verbundenen Umverteilungseffekte fallen umso "ungleicher" aus, je weniger öffentlich bekannt ist, wann welche Papiere von wem gekauft werden.

Aber die Kritik sollte nicht beim ANFA-Abkommen Halt ma-chen, sondern sie sollte sich auf die EZB-Geldpolitik insgesamt erstrecken. Denn die EZB verursacht auch mit den Maßnahmen, die in der Öffentlichkeit bereits bekannt und mehr oder weniger akzeptiert sind, Umverteilungswirkungen, die sogar weitreichender sind als die Wirkungen, die unter dem ANFA-Abkommen auflaufen: Die Umverteilungswirkungen, die die EZB mit Sonderkrediten an Banken und durch Aufkäufe von Schuldpapieren in Gang setzt, stellen die Ef-fekte, die unter dem ANFA-Abkommen entstehen, in den Schatten.

Nur beispielhaft soll an dieser Stelle erwähnt werden, dass die EZB mit ihrer Kreditvergabe strauchelnde Banken über Wasser hält und so verhindert, dass sie aus dem Markt ausscheiden und besseren Anbietern die Möglichkeit gegeben wird, Marktanteile hinzuzugewinnen. Oder dass sie die Zinsen für strauchelnde Staatsschuldner herabdrückt, ihre Kreditqualität (scheinbar) verbessert und auf diese Weise Anreize setzt, dass immer neues Kapital in schlechte Verwendungen gelockt wird. Investoren, die darauf spekulieren, dass die EZB Papiere schlechter Schuldner kauft, winken Gewinne - weil sie auf Kursgewinne hoffen können, oder weil sie zu Erstempfängern des neuen Geldes werden.

Die Erkenntnis lautet: Die Geldpolitik ist nicht "neutral". Sie verändert vielmehr die Einkommens- und Vermögenssituation verschiedener Personen unterschiedlich. Sie schafft Gewinner und Verlierer. Je stärker die Ausweitung der Geldmenge ausfällt, desto größer sind die Umverteilungswirkungen. Und je weniger bekannt die Eingriffe in das Marktgeschehen sind, desto "ungerechter" fallen auch die Umverteilungswirkungen aus. Vor diesem Hintergrund schneidet die EZB-Geldpolitik nicht gut ab: Sie gibt nicht bekannt, wann sie welche Papiere zu welchem Preis und in welcher Höhe kaufen wird. Das ist nicht nur bei Käufen unter dem ANFA-Abkommen der Fall, sondern bei allen anderen Wertpapierkäufen auch.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Quelle: Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH



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