Schöne neue Welt der Negativzinsen
28.07.2016 | John Mauldin
Der Feind rückt näher. Nachdem sie Japan im Westen und Europa im Osten eingenommen haben, bedrohen die Negativzinsen Nordamerika nun von beiden Seiten. Die gigantischen Ozeane, die uns sonst vor Invasionen schützen, werden uns dieses Mal nicht helfen.
Irgendwann sollte jemand einmal zählen, wie oft ich die Vorsitzenden der Zentralbanken in diesem Newsletter namentlich erwähnt habe, seit ich im Jahr 2000 begann, meine Kommentare zu veröffentlichen. Die Ergebnisse würden wir dann für jeden Monat in ein Diagramm eintragen und ich möchte wetten, dass die Zahl der Erwähnungen 2007 plötzlich in die Höhe schoss und seitdem auf einem gleichbleibend hohen Niveau lag - falls sie nicht sogar noch gestiegen ist.
Kurz gesagt besteht genau darin unser Problem. Wir sollten nicht jedes Mal über die Zentralbanken und ihre Vorsitzenden sprechen müssen, wenn wir die Wirtschaft diskutierten. Die Geldpolitik ist nur eine von vielen Variablen in der großen Gleichung der Ökonomie und sollte wirklich nicht die wichtigste sein. Doch die Federal Reserve und ihre Zentralbank-Kollegen anderer Länder haben die Bühne schon seit fast einem Jahrzehnt hartnäckig in Beschlag genommen.
Das wäre vielleicht noch akzeptabel, wenn ihre Politik wenigstens sinnvoll wäre. Die im Übermaß verfügbaren Belege sagen jedoch etwas ganz anderes. Da man sich zur Stimulierung des Wirtschaftswachstums zu stark auf niedrige Zinsen verlassen hatte, haben die Zentralbanken diese schließlich bis auf Null Prozent gesenkt. Als diese Maßnahme versagte, entschied man sich für negative Zinssätze.
Jetzt haben auch die Negativzinsen nicht den gewünschten Effekt, also haben die Zentralbanken die grandiose Idee, sie noch weiter in den Minusbereich zu senken und gleich noch eine gewaltige Ladung an quantitativen Lockerungen und Neuverschuldungen hinterherzuwerfen, um die störrische Wirtschaft wieder auf Trab zu bringen. Paul Krugman rührt die Werbetrommel für mehr radikalen Keynesianismus so laut er nur kann und er hat zahlreiche Unterstützer. Unglücklicherweise besetzen diese die Schalthebel in der geldpolitischen Machtzentralen.
Unsere Zentralbanker haben nur einen einzigen Trick auf Lager. Den beherrschen sie ganz hervorragend, aber abgesehen von den Anhängern der Zentralbankphilosophie applaudiert niemand. Diejenigen von uns, die in der Realwirtschaft leben, werden zunehmend unruhiger.
Heute werden wir ein paar der Probleme betrachten, die die Fed in den USA und ihre Kollegen in den anderen Staaten verursachen. Ich denke in den USA sind wir an einem Punkt, an dem ein signifikanter Kurswechsel vielleicht helfen könnte, denn unser Schicksal ist zunehmend vorherbestimmt. Für Europa und Japan gibt es, fürchte ich, kein Zurück mehr. Daher sollten wir uns auf defensive Maßnahmen konzentrieren.
Das große Rätsel
Der unmittelbare Schock, den der Brexit verursacht hat, ist offenbar vorerst vorüber, doch Europa gleicht noch immer einem Minenfeld. Die Lage im italienischen Bankensektor droht in eine ähnlich verfahrene Situation zu münden, wie das bei der Krise in Griechenland der Fall war, mit Wut und Frustration auf allen Seiten. Diesmal stehen jedoch viel höhere Summen auf dem Spiel. Die großen Pläne der Europäischen Zentralbank haben den Süden Europas nicht vor krisenhaften Zuständen bewahrt.
Ich kann es nicht deutlich genug sagen: Italien ist von entscheidender Bedeutung und das Land steht kurz vor einem radikalen Bruch mit der Politik der Europäischen Union. Dieser Riss wird sich quer durch Europa fortsetzen, denn auch andere Staaten werden beschließen, in Hinblick auf ihr Bankenwesen einen eigenen Weg einzuschlagen.
Die italienischen Politiker können es nicht zulassen, dass ihre Bürger aufgrund von "Bail-ins" hunderte Milliarden, wenn nicht gar Billionen Euro verlieren. Derartige Verluste wären ein Desaster für Italien und hätten eine Deflation und Depression zur Folge, die der Situation in Griechenland nicht unähnlich wäre. Um ihre eigenen Banken zu retten, müssen die Italiener ihre Schuldenquote natürlich auf ein Niveau erhöhen, das ebenfalls dem griechischen gleicht. Wird die EZB einschreiten und die italienischen Staatsanleihen kaufen, damit die Zinssätze in einem vertretbaren Rahmen bleiben? Und wenn ja, wird sie das tun bevor oder nachdem Italien die EZB- und EU-Richtlinien verletzt?
Das Brexit-Referendum steht nicht direkt mit der Bankenkrise im Zusammenhang, aber es ist in diesem Kontext dennoch relevant. Die Abstimmung hat populistische Bewegungen in anderen Ländern gestärkt und die Politiker gezwungen, zu reagieren. Die übliche Brüsseler Taktik des Aussitzens und Verzögerns verliert ihre Wirkungskraft. Die damit einhergehende Unsicherheit spiegelt sich in den immer tiefer sinkenden Zinssätzen auf dem gesamten europäischen Kontinent wider.
So gestaltet sich die Situation also östlich der USA. An unserer westlichen Flanke, in Japan, wurden am letzten Wochenende Parlamentswahlen durchgeführt. Die japanischen Wähler teilen das Anti-Establishment-Fieber nicht, das den Rest der Industrieländer erfasst hat. Sie haben Premierminister Shinzo Abe und seinen Verbündeten eine solide Mehrheit verschafft. Offenbar sind sie entweder zufrieden mit der als "Abenomics" bekannten Wirtschaftspolitik Japans oder sie sehen keine bessere Alternative.
Der Ausbau seiner parlamentarischen Mehrheit gibt Abe den Rückhalt, den er benötigt, um die japanische Verfassung abzuändern und den darin festgeschriebenen Grundsatz der pazifistischen Außenpolitik zu entfernen. Das wäre weniger ein Zeichen für aufkommenden Nationalismus, sondern vielmehr ein neuer wirtschaftlicher Impuls. Wenn sich die Verteidigungsausgaben wie erwartet mehr als verdoppeln, dann würde das den japanischen Schiffswerften, Fahrzeugherstellern und der Elektroindustrie starken Auftrieb geben.
Der geldpolitische Kurs, den die Bank of Japan mit den negativen Zinssätzen und den ungeheuer umfangreichen Anleihekäufen verfolgt, wird künftig also unvermindert fortgesetzt und womöglich sogar verstärkt. Ob dieses Vorgehen funktioniert, ist dabei schon fast nebensächlich. Die Regierung zeigt, dass sie "etwas unternimmt" und unterdrückt die unmittelbaren Symptome der wirtschaftlichen Malaise.
Die Bank of Japan ist der japanische Anleihemarkt. Die Zentralbank kauft alles, was auf den Markt gelangt und wird in diesem Jahr zusätzliche 40 Millionen Yen (400 Milliarden US-Dollar) ausspucken müssen, allein um ihre Zielvorgaben für die Anleihekäufe zu erfüllen - von einer etwaigen Erhöhung der quantitativen Lockerungen in einem verzweifelten Versuch die Inflationsrate anzuheben ganz zu schweigen.
Ausländische Spekulanten zählen mittlerweile zu den größten Besitzern japanischer Anleihen und viele japanische Rentenfonds sowie andere Institutionen sind verpflichtet die Staatsanleihen zu halten und verkaufen daher nicht. Die Ironie an dieser Sache ist, dass die Regierung nur etwa halb so viele Anleihen herausgibt, wie die Bank of Japan kaufen möchte. Irgendwann in diesem Jahr muss die japanische Notenbank also etwas Neues ausprobieren. Die Frage ist nur, was?
Irgendwann sollte jemand einmal zählen, wie oft ich die Vorsitzenden der Zentralbanken in diesem Newsletter namentlich erwähnt habe, seit ich im Jahr 2000 begann, meine Kommentare zu veröffentlichen. Die Ergebnisse würden wir dann für jeden Monat in ein Diagramm eintragen und ich möchte wetten, dass die Zahl der Erwähnungen 2007 plötzlich in die Höhe schoss und seitdem auf einem gleichbleibend hohen Niveau lag - falls sie nicht sogar noch gestiegen ist.
Kurz gesagt besteht genau darin unser Problem. Wir sollten nicht jedes Mal über die Zentralbanken und ihre Vorsitzenden sprechen müssen, wenn wir die Wirtschaft diskutierten. Die Geldpolitik ist nur eine von vielen Variablen in der großen Gleichung der Ökonomie und sollte wirklich nicht die wichtigste sein. Doch die Federal Reserve und ihre Zentralbank-Kollegen anderer Länder haben die Bühne schon seit fast einem Jahrzehnt hartnäckig in Beschlag genommen.
Das wäre vielleicht noch akzeptabel, wenn ihre Politik wenigstens sinnvoll wäre. Die im Übermaß verfügbaren Belege sagen jedoch etwas ganz anderes. Da man sich zur Stimulierung des Wirtschaftswachstums zu stark auf niedrige Zinsen verlassen hatte, haben die Zentralbanken diese schließlich bis auf Null Prozent gesenkt. Als diese Maßnahme versagte, entschied man sich für negative Zinssätze.
Jetzt haben auch die Negativzinsen nicht den gewünschten Effekt, also haben die Zentralbanken die grandiose Idee, sie noch weiter in den Minusbereich zu senken und gleich noch eine gewaltige Ladung an quantitativen Lockerungen und Neuverschuldungen hinterherzuwerfen, um die störrische Wirtschaft wieder auf Trab zu bringen. Paul Krugman rührt die Werbetrommel für mehr radikalen Keynesianismus so laut er nur kann und er hat zahlreiche Unterstützer. Unglücklicherweise besetzen diese die Schalthebel in der geldpolitischen Machtzentralen.
Unsere Zentralbanker haben nur einen einzigen Trick auf Lager. Den beherrschen sie ganz hervorragend, aber abgesehen von den Anhängern der Zentralbankphilosophie applaudiert niemand. Diejenigen von uns, die in der Realwirtschaft leben, werden zunehmend unruhiger.
Heute werden wir ein paar der Probleme betrachten, die die Fed in den USA und ihre Kollegen in den anderen Staaten verursachen. Ich denke in den USA sind wir an einem Punkt, an dem ein signifikanter Kurswechsel vielleicht helfen könnte, denn unser Schicksal ist zunehmend vorherbestimmt. Für Europa und Japan gibt es, fürchte ich, kein Zurück mehr. Daher sollten wir uns auf defensive Maßnahmen konzentrieren.
Das große Rätsel
Der unmittelbare Schock, den der Brexit verursacht hat, ist offenbar vorerst vorüber, doch Europa gleicht noch immer einem Minenfeld. Die Lage im italienischen Bankensektor droht in eine ähnlich verfahrene Situation zu münden, wie das bei der Krise in Griechenland der Fall war, mit Wut und Frustration auf allen Seiten. Diesmal stehen jedoch viel höhere Summen auf dem Spiel. Die großen Pläne der Europäischen Zentralbank haben den Süden Europas nicht vor krisenhaften Zuständen bewahrt.
Ich kann es nicht deutlich genug sagen: Italien ist von entscheidender Bedeutung und das Land steht kurz vor einem radikalen Bruch mit der Politik der Europäischen Union. Dieser Riss wird sich quer durch Europa fortsetzen, denn auch andere Staaten werden beschließen, in Hinblick auf ihr Bankenwesen einen eigenen Weg einzuschlagen.
Die italienischen Politiker können es nicht zulassen, dass ihre Bürger aufgrund von "Bail-ins" hunderte Milliarden, wenn nicht gar Billionen Euro verlieren. Derartige Verluste wären ein Desaster für Italien und hätten eine Deflation und Depression zur Folge, die der Situation in Griechenland nicht unähnlich wäre. Um ihre eigenen Banken zu retten, müssen die Italiener ihre Schuldenquote natürlich auf ein Niveau erhöhen, das ebenfalls dem griechischen gleicht. Wird die EZB einschreiten und die italienischen Staatsanleihen kaufen, damit die Zinssätze in einem vertretbaren Rahmen bleiben? Und wenn ja, wird sie das tun bevor oder nachdem Italien die EZB- und EU-Richtlinien verletzt?
Das Brexit-Referendum steht nicht direkt mit der Bankenkrise im Zusammenhang, aber es ist in diesem Kontext dennoch relevant. Die Abstimmung hat populistische Bewegungen in anderen Ländern gestärkt und die Politiker gezwungen, zu reagieren. Die übliche Brüsseler Taktik des Aussitzens und Verzögerns verliert ihre Wirkungskraft. Die damit einhergehende Unsicherheit spiegelt sich in den immer tiefer sinkenden Zinssätzen auf dem gesamten europäischen Kontinent wider.
So gestaltet sich die Situation also östlich der USA. An unserer westlichen Flanke, in Japan, wurden am letzten Wochenende Parlamentswahlen durchgeführt. Die japanischen Wähler teilen das Anti-Establishment-Fieber nicht, das den Rest der Industrieländer erfasst hat. Sie haben Premierminister Shinzo Abe und seinen Verbündeten eine solide Mehrheit verschafft. Offenbar sind sie entweder zufrieden mit der als "Abenomics" bekannten Wirtschaftspolitik Japans oder sie sehen keine bessere Alternative.
Der Ausbau seiner parlamentarischen Mehrheit gibt Abe den Rückhalt, den er benötigt, um die japanische Verfassung abzuändern und den darin festgeschriebenen Grundsatz der pazifistischen Außenpolitik zu entfernen. Das wäre weniger ein Zeichen für aufkommenden Nationalismus, sondern vielmehr ein neuer wirtschaftlicher Impuls. Wenn sich die Verteidigungsausgaben wie erwartet mehr als verdoppeln, dann würde das den japanischen Schiffswerften, Fahrzeugherstellern und der Elektroindustrie starken Auftrieb geben.
Der geldpolitische Kurs, den die Bank of Japan mit den negativen Zinssätzen und den ungeheuer umfangreichen Anleihekäufen verfolgt, wird künftig also unvermindert fortgesetzt und womöglich sogar verstärkt. Ob dieses Vorgehen funktioniert, ist dabei schon fast nebensächlich. Die Regierung zeigt, dass sie "etwas unternimmt" und unterdrückt die unmittelbaren Symptome der wirtschaftlichen Malaise.
Die Bank of Japan ist der japanische Anleihemarkt. Die Zentralbank kauft alles, was auf den Markt gelangt und wird in diesem Jahr zusätzliche 40 Millionen Yen (400 Milliarden US-Dollar) ausspucken müssen, allein um ihre Zielvorgaben für die Anleihekäufe zu erfüllen - von einer etwaigen Erhöhung der quantitativen Lockerungen in einem verzweifelten Versuch die Inflationsrate anzuheben ganz zu schweigen.
Ausländische Spekulanten zählen mittlerweile zu den größten Besitzern japanischer Anleihen und viele japanische Rentenfonds sowie andere Institutionen sind verpflichtet die Staatsanleihen zu halten und verkaufen daher nicht. Die Ironie an dieser Sache ist, dass die Regierung nur etwa halb so viele Anleihen herausgibt, wie die Bank of Japan kaufen möchte. Irgendwann in diesem Jahr muss die japanische Notenbank also etwas Neues ausprobieren. Die Frage ist nur, was?