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Ronald Stöferle: Die Zentralbanken können nur verlieren

05.08.2016  |  Claudio Grass
Claudio Grass, Global Gold: Herr Stöferle, es freut mich sehr, dass wir heute die Gelegenheit für ein Interview haben. Wir kennen uns schon seit langer Zeit, sowohl auf beruflicher als auch auf persönlicher Ebene. Die Zentralbanken sind der Grund dafür, dass unsere Wirtschaft heute von künstlichen Impulsen abhängt und negative Zinssätze zu einer verbreiteten Erscheinung geworden sind. Wie würden Sie die Konsequenzen dieser Politik zusammenfassen?

R. Stöferle: Ich habe es schon immer für unmöglich gehalten, ein "selbsterhaltendes" Wirtschaftswachstum mit Hilfe der Druckerpressen zu schaffen. Mit ihrem Kurs ist es den Zentralbanken gelungen, die Symptome zu unterdrücken, doch die zugrunde liegenden strukturellen Probleme, die überhaupt erst zur Finanzkrise von 2008 geführt haben, haben sich seitdem nur weiter verschärft.

Das Hauptziel - die Stimulierung der Konjunktur - wurde nicht erreicht. Die niedrigen Zinssätze waren eine künstlich lebenserhaltende Maßnahme für unproduktive und hochverschuldete Unternehmen sowie auch für die Staaten selbst. Nach Angaben von Standard & Poor's wären die Haushaltsdefizite in der Eurozone im Schnitt um 1-2% des Bruttoinlandsproduktes höher, wenn die Zinssätze heute auf dem durchschnittlichen Niveau von 2001 bis 2008 lägen. Unter normalen Marktbedingungen steigen die Aktienkurse aufgrund einer fundamentalen Stärke der Wirtschaft. Die heutige Realität ist jedoch, dass die höheren Preise finanzieller Vermögenswerte die Marktteilnehmer über die grundlegende Schwäche der Wirtschaft hinwegtäuschen.

Es ist eine äußerst besorgniserregende Tatsache, dass die Kurse wahrscheinlich abstürzen werden, sobald die Zentralbanken die künstliche Unterstützung beenden. Die hohen Preise an den Finanzmärkten sind zum entscheidenden Faktor für das Vertrauen in die Wirtschaftskraft geworden und die Mehrheit der Investitionen in Aktien und Immobilien wurde mit Hilfe günstiger Kredite finanziert. Die Beendigung der Niedrigzinspolitik würde daher wahrscheinlich eine ernste Rezession auslösen.

Die Fortsetzung der aktuellen Zinspolitik wird die Wirtschaftsstrukturen auf der anderen Seite jedoch zunehmend verzerren und zersetzen und dadurch das Geschäftsmodell von Rentenfonds, Versicherungsgesellschaften und Banken gefährden. Zudem werden die Spekulationsblasen an den Immobilien- und Aktienmärkten weiter aufgepumpt. Die niedrigen Zinsen haben das System so anfällig und brüchig gemacht, dass sich die Zentralbanken praktisch in einer "Lose-Lose-Situation" befinden.


Global Gold: Glauben Sie, dass den Zentralbanken noch andere Optionen offenstehen, oder haben sie alle Möglichkeiten bereits ausgeschöpft?

Mr. Stöferle: Die Notenbanken haben durchaus noch verschiedene Möglichkeiten zur weiteren Lockerung der Geldpolitik. Beispielsweise könnten sie die Zinssätze einfach noch tiefer in den negativen Bereich absenken. Um allerdings die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Banken die Negativzinsen an ihre Kunden und deren Sparkonten weitergeben könnten, müsste zuerst das Bargeld abgeschafft werden, um einen Run auf die Banken zu verhindern.

Wir können bereits die ersten Anzeichen solcher Bestrebungen erkennen. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass die Umsetzung derart harter Maßnahmen gelingen kann, ohne noch größere Unruhen hervorzurufen. Schließlich erleben wir schon jetzt die zunehmende Verbreitung einer gegen das Establishment gerichteten Stimmung. Davon abgesehen wurden Negativzinsen mittlerweile in fünf verschiedenen Währungsräumen eingeführt, ohne dass dies beachtenswerte positive Auswirkungen auf das Wachstum und die Inflationsraten gehabt hätte.

"Helikoptergeld" ist in diesem Zusammenhang die wahrscheinlichere Option, z. B. in Form von Geldtransfers an die Regierungen oder die privaten Haushalte, quantitativen Lockerungen in Kombination mit expansiver Fiskalpolitik, oder der Annullierung ausstehender Schuldverschreibungen, die die Zentralbanken in ihren Bilanzen führen. Einige führende Ökonomen argumentieren, dass Helikoptergeld legal betrachtet möglich ist und die Zentralbanken über das entsprechende Mandat verfügen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Inflationsrate in einem solchen Szenario steigen würde, doch der Wachstumsimpuls wäre abhängig davon, wie das Geld ausgegeben wird.

Die einfachste Maßnahme ist die sogenannte Forward Guidance, eine Form der Kommunikation, die die Erwartungen der Marktteilnehmer beeinflusst. Theoretisch wären auch Offenmarktgeschäfte möglich, die den Kauf von Gold beinhalten, was einer bewussten Abwertung des US-Dollars gegenüber Gold gleichkäme. Fakt ist auf jeden Fall, dass weitere monetäre und fiskalpolitische Maßnahmen spätestens dann beschlossen werden, wenn die gefürchtete Rezession beginnt.


Global Gold: Die Geldpolitik ist nur eines von verschiedenen Mitteln zur finanziellen Repression bzw. eines der Instrumente, auf die ein Staat zurückgreifen kann, wenn er sich seine eigenen Ausgaben einfach nicht mehr leisten kann. Welche anderen Instrumente gibt es und was können Investoren tun, um sich davor schützen?

Mr. Stöferle: Die künstliche Absenkung der Zinssätze und Inflation sind beides Formen der finanziellen Repression, denn sie kommen den Schuldnern zugute und benachteiligen die Sparer. In einem extremen Szenario, in dem die Zinsen negativ sind und das Bargeld abgeschafft wurde, können wir davon ausgehen, dass auch die nominellen Zinsen, die ein Sparer auf seine Bankeinlagen erhält, negativ werden.

Die Liste der potentiellen Mittel zur finanziellen Repression ist sehr lang und enthält unter anderem auch das Verbot von Goldbesitz. Unter den aktuellen Bedingungen und der extremen Verschuldung kann das Überleben des Systems jedenfalls nur durch eine Kombination aus Wirtschaftswachstum und finanzieller Repression gesichert werden.

Sparer und Anleger sollten sich also unbedingt der Fallen bewusst sein, die in großen Teilen des Anleihemarktes lauern, z. B. in Form von vermeintlich risikofreien Staatsanleihen. Außerdem sollten sie sich mit Investmentoptionen auseinandersetzen, die vor den zudringlichen Händen des Staates gefeit sind. Obwohl auch der Besitz von Gold gesetzlich eingeschränkt werden könnte, ist das Edelmetall noch immer ein sicherer Vermögenswert, wenn es in Form von Münzen oder Barren erworben wird.

In den Augen der Skeptiker stellt Gold zwar eine seltsame Anlageform dar, weil es keine Rendite generiert, doch mittlerweile ist Gold relativ attraktiv geworden, weil es auch keine Zinszahlungen erfordert. Sollte die finanzielle Repression auf dem Weg der Verbraucherpreisinflation verwirklicht werden, ist es natürlich ratsam, das gesamte Spektrum an Assets in Betracht zu ziehen, die üblicherweise stark auf inflationäre Tendenzen reagieren, z. B. Silber, die Aktien der Minengesellschaften etc. Ganz allgemein sollten Kapitalanlagen unbedingt diversifiziert werden - auch geografisch - und mit Blick auf verschiedene Szenarios widerstandsfähig gemacht werden.



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