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Das Märchen von der Eier legenden Geld-Wollmilchsau

15.10.2017  |  Manfred Gburek
Eine immer größer werdende Rentenlücke, drohende Altersarmut und seit ein paar Tagen auch noch der neue "Vorsorgeatlas Deutschland" - ja leben wir denn bereits in einem Armenhaus? Dieser Eindruck drängt sich bei all dem Gejammer um die Altersvorsorge wieder mal auf, seit der umtriebige Freiburger Professor Bernd Raffelhüschen, vom Deutschen Derivate Verband jüngst zum „Popstar“ seines Fachs erklärt, im Auftrag von Union Investment öffentlichkeitswirksam zugeschlagen hat.

Doch zitieren wir nicht ihn, sondern Bernd Wittkowski von der Börsen-Zeitung, bekannt als tief bohrender Kritiker der Finanzbranche: "Schön für einen Anbieter von Investmentfonds: Gerade für Jüngere (20 bis 34 Jahre) und Hochverdiener zeigt sich erhöhter Handlungsbedarf in Sachen privater Vorsorge. Insoweit ist auch die dritte Auflage der Studie nicht zuletzt ein willkommenes Marketinginstrument."

Das also bleibt als eigentlicher Knackpunkt haften: Union Investment, ein Unternehmen der Genossenschaftsinstitute, beauftragt einen Professor, die kommende Rentenlücke in Zahlen zu fassen - und schon ergibt sich bis hinter dem Komma, dass die 20- bis 34-Jährigen im Rentenalter nur über 38,6 Prozent ihres vorherigen Einkommens verfügen werden.

Bei so viel Schein-Präzision mag man schmunzeln. Oder nicht - je nachdem, ob man sie primär als Marketinginstrument durchschaut oder als Anlass willkommen heißt, die eigene Vorsorge fürs Alter in die Hand zu nehmen. Aber wer hat Lust, mit 20 bis 34 Jahren Vermögen aufzubauen, um in einem unbekannten, weil nicht vorhersehbaren Zeitraum zwischen dem Eintritt ins Rentenalter und dem Abschied von dieser Welt nicht zu verarmen? Union Investment-Chef Hans Joachim Reinke muss denn auch zugeben: "Die Jungen leben im Hier und Jetzt. Altersvorsorge kommt erst auf Platz drei der Sparziele."

Die Lebenszeit ist längst nicht die einzige Vorsorge-Unbekannte; Versicherungsmathematiker mit ihren Sterbetafeln wissen ein Lied davon zu singen. Hinzu kommen zum Beispiel noch die folgenden eher persönlichen Faktoren: unterschiedliche finanzielle Ausgangsbasis, also Vermögen sowie laufende Einnahmen und Ausgaben, Familienstand und seine Entwicklung im Lauf mehrerer Jahrzehnte, Gesundheit und Krankheiten, Risiken aller Art, speziell Klumpenrisiken mit Immobilien und Kursrisiken mit Aktien oder Anleihen, Gehalt, alternativ Gewinneinkünfte, Steuern, Spar- und Konsumverhalten, Emotionen, Spekulation und nicht zuletzt das Aufschieben von Entscheidungen in Sachen Geld bis zur Ignoranz des Themas Vorsorge.

Zu diesen persönlichen Faktoren gesellen sich externe, wie etwa: Konjunktur, Zinsen, Geldwertschwund, staatliche Misswirtschaft und Verschuldung, Unternehmenspleiten, unzureichender Anlegerschutz, Auf und Ab an den Börsen, unnütze Finanzprodukte und falsche Beratung.

In der Schule haben wir gelernt, dass Gleichungen mit mehreren Unbekannten nur bedingt bis gar nicht lösbar sind. Und ausgerechnet bei den hier aufgeführten, sich im Zeitverlauf immer wieder ändernden Variablen soll das möglich sein? Natürlich ist es nicht möglich. Dennoch bekommen wir von Anlagenverkäufern der Banken und Sparkassen, von Versicherungsvertretern und allerlei Beratern penetrant das Märchen von der Eier legenden Geld-Wollmilchsau zu hören. So, als bräuchte man nur in einen Trog mit diesem Fabelwesen zu greifen, und schon ließe sich für jedes finanzielle Ziel oder Problem das passende Finanzprodukt finden.

Vom 24. bis 26. Oktober findet in Dortmund wieder die DKM-Messe statt. Sie ist praktisch ein Muss für Anlagenverkäufer, denn es geht dort um alle entscheidenden Vertriebsthemen. Dabei sind die im Programm genannten Themen geradezu verräterisch. Dazu nur vier Beispiele: "Kapitalmarktnahe Altersvorsorge gerne, aber bitte mit Garantien" - "Garantien oder keine Garantien, das ist hier die Frag" - "Zukunft der Altersvorsorge, Index- und Fondspolicen" - "Die Fondspolice, der Königsweg aus der Zinsfalle".

Bereits diese kleine Themenauswahl zeigt, worum es geht: Um Garantien, weil deutsche Anleger gern auf Nummer sicher gehen, auch wenn die - vielfach nur scheinbare - Sicherheit einen noch so hohen Preis hat. Und um wenig transparente Fondspolicen, in denen sich Provisionen und sonstige Posten zulasten der Kunden besser unterbringen lassen als in anderen Fondskonstrukten.

Wer einen Beruf jenseits der Geldmetiers ausübt und sich nicht gerade täglich mit den eigenen Finanzen beschäftigt, ist den Anlagenverkäufern, Versicherungsvertretern usw. meistens hilflos ausgeliefert. Dann empfiehlt sich dieses Vorgehen: Fragen über Fragen stellen, bis das Gegenüber an die Grenzen seines Wissens gelangt, konkurrierende Angebote einholen und mit diesen die ganze Übung noch ein Mal von vorn beginnen. Entschieden wird erst danach. Anlagenverkäufer sollten wenigstens etwas für ihr Geld tun, wenn sie schon hohe Provisionen oder Honorare kassieren.

Das hier beschriebene Vorgehen ist für ratsuchende Kunden im Vergleich zur eigenen, überwiegend zeitraubenden Finanzplanung zwar nicht optimal, aber allemal erfolgreicher, als auf Ratschläge zu Garantieprodukten oder unpassenden Fondspolicen reinzufallen.

Warum diese trotzdem erfolgreich - aus Sicht der Anbieter - an den Mann oder die Frau gebracht werden können, hat einerseits mit dem stark ausgeprägten, vielfach leider irreführenden Sicherheitsbedürfnis der meisten Deutschen zu tun. Dieses erklärt sich aus Erfahrungen mit einer langen, unrühmlichen Geldgeschichte: von der Hyperinflation in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts über die Geldentwertung nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Zusammenbruch des Neuen Marktes in der ersten Zeit nach der Jahrtausendwende und zum Crash von 2008.

Andererseits haben sich die Deutschen, ausgehend von der gesetzlichen Rente, Jahrzehnte lang an das paternalistische Prinzip gewöhnt, nach dem Motto: Vater Staat wird es schon richten. Dass Angela Merkel den Spitznamen Mutti erhalten hat, ist kein Widerspruch dazu, sondern eher die Untermauerung des Paternalismus in Form eines Matriarchats, jedenfalls solange Merkel regiert.

Das Fach Geld - im Sinn und aus Sicht der Anleger - gibt es flächendeckend weder in der Schule, wo man sich, wenn überhaupt, eher den sozialen Komponenten der Wirtschaft widmet, noch an den meisten Universitäten, wo allzu oft für die Praxis untaugliche Theorien verbreitet werden. Derweil unternimmt die Lobby der Finanzkonzerne alles, damit es dabei bleibt.

Ihr Motiv ist eindeutig: Da das Zinsgeschäft wegen des extrem niedrigen Zinsniveaus kaum noch Gewinne abwirft, muss das Provisionsgeschäft forciert werden. Und das geht am einfachsten, indem die Anbieter ihren Kunden komplexe Finanzprodukte anbieten, die Anlagelaien kaum verstehen - und mit denen sich gerade deshalb hohe Gewinne erzielen lassen. Fazit: Anleger, die diesem Treiben die Stirn bieten wollen, sind im eigenen Interesse geradezu gezwungen, sich möglichst laufend mit dem Thema Geld zu beschäftigen. Es lohnt sich.


© Manfred Gburek
www.gburek.eu


Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.

Neu bei gburek.eu: Die Strompreise werden kräftig steigen




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