Globales Finanzsystem: Der Tsunami nimmt Formen an
06.02.2018 | Ernst Wolff
In den Chefetagen internationaler Finanzinstitute und Großkonzerne sowie in den Wirtschafts- und Finanzministerien rund um die Welt dürfte es derzeit hektisch zugehen. Zwar versuchen alle Beteiligten, die Entwicklung an den Finanzmärkten nach außen herunterzuspielen, doch den meisten ist mit Sicherheit bewusst, dass das System, das nur noch künstlich am Leben erhalten wird, jederzeit kollabieren kann.
Was ist geschehen? Am Freitag vergangener Woche ist der Dow-Jones-Aktienindex um 666 Punkte gefallen, am Montag dieser Woche um sage und schreibe 1.175 Punkte. Er gab damit seine seit Jahresbeginn erzielten Gewinne komplett ab. Auch an den europäischen und asiatischen Börsen kam es zu erheblichen Kursverlusten.
Niemand kann voraussagen, wie es in den kommenden Tagen weitergehen wird, doch die Zeichen stehen auf Sturm, denn die Zeiten, in denen wir leben, sind alles andere als normal: Seit neun Jahren kennen die Aktienbörsen der Welt nur einen Trend: aufwärts. Allein seit der Amtsübernahme von Donald Trump ist der Dow Jones um 40 Prozent angestiegen, ein im Verhältnis zum Wirtschaftswachstum groteskes Missverhältnis. Der Hintergrund: Die extrem hohen Aktienkurse sind nicht das Ergebnis einer boomenden US-Wirtschaft, sondern einzig und allein die Folge der größten Spekulations- und Manipulationsorgie, die die Welt je gesehen hat.
Die wichtigsten Spieler im Casino: die Zentralbanken
Die wichtigsten Spieler im globalen Finanzcasino sind die Zentralbanken. Sie haben seit 2009 mehr als 15 Billionen Dollar ins System gepumpt und zu immer niedrigeren Zinsen vergeben, Staats- und Firmenanleihen sowie Aktien aufgekauft und Konzernleitungen ermöglicht, mit dem billigen Geld eigene Aktien zurückzukaufen und ihren Kurs so (zugunsten der Boni des Managements) in schwindelerregende Höhen zu treiben.
Auf diese Weise sind die Zentralbanken in den vergangenen Jahren zum Dreh- und Angelpunkt des Finanzsystems geworden. Sie allein entscheiden über die Zukunft der Märkte, und nicht wie früher das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage auf der Grundlage realwirtschaftlicher Daten.
Doch das Ganze ist ein Spiel auf Zeit, denn so wie jedes Medikament beim Menschen unerwünschte Folgen hat, bleibt auch die Kombination von Gelddrucken und Zinssenkungen durch die Zentralbanken nicht ohne Nebenwirkungen auf das Finanzsystem: Beide Maßnahmen zusammen erhöhen die Risiken, da immer mehr spekuliert wird, entwerten aber gleichzeitig das Geld und führen damit am Ende zwangsläufig in eine Inflation.
US-Anleihen: Die Investoren verlieren das Vertrauen
Dieses Glücksspiel kann nur so lange gutgehen, wie die Inflation beherrschbar scheint und alle Beteiligten davon überzeugt sind, dass das System in der Lage ist, drohende Gefahren einzugrenzen. Sobald allerdings ein Ereignis eintritt, das diesen Krisenmechanismus infrage stellt, wird es kritisch. Dann nämlich entsteht ein Vertrauensverlust, der, wenn er anhält, in Angst und schließlich in Panik umschlagen kann.
Ein solcher Vertrauensverlust zeigt sich derzeit am gigantisch großen amerikanischen Anleihenmarkt. Dort sind in den letzten Wochen die Preise für zweijährige und zehnjährige US-Staatsanleihen ("Treasuries") gefallen, was zu einer Erhöhung der darauf zu zahlenden Zinsen geführt hat.
Hintergrund ist eine Verkaufswelle bei US-Staatsanleihen, ausgelöst offensichtlich durch die Furcht vieler Großanleger vor dem weiteren Wertverlust des US-Dollars und einer Änderung der Politik der US-Zentralbank Federal Reserve, deren Chefin Janet Yellen ihren Posten am Sonntag für Jerome Powell geräumt hat. Der ehemalige Topmanager der Carlyle Group, einer der größten Investmentfirmen der Welt, ist der Finanzelite zwar mit Sicherheit wohlgesonnen, kann sich den Gesetzen der Finanzwirtschaft aber auch nicht entziehen.
Powell steht vor der Wahl: Pest oder Cholera
Daher steht auch Powell vor der Frage: Soll er das außer Kontrolle geratene Casino weiterlaufen lassen oder versuchen, es zu zügeln? Im ersten Fall nimmt er den weiteren Wertverlust des US-Dollars hin, im zweiten riskiert er im schlimmsten Fall den Kollaps des Systems.
Was also ist von ihm zu erwarten? Da es im Finanzsystem immer in erster Linie um kurzfristige Rendite und nicht um langfristig vernünftige Lösungen geht, wird Powell bei weiter anhaltenden Turbulenzen vermutlich dem Drängen der größten Player am Markt nachgeben und zur kurzfristigen Beruhigung der Lage ein neues Quantitative-Easing-Programm starten, also die Gelddruckmaschinen der FED wieder anwerfen.
Die große Frage aber ist: Wird sich der Markt überhaupt noch beruhigen lassen und wie lange wird die Ruhe dann anhalten? Die Fristen, in denen die Maßnahmen im Finanzsystem wirken, werden wie bei einem Drogenkranken immer kürzer und die Nebenwirkungen immer heftiger.
Noch mehr Gelddrucken könnte auch den entgegengesetzten Effekt auslösen und die Investoren wegen der Angst vor dem inflationsbedingten Wertverlust in noch größeren Scharen aus dem US-Dollar treiben, was weltweit eine Panik auslösen und das gegenwärtige Dollar-basierte Finanzsystem aus seinen Angeln hebeln könnte.
Egal, was geschieht: Wir nähern uns dem Punkt, an dem das gegenwärtige System auf Grund seiner inneren Logik nicht mehr funktionieren kann. Sollte es sich diesmal noch nicht um die ganz große, alles zerstörende Welle des sich entwickelnden Finanztsunamis handeln, so wird sie doch riesige Vermögenswerte vernichten und uns der ganz großen Welle - und damit dem Ende des vom US-Dollar beherrschten globalen Finanzsystems - ein erhebliches Stück näherbringen.
© Ernst Wolff
Freier Journalist und Buchautor (u.a. "Finanz-Tsunami" (2017))
Was ist geschehen? Am Freitag vergangener Woche ist der Dow-Jones-Aktienindex um 666 Punkte gefallen, am Montag dieser Woche um sage und schreibe 1.175 Punkte. Er gab damit seine seit Jahresbeginn erzielten Gewinne komplett ab. Auch an den europäischen und asiatischen Börsen kam es zu erheblichen Kursverlusten.
Niemand kann voraussagen, wie es in den kommenden Tagen weitergehen wird, doch die Zeichen stehen auf Sturm, denn die Zeiten, in denen wir leben, sind alles andere als normal: Seit neun Jahren kennen die Aktienbörsen der Welt nur einen Trend: aufwärts. Allein seit der Amtsübernahme von Donald Trump ist der Dow Jones um 40 Prozent angestiegen, ein im Verhältnis zum Wirtschaftswachstum groteskes Missverhältnis. Der Hintergrund: Die extrem hohen Aktienkurse sind nicht das Ergebnis einer boomenden US-Wirtschaft, sondern einzig und allein die Folge der größten Spekulations- und Manipulationsorgie, die die Welt je gesehen hat.
Die wichtigsten Spieler im Casino: die Zentralbanken
Die wichtigsten Spieler im globalen Finanzcasino sind die Zentralbanken. Sie haben seit 2009 mehr als 15 Billionen Dollar ins System gepumpt und zu immer niedrigeren Zinsen vergeben, Staats- und Firmenanleihen sowie Aktien aufgekauft und Konzernleitungen ermöglicht, mit dem billigen Geld eigene Aktien zurückzukaufen und ihren Kurs so (zugunsten der Boni des Managements) in schwindelerregende Höhen zu treiben.
Auf diese Weise sind die Zentralbanken in den vergangenen Jahren zum Dreh- und Angelpunkt des Finanzsystems geworden. Sie allein entscheiden über die Zukunft der Märkte, und nicht wie früher das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage auf der Grundlage realwirtschaftlicher Daten.
Doch das Ganze ist ein Spiel auf Zeit, denn so wie jedes Medikament beim Menschen unerwünschte Folgen hat, bleibt auch die Kombination von Gelddrucken und Zinssenkungen durch die Zentralbanken nicht ohne Nebenwirkungen auf das Finanzsystem: Beide Maßnahmen zusammen erhöhen die Risiken, da immer mehr spekuliert wird, entwerten aber gleichzeitig das Geld und führen damit am Ende zwangsläufig in eine Inflation.
US-Anleihen: Die Investoren verlieren das Vertrauen
Dieses Glücksspiel kann nur so lange gutgehen, wie die Inflation beherrschbar scheint und alle Beteiligten davon überzeugt sind, dass das System in der Lage ist, drohende Gefahren einzugrenzen. Sobald allerdings ein Ereignis eintritt, das diesen Krisenmechanismus infrage stellt, wird es kritisch. Dann nämlich entsteht ein Vertrauensverlust, der, wenn er anhält, in Angst und schließlich in Panik umschlagen kann.
Ein solcher Vertrauensverlust zeigt sich derzeit am gigantisch großen amerikanischen Anleihenmarkt. Dort sind in den letzten Wochen die Preise für zweijährige und zehnjährige US-Staatsanleihen ("Treasuries") gefallen, was zu einer Erhöhung der darauf zu zahlenden Zinsen geführt hat.
Hintergrund ist eine Verkaufswelle bei US-Staatsanleihen, ausgelöst offensichtlich durch die Furcht vieler Großanleger vor dem weiteren Wertverlust des US-Dollars und einer Änderung der Politik der US-Zentralbank Federal Reserve, deren Chefin Janet Yellen ihren Posten am Sonntag für Jerome Powell geräumt hat. Der ehemalige Topmanager der Carlyle Group, einer der größten Investmentfirmen der Welt, ist der Finanzelite zwar mit Sicherheit wohlgesonnen, kann sich den Gesetzen der Finanzwirtschaft aber auch nicht entziehen.
Powell steht vor der Wahl: Pest oder Cholera
Daher steht auch Powell vor der Frage: Soll er das außer Kontrolle geratene Casino weiterlaufen lassen oder versuchen, es zu zügeln? Im ersten Fall nimmt er den weiteren Wertverlust des US-Dollars hin, im zweiten riskiert er im schlimmsten Fall den Kollaps des Systems.
Was also ist von ihm zu erwarten? Da es im Finanzsystem immer in erster Linie um kurzfristige Rendite und nicht um langfristig vernünftige Lösungen geht, wird Powell bei weiter anhaltenden Turbulenzen vermutlich dem Drängen der größten Player am Markt nachgeben und zur kurzfristigen Beruhigung der Lage ein neues Quantitative-Easing-Programm starten, also die Gelddruckmaschinen der FED wieder anwerfen.
Die große Frage aber ist: Wird sich der Markt überhaupt noch beruhigen lassen und wie lange wird die Ruhe dann anhalten? Die Fristen, in denen die Maßnahmen im Finanzsystem wirken, werden wie bei einem Drogenkranken immer kürzer und die Nebenwirkungen immer heftiger.
Noch mehr Gelddrucken könnte auch den entgegengesetzten Effekt auslösen und die Investoren wegen der Angst vor dem inflationsbedingten Wertverlust in noch größeren Scharen aus dem US-Dollar treiben, was weltweit eine Panik auslösen und das gegenwärtige Dollar-basierte Finanzsystem aus seinen Angeln hebeln könnte.
Egal, was geschieht: Wir nähern uns dem Punkt, an dem das gegenwärtige System auf Grund seiner inneren Logik nicht mehr funktionieren kann. Sollte es sich diesmal noch nicht um die ganz große, alles zerstörende Welle des sich entwickelnden Finanztsunamis handeln, so wird sie doch riesige Vermögenswerte vernichten und uns der ganz großen Welle - und damit dem Ende des vom US-Dollar beherrschten globalen Finanzsystems - ein erhebliches Stück näherbringen.
© Ernst Wolff
Freier Journalist und Buchautor (u.a. "Finanz-Tsunami" (2017))