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Macht und Ideologie in Europa: Wie die EU regiert wird

21.01.2002  |  Dr. Bruno Bandulet
Die Europäer haben eine Regierung, die sie kaum kennen, die sie nicht gewählt haben und die sie nicht mögen. Diese Regierung sitzt in Brüssel und bestimmt das Schicksal von 370 Millionen Menschen in Europa. Wie wird diese EU eigentlich verwaltet und regiert? Wer hat die Macht, wer zieht die Fäden? Welche Ideologie steht dahinter? Wie waren die rechtswidrigen Sanktionen gegen Österreich überhaupt möglich? Brisante Fragen, die DeutschlandBrief-Herausgeber Bandulet am 19. Juli auf einem Vortrag in Zürich vor 500 Zuhörern aus allen Teilen der Schweiz, aus Deutschland, Österreich und Irland beantwortete. Eingeladen hatte der europäische Arbeitskreis Mut zur Ethik. Im folgenden lesen Sie die leicht gekürzte Abschrift des Vortrags.


Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin ein überzeugter Europäer, war das immer gewesen, aber ich wehre mich vehement dagegen, daß die EU mit Europa gleichgesetzt wird. Als wir in die Schule gingen - in den 50er und 60er Jahren - waren wir begeistert für Europa. Wir waren begeistert, weil die europäische Idee für uns die Garantie bot, daß sich die schrecklichen Bürgerkriege unseres Kontinents nicht wiederholen würden. Und auch, weil wir in Europa ein Bollwerk der Freiheit gegen den Kommunismus gesehen haben.

Es ist tatsächlich so, daß die Europäer rund 80% ihrer Wertvorstellungen gemeinsam teilen. Lediglich die 20% sind nationale Eigenheiten. Aber heute muß ich mich wirklich fragen, ob die EU, so wie sie sich entwickelt hat, nicht ein Risiko für die Freiheit darstellt. Es hat eine Metamorphose stattgefunden. Eine umgekehrte Metamorphose, und zwar vom Schmetterling zur Raupe. Wie kam diese zustande? Warum hat sich Europa, warum hat sich die EU so entwickelt?

In den 50er und 60er Jahren, eigentlich bis in die 80er Jahre hinein, war die EWG, wie sie damals hieß, und dann die EG eine Wirtschaftsgemeinschaft, die Beachtliches leistete. Zunächst entwickelte sich eine Freihandelszone, die Zollschranken fielen, später wurde der freie Kapitalverkehr eingeführt und der Binnenmarkt realisiert. Das waren eine ganze Reihe von Maßnahmen, die Westeuropa im Grunde auf den Stand zurückgeführt haben, der bereits im 19. Jahrhundert bestand. Denn auch im späteren Teil des 19. Jahrhunderts wurde in Europa frei gehandelt, gab es einen freien Kapitalverkehr, was oft vergessen wird.


Von 9,5 auf 200 Milliarden

Dann aber, nach und nach, wuchs die Bürokratie in Brüssel, der Haushalt wurde immer größer. 1970 bestand der EG-Haushalt nur aus 9,5 Milliarden Mark, heute sind es rund 200 Milliarden Mark. Das alles wurde immer bürokratischer, und mit der Bürokratie und den Subventionen wuchs natürlich auch die Korruption. Die Europäische Gemeinschaft hat genau die Entwicklung genommen, die Ludwig Erhard in seinem Klassiker «Wohlstand für alle» vorhergesagt hat. Er hat dieser Brüsseler Bürokratie schon damals mißtraut. Und er hat bis hin zur Einheitswährung vor diesen Entwicklungen gewarnt. Heute würde Ludwig Erhard natürlich als Anti-Europäer gelten, obwohl er der bessere Europäer war.

Was ich damit sagen will, ist, daß sich diese Europäische Gemeinschaft zu einem Gebilde entwickelt hat, das tendenziell freiheitsfeindlich ist. Diese Entwicklung hat eigentlich erst erkennbar eingesetzt nach dem Ende des Kalten Krieges. Das ist paradox, denn das Ende des Kalten Krieges bedeutete ja auch den Bankrott des Sozialismus, und zwar für jeden sichtbar. Und auf eine ganz eigenartige Weise ist es nicht gelungen, den Sozialismus zu beerdigen, nachdem er gescheitert war. Er wurde sozusagen durch die Hintertür wieder hoffähig gemacht. Spötter haben einmal gesagt, das Politbüro sei umgezogen von Moskau nach Brüssel.

Ich hatte neulich das Vergnügen, eine ganz normale Tagesordnung des Moskauer Politbüros zu lesen und nachzuvollziehen, womit die sich eigentlich befaßt haben. Das war ein zentralisierter Staat von riesigen Ausmaßen. Ich muß ihnen leider sagen, diese Tagesordnung hat sich nicht unähnlich gelesen wie die Tagesordnung der Kommission in Brüssel.


Comeback der Kommunisten

Daß die EU ihr Gesicht gewandelt hat in den 90er Jahren, hat natürlich auch zu tun mit dem politischen Personal dieser EU. Denn alle politischen Phänomene hängen von den Menschen ab, die dahinterstehen. Sie können beispielsweise keine Marktwirtschaft einführen, wenn sie keine Marktwirtschaftler oder Unternehmer haben. Dies wurde im Falle Rußlands völlig übersehen. Seltsamerweise kamen gerade nach dem Bankrott des Kommunismus in vielen Ländern Westeuropas Politiker an die Macht, die früher Kommunisten gewesen waren. Wir haben noch heute Kommunisten in der Regierung in Paris, wir hatten bis vor kurzem Kommunisten in der Regierung in Rom, wir haben in der Berliner Regierung Ex-Kommunisten oder zumindest ehemalige Fellow-Travellers.

Warum ist das wichtig?

Ich bestreite niemandem das Recht, sich zu bekehren. Es adelt jemanden, wenn er klüger wird und umdenkt, aber das Problem ist hier, daß bei vielen dieser Leute kein biographischer Bruch sichtbar ist. Wenn jemand sich bekehrt - ich denke an William Schlamm beispielsweise, der vom Kommunisten zum Antikommunisten wurde - dann ist irgendwo ein Bruch sichtbar, ein biographischer Bruch. Denn die Alternative dazu ist, daß er nur aus Opportunitätsgründen nicht mehr Kommunist ist.


Die permanente Revolution

Nehmen sie den Fall Jospin in Paris. Er machte bis-her den Eindruck eines ganz normalen Jakobiners, also eines egalitären Politikers in der Tradition der Französischen Revolution. Bis herauskam, daß er über 20 Jahre lang Trotzkist war. Das ist nun sehr interessant. Er war noch Trotzkist, als er bereits in die Sozialistische Partei eingetreten war. Er hat sozusagen als U-Boot in der Sozialistischen Partei gewirkt. Als U-Boot für die Trotzkisten.

Trotzki war der Mann, der in Mexiko von einem Agenten Stalins ermordet wurde. Was ist denn der Kern des Trotzkismus? Der Trotzkismus ist lupenreiner Kommunismus, er postuliert vor allem die permanente Revolution. Wenn Sie genau darüber nachdenken, werden Sie zu dem Schluß kommen, daß dieses Prinzip der permanenten Revolution auch angewandt wird in der EU. Denn die EU hat im Gegensatz beispielsweise zur Nato, keinen Vertrag, der auf Dauer gilt. Die EU-Verträge werden in immer schnellerer Folge geändert. Wenn Sie diese Texte lesen, den Vertrag von Amster-dam, den Vertrag von Maastricht, den Vertrag von Nizza, dann sind es immer nur Änderungen der vorherigen Verträge, so daß Sie nie wissen, was insgesamt nun gilt. Niemand schaut mehr durch. Auch die Politiker in Berlin nicht, niemand kennt diese Verträge mehr genau. Die EU begreift sich eben als Prozeß, als permanente Revolution. Das muß man im Hinterkopf behalten.

Erst seit den 90er Jahren - um das zu wiederholen - hat eine Regierungskonferenz die andere abgelöst, ein Vertrag den anderen. Jeder Vertrag hält nur ein paar Jahre und der nächste soll schon 2004 fertig sein. Das ist allein völkerrechtlich gesehen eine ganz eigenartige Sache.

Genauso, wie es eigenartig ist, daß diese Verträge gleichzeitig für die Ewigkeit abgeschlossen werden. Das Normale ist ja bei einem völkerrechtlichen Vertrag, daß man eine Dauer von vielleicht 20 Jahren vorsieht und dann eine Verlängerungsmöglichkeit. Aber warum wird das abgeschlossen für alle Ewigkeit? Warum darf man nie mehr aus der EU oder aus dem Euro austreten? Das ist tatsächlich so. Die Verträge sehen keine Austrittsmöglichkeit vor.



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