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Bretton Woods: Der Dollar auf dem Weg in die Pleite von 1971

30.06.2002  |  Wal Buchenberg
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Das Jahr 1971 brachte den Beweis, daß die Vereinigten Staaten nicht unbegrenzt die Funktion eines übernationalen Bankiers erfüllen können, jedenfalls dann nicht mehr, wenn ihre Inflationsrate (die Zunahme der Kosten je Arbeitsstunde) die europäische Inflationsrate erreicht oder übersteigt. Seit Jahren haben die europäischen Zentralbanken mehr Dollars aufgenommen, als sie wollten. Während die Amerikaner die Verpflichtungen der Bankierfunktion hervorkehren, sehen die Europäer vor allem deren Vorteile für den Bankier (ohne indessen die Vorteile für den Kunden zu bestreiten). Warum haben die Europäer diese Dollaranhäufung hingenommen, und mit welchen Argumenten haben die Amerikaner sie dazu gebracht?

Niemand wird wohl ernsthaft behaupten, daß das internationale Währungssystem in der Form, wie es sich entwickelt hat, mit dem Dollar als übernationaler Währung, von den Führern der Vereinigten Staaten von vornherein darauf hin geplant worden ist, amerikanischen Firmen trotz eines ständigen Zahlungsbilanzdefizits direkte Auslandsinvestitionen zu ermöglichen und die Zentralbanken zu zwingen, unbegrenzt Dollars anzuhäufen, die schließlich nicht mehr konvertierbar sein würden. Bei den Verhandlungen von Bretton Woods hatten sich die amerikanischen Vertreter den von den Engländern vorgetragenen weitreichenden Plänen von John Maynard Keynes widersetzt, weil sie befürchteten, die Defizite ihrer Partner übernehmen zu müssen, falls sie der Schaffung einer Quasi-Zentralbank für die gesamte Welt der Freien Wirtschaft zustimmten. Desgleichen sollte die Verpflichtung, Wechselkurse einzuhalten, eine Wiederholung der Praktiken der dreißiger Jahre verhindern, als das Bemühen aller Staaten, sich einen Exportvorteil zu sichern - nicht so sehr, um die eigenen Reserven zu erhöhen, als vielmehr, um durch den Absatz der eigenen Erzeugnisse im Ausland die Arbeitslosen zu beschäftigen - eine Abwertung nach der anderen ausgelöst hatte. Tatsächlich haben die Europäer und die Japaner eine niedrigere Arbeitslosenrate als die Vereinigten Staaten erreicht, doch ist das Währungssystem wohl nur eine von mehreren Ursachen dafür. (...)

Tatsache ist, daß die Europäer und die Japaner heute (1973 wb) in den Reserven ihrer Zentralbanken rund 60 Milliarden nichtkonvertierbarer Dollar liegen haben. Ende September 1971 beliefen sich die kurzfristigen Forderungen ausländischer Währungsbehörden gegenüber den Vereinigten Staaten auf rund 45 Milliarden Dollar, während die Nettogläubigerposition der Vereinigten Staaten gegenüber der übrigen Welt sich von Jahr zu Jahr verbessert hatte. Umfaßte diese Position 1960 44,7 Milliarden Dollar, so waren es 1970 69 Milliarden Dollar; während die direkten Auslandsinvestitionen von 31,8 auf 78 Milliarden Dollar angewachsen waren, stiegen die ausländischen Direktinvestitionen in den Vereinigten Staaten nur von 6,9 auf 13,2 Milliarden Dollar.

Die Europäer zahlten die Marshallplanhilfe in Form von kurzfristigen Krediten zurück, mit denen amerikanische Firmen europäische Unternehmen aufkauften oder Niederlassung gründeten. Während der Marshallplan-Jahre hatten Dollars den Atlantik überquert, um die europäischen Länder mit den Devisen auszustatten, die sie benötigten, um im Ausland mehr Waren einzukaufen, als sie mit ihren eigenen Exporten hätten bezahlen können. Während der sechziger Jahre überquerten Dollars den Atlantik in beiden Richtungen, ostwärts für langfristige Investitionen, westwärts für den Erwerb von Bundesschatzanweisungen oder Aktien an der New Yorker Börse. (...)

Die Partner leihen den Vereinigte Staaten den Devisenbetrag, den diese für ihre Rolle als Weltpolizist benötigen. Dementsprechend ging die Bundesrepublik Deutschland, die sich ihrer Verwundbarkeit, ihrer geopolitischen Schwäche besonders bewußt ist, auf die Forderungen der Washingtoner Führung ohne weiteres ein, und die Bonner Finanzminister, besonders Karl Schiller, nahmen widerspruchslos die verschiedenen Ausreden hin, die man in Washington ersann, wie etwa den gespaltenen Goldmarkt, die Swap-Agreements, die Roosa-Bonds und dergleichen. So gesehen, haben die Vereinigten Staaten ihre militärische Vormachtstellung benützt, um ein Währungssystem und vor allem Privilegien für den Dollar durchzusetzen, denen ihre Partner, hätten sie volle Bewegungsfreiheit gehabt und wären sie imstande gewesen, sich allein zu verteidigen, niemals zugestimmt hätten. (...)

Betrachten wir etwa die Zusammensetzung der Währungsreserven. Warum, so fragen einige Anhänger der Thesen von Jacques Rueff, sollten die Zentralbanken, statt Gold zu verlangen, Dollars akzeptieren, sofern nicht außerwirtschaftliche Pressionen auf sie ausgeübt werden? Dies ist allerdings eine durchaus anfechtbare Überlegung, denn solange die Dollars ‚so gut wie Gold’ galten, waren sie in Wirklichkeit besser als Gold, da sie Zinsen brachten. Die Einwände wirtschaftlicher Art sind erst während der letzten drei oder vier Jahre unausbleiblich geworden, als die Inflation in den Vereinigten Staaten die europäische Inflationsrate überflügelte und zu Defiziten führte, die sich nicht mehr mit den durchschnittlichen Defiziten früherer Jahre vergleichen lassen. Solange sich die Defizite um zwei oder drei Milliarden Dollar bewegten, was in etwa den Kosten der amerikanischen Außenpolitik oder dem Wert der direkten Auslandsinvestitionen entsprach, konnte der Gouverneur einer Zentralbank sehr wohl aus eigenem Antrieb anstelle von Gold Dollars als Devisenreserve vorziehen.

Die europäischen Finanzminister und Zentralbankgouverneure befürchteten die Konsequenzen einer Krise. Seit 1964 oder 1965 wußten sie alle, wie die ständig heraufbeschworene Krise vermutlich ablaufen würde. Eines Tages würden die Börsen und Wechselstuben geschlossen sein, und der Präsident der Vereinigten Staaten würde den Dollar für nichtkonvertierbar - zumindest nicht in Gold konvertierbar - erklären. Keiner kam darauf, daß die Verantwortlichen in Washington sich zu der orthodoxen Lösung, nämlich zur Aufwertung des Goldes entschließen würden. Wollte man den als unerläßlich betrachteten Goldvorrat behalten, so blieb für den Fall, daß die ausländischen Zentralbanken sich weigern sollten, weiterhin Dollars aufzuhäufen, als einziger Ausweg, den Dollar für nichtkonvertierbar zu erklären. (...)

Die Krise, die zur Nichtkonvertierbarkeit des Dollar führte, glich in jeder Hinsicht dem Run auf eine Bank, die nicht über hinreichende Barmittel verfügt, deren Aktiva jedoch bei weitem ihre Passiva übersteigen. Natürlich können die Vereinigten Staaten als übernationaler Bankier die zig Milliarden Dollar in der Hand von ausländischen Gläubigern nicht von einem Tag auf den anderen konvertieren. (...)

Hat die Krise von 1971 bewiesen, daß der Dollar seit 20 Jahren überbewertet war? Sie hat zumindest gezeigt, daß diese These vertretbar ist. Hat sie die Thesen von Kindleberger oder S.C. Kolm über die "Monetisierung" des französischen Kapitals oder die übernationale Bankiersrolle der Vereinigten Staaten auf makroökonomischer Ebene widerlegt? Ganz gewiß nicht. Die Vereinigten Staaten spielen weiterhin diese Rolle, auch nachdem der Dollar nichtkonvertierbar wurde. Allerdings hat die Krise gezeigt, daß dieser Bankier wie alle Bankiers nicht dem Risiko entgeht, durch die Differenz zwischen kurzfristigen Verbindlichkeiten und liquiden Aktiva insolvent zu werden. Sie hat gleichfalls bewiesen, daß es nachteilig ist, eine nationale Währung, die nicht entsprechend den Bedürfnissen des internationalen Systems, sondern gemäß den Anforderungen der inländischen Wirtschaftssituation verwaltet wird, als übernationale Währung zu verwenden. Solange die Inflationsrate in den Vereinigten Staaten unter der europäischen blieb, konnte ein Defizit von zwei bis drei Milliarden Dollar den Kredit des Bankiers nicht erschüttern, doch als zu der Inflation, die seit 1965 durch den Vietnamkrieg bedingt war, noch ein wachsender Überhang an Dollars hinzutrat, die tatsächlich nicht mehr in Gold konvertierbar waren, trieb alles auf eine schnelle Entscheidung zu.

Mit einem Schlage änderte sich der Ton der Auseinandersetzung, und die Beteiligten - Minister und staatliche oder private Fachleute - griffen zu neuen Argumenten, die teilweise das genaue Gegenteil dessen waren, was sie kurz zuvor gesagt hatten.

In einem Punkt allerdings bewiesen die amerikanischen Sprecher - vom Präsidenten bis zum Professor der letzten Provinzuniversität - eine lückenlose Gemeinsamkeit: durchgängig bezeichneten sie das Gold verachtungsvoll als ein Relikt der Barbarei und verwarfen jeden Gedanken an eine drastische Heraufsetzung des amtlichen Preises, obwohl der Preis auf dem freien Markt annähernd das Doppelte des langjährigen offiziellen Preises (35 Dollar je Unze) erreicht hatte. (...)

Die Europäer hielten den Amerikanern die Privilegien vor, die ihnen durch die übernationale Funktion ihrer Währung zuwuchsen. Die Vereinigten Staaten seien das einzige Land, das sich in seiner Wirtschaftsführung nicht um die Zahlungsbilanz kümmere. Als einziges Land nähmen sie sich (im Gegensatz zu den IWF-Statuten) das Recht, bei einer defizitären Zahlungsbilanz nicht ihre direkten Auslandsinvestitionen einzustellen. Sie allein regelten ihr Defizit in der eigenen Währung, und die ausländischen Zentralbanken müßten sich damit abfinden, ihre Reserven in Dollars zu halten. Entsprechend der berühmten Formel aus Orwells ‚Farm der Tiere’ seien im internationalen Währungssystem alle Währungen gleich, nur eine Währung sei gleicher als die anderen. (...)

Ist das die Arroganz der Macht? Wenn ja, der wirtschaftlichen oder der militärischen Macht?"


© Wal Buchenberg

Quelle: "Die imperiale Republik" - Die Vereinigten Staaten von Amerika und die übrige Welt seit 1945.
von Raymond Aron, Stuttgart 1975, Seiten 278 - 295 (Auszug gekürzt)



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