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Bullischer Jahrestag

14.03.2009  |  Klaus Singer
Rechtzeitig zum sechsten Jahrestag des Starts der zurückliegenden Bullphase fangen sich die weltweiten Aktienindices und steigen mit einem sehr hohen Gradienten. Alle sind sich einig, so steil kann es nicht (ewig) weitergehen. Aber erst einmal freut sich jede(r) und seine (ihre) Schwiegermutter auch.

Was war der Anlass? Zunächst trat Josef Ackermann an die Mikrofone und erklärt, die Deutsche Bank sei profitabel in das neue Jahr gestartet. Dann folgte der Chef von Citigroup, denn der von JP Morgan und gestern schließlich auch noch der von Bank of America, der im Januar noch 45 Mrd. Dollar an staatlichen Rettungsgeldern vereinnahmt hatte.

Mit der Verlautbarung der Citigroup begannen die Bullen, Hoffnung zu schöpfen, aber den eigentlichen Startschuss für die Aktien-Rallye gab der oberste Finanzhüter und Fed-Chef, Bernanke. Er regte an, die Bilanz-Richtlinien zumindest zeitweilig zu lockern. Die "mark-to-market"-Regel führe zu immer weiteren Abschreibungen und damit zu immer größeren Belastungen der Banken. Dieser Teufelskreis sollte durchbrochen werden. Mit anderen Worten: Das, was der Markt mit Null bewerte, sollte doch bitteschön mit deutlich mehr als Null in den Büchern notiert werden dürfen.

Ich denke, das war der eigentliche Startschuss für die Aktien-Rallye. Ein wenig dünn, wie ich finde. Aber andererseits waren die Märkte stark überverkauft, der Boden für eine Bärenmarkt-Rallye damit bereitet. Und wie immer bei solch starken Aufwärtsbewegungen spielte und spielt wahrscheinlich immer noch die Eindeckung von Short-Positionen eine wichtige Rolle. Insbesondere mit dem allmählich in Sichtweite kommenden dreifachen (großen) Verfallstag am kommenden Freitag.

Beobachter vermissen Zeichen für eine wirkliche Akkumulation von Aktien. Dies unterstreicht die Analyse der Entwicklung des Volumen-Saldos im S&P 500. Hier wird weiterhin Distribution angezeigt. Immerhin divergieren Volumen und Indexentwicklung seit Wochenbeginn nicht mehr. Dies weist in Distribution auf besonders großen Verkaufsdruck hin.

Andere Analysten beklagen, der VIX sinke nun in den Bereich bei 40, der seit November 2008 als Support fungiert. Das VIX und Kurse normalerweise gegeneinander laufen, mahne das zur Vorsicht. Anfang Januar konnte der VIX aber schon einmal bis in den Bereich um 37 vorstoßen. Ich denke, das steht auch jetzt auf der Agenda. Das wird unterstrichen durch die Tatsache, dass aktuell keine überschwängliche Stimmung herrscht - das Barometer bewegt sich seit gut zwei Wochen in "Doubt" und aktuell sogar wieder an der Grenze zu "Fear".

Zum Vergleich ein Rückblick auf die vergangenen sechs Monate: Die höchsten Angst- bis Panik-Pegel gab es am 10. und 27. Oktober, dann nochmals Anfang November 2008 und am 20. Januar 2009. Punkte größten Optimismus waren Mitte November und Mitte Dezember 2008, sowie in 2009 gleich zu Jahresbeginn und um den 10. Februar herum. Das korreliert sehr gut mit der Kursentwicklung: Panik-Pegel tauchen mit Tiefstkursen, Euphorie-Pegel mit Kursspitzen auf. Aus der Sicht dieser Auswertung stehen die Chancen sogar gut, dass der VIX das Niveau um 37 aus Anfang Januar jetzt zumindest ernsthaft attackieren und vielleicht sogar zeitweilig unterbieten kann.

Aus der Sicht der übrigen Aktienmarkt-Indikatoren spricht ebenfalls einiges für die Bullen. So hat das Verhältnis der Anzahl von bullischen zu bärischen Aktien jetzt ein positives Signal erzeugt, auch der Verlauf der Indexoptions-Positionierung ist bullisch. Der die Marktbreite messende TRIN zeigt ein solide bullischen Status.

So weit die kurzfristige analytische Betrachtung des Aktienmarktes "von innen" heraus.

Wenn man sich das Aktiensegment von außen betrachtet, so tauchen ein paar Warnsignale auf. Die Rendite für 13-wöchige TBills zieht sich von ihren Mitte Februar erreichten Zwischenhochs bei 0,30 kontinuierlich zurück, was darauf hinweist, dass diese Papiere wieder stärker gesucht sind. Es werden also Mittel auf den Sicherheits-Parkplatz verschoben. Gleichzeitig sind die Kredit-Spreads wieder sehr hoch. Beides deutet auf Stress hin. Die effektive Fed Funds Rate sinkt von ihrem zur selben Zeit erreichten "Hoch" bei 0,25 Prozent ab, was auf Lockerungen bei der Kreditvergabe seitens der Fed hindeutet. Lockerungen in Voraussicht auf kommende Spannungen?

Das Währungspaar Euro/Dollar nimmt nach einem intensiven Test der Zone oberhalb von 1,25 Kurs auf die Widerstände unter 1,30. In den vergangenen Monaten korrelierten ein festerer Euro/Dollar recht gut mit festeren Aktienkursen. Diese Entwicklung stützt eine Aktien-bullische Attitüde. Die Signifikanz der "Carry-Trade-Indikatoren" Euro/Yen und Dollar/Yen ist aktuell zwar relativ gering, aber beide streben nach oben, was zumindest tendenziell bullisch zu werten ist. Aber die Grenzen kommen schon ins Blickfeld: Bei Dollar/Yen liegt ein wichtiger Widerstand bei knapp 100, bei Euro/Yen wird oberhalb von 127 die Luft dünn.

Die als vergleichendes Bewertungsmaß genutzte invertierte Rendite der 10-jährigen US-Staatsanleihen formiert oberhalb von 33 ein Abwärtsdreieck. Sollte diese Marke nach unten durchbrochen werden, dürfte eine Verkaufswelle bei TBonds losgetreten werden. Das ist normalerweise ein bullisches Signal. Umgekehrt würde es zu einer stärkeren Kaufbewegung kommen, wenn der genannte Pegel hält - mit einer eher bärischen Implikation für Aktien. Die Situation spitzt sich nach der Schaukelphase der vergangenen Tage zu.

Der Goldpreis hatte kürzlich erwartungsgemäß seine wichtige Unterstützung im Bereich von 900 bis 920 getestet und versucht sich aktuell auf den Weg zu machen, die Marke von 1.000 erneut anzugreifen. Die Intermarket-Korrelation steht zumindest nicht in Divergenz zu festeren Aktienkursen. Übergeordnet ist ein steigender Goldpreis weiterhin als Flucht in einen sicheren Hafen anzusehen.

Fasst man alles zusammen, so spricht momentan noch mehr für als gegen steigende Aktienkurse. Wo liegen die ersten Kursziele? Der DAX dürfte nach zyklischer Prognose zunächst bis in den Bereich von 4200 vorstoßen, der Dow bis gut 7500, der S&P 500 bis etwa 820 und der NDX hat ein primäres Ziel bei etwa 1230.

Trotzdem erscheint es mir sehr unwahrscheinlich, dass die Aktienmärkte ihre Tiefs nun gesehen haben. Bisher haben wir seit Oktober 2008 immer tiefere Tiefs gesehen. Zum anderen kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass in einer solch katastrophalen Makroumgebung ein finaler Boden ohne massive (letzte) Panik-Attacke gebildet wird. Der Anlass für den Turn-around war mehr als dünn (um nicht zu sagen lächerlich), so dass er im wesentlichen der tief überverkauften Situation zuzuschreiben ist. Strategisch bedeutsame Tiefs sehen anders aus.

Spätestens, wenn die rezessionsbedingten Probleme, Kreditausfälle usw. wieder hoch kochen, werden die Bullen ihre Hoffnungen erst einmal wieder begraben müssen.


© Klaus G. Singer
www.timepatternanalysis.de







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