Suche
 
Folgen Sie uns auf:

Bärenmarkt-Rallye oder Bodenbildung?

09.04.2009  |  Klaus Singer
Die Aktienmärkte haben, gemessen am Dow, die nach prozentualem Zugewinn beste Vier-Wochen-Periode seit 1933 hinter sich. Und das in der schwersten Krise zumindest seit dem zweiten Weltkrieg, wobei manche Beobachter auch schon Vergleiche mit der Großen Depression ziehen.

Nachdem die Unternehmensgewinne im S&P500 im vierten Quartal 2008 zum ersten Mal in der seit den 1930er Jahren geführten Statistik leicht negativ waren, wird aktuell mit einem Einbruch der Gewinne um 36,9 Prozent gegenüber dem Niveau vom ersten Quartal 2008 gerechnet. Zu Jahresbeginn war man noch mit einem Gewinnrückgang von lediglich 12,5 Prozent ausgegangen.

Früh in Aktien eingestiegene Akteure sitzen auf ansehnlichen Kursgewinnen. Da liegt es nahe, diese zu realisieren, bevor es andere tun. Andererseits liegt die Messlatte der Erwartungen tief, so tief, dass es in der jetzt anlaufenden Saison der Quartalsberichte kaum negative Überraschungen geben kann. Umso wichtiger ist der von den Unternehmen zu gebende Ausblick.

Alcoa hat vorgestern den Reigen eröffnet und den zweiten Quartalsverlust in Folge gemeldet. Als Grund werden nachlassende Nachfrage und stark fallende Preise angegeben. Alcoa-CEO Klaus Kleinfeld sagte, in den USA gäbe es erste Anzeichen, dass sich der Absatzmarkt von Alcoa auf niedrigem Niveau stabilisiert. Das verhinderte zumindest, dass die Aktie des Aluminium-Herstellers weiter abschmierte und sorgt heute im frühen US-Aktienhandel für eine Gegenbewegung auf die gestrigen Verluste.

Politik und Notenbanken tun alles, um die Finanzmärkte bei Laune zu halten. Die G20 haben auf ihrer Tagung in der vergangenen Woche 1,1 Bill. Euro an frischen Mitteln für den IWF zugesagt, die dieser, mit lediglich lockeren Auflagen versehen, ausleihen kann. Zeitgleich hat das Federal Accounting Standards Board entschieden, in den USA die mark-to-market Bilanzierungsregel aufzuweichen. Beides bewirkte ein kleines Feuerwerk an den Aktienmärkten.

Mittlerweile mehren sich die kritischen Stimmen. So brandmarkt EZB-Ratsmitglied Jürgen Stark die Entscheidung, den IWF mit weiteren Mitteln auszustatten, als Helikoptergeld. Es sei überhaupt nicht geprüft worden, ob eine Notwendigkeit nach zusätzlicher globaler Liquidität besteht. Willem Buiter sagt, die Entscheidung des Federal Accounting Standards Board, die Bilanzierungsregeln aufzuweichen, sei ein weiteres Feigenblatt, hinter dem die Banken ihre Verluste verstecken könnten. Das verlängere das Zombie-Dasein der meisten Wall-Street-Banken> nur. Und verlängert so auch die Krise. Wolfgang Münchau widerspricht dem Konsens, die G20-Veranstaltung sei ein Erfolg gewesen. Eine Koordination der staatlichen Anreizprogramme und der Rettungsbemühungen hinsichtlich der Finanzindustrie hätte es nicht gegeben. Und so habe der Gipfel zur Lösung der aktuellen Krise kaum etwas beigetragen.

Hinzu kommt lauter werdende Kritik am Geithner-Summers-Plan (PPP). Lawrence Kotlikoff und Jeffrey Sachs haben herausgefunden, dass der den Banken erlaubt, über "Töchter" außerhalb ihrer Bilanz beim Kauf der eigenen faulen Assets mitzubieten und so die Preise hoch zu treiben. Paul Krugman nennt das ein Insidergeschäft, das für massiven Transfer von Steuergeld zu den Anteilseignern von Banken sorgt. Das sei schlimmer als das alte TARP-Programm.

Die Gesamtlage ist alles andere als rosig. So hat der IWF jetzt seine Schätzung der Verluste im Finanzbereich auf 4 Bill. Dollar heraufgesetzt. Vor einem Jahr hatte man noch knapp eine Bill. Dollar in den Raum gestellt und war dafür verprügelt worden, u.a. von Herrn Peer Steinbrück, z.Zt. Berlin. Ein halbes Jahr später revidierte der IWF seine Schätzung auf 2,2 Bill. Dollar, da gab es keine Schelte mehr. Im April 2008 hatte ich an dieser Stelle bereits einen Verlust von vier Bill. Dollar taxiert. Aktuell schätzt RGEmonitor für US-Banken und Broker 1,8 Bill. Dollar Verlust, bei europäischen Banken kämen zwei Bill. Dollar zusammen.

Die japanische Geschichte der 1990er Jahre hat klar gezeigt, dass eine solche Finanzkrise nur durch Abschreibung der faulen Assets und Restrukturierung der gesamten Bankenlandschaft gelöst werden kann. Dem ist man trotz vieler schöner Rettungsprogramme in den USA in Höhe von bis jetzt fast drei Bill. Dollar heute nicht näher als vor 18 Monaten.

Aktienkurse werden von Gewinnerwartungen und Inflationserwartungen angetrieben. Insbesondere der erst genannte Faktor ist dabei in Relation zum erreichten Kursniveau zu sehen. Inflationserwartungen scheiden erst einmal aus (vgl. Chart). Zumindest für 2009 sind steigende Preise kein Thema, eher ist damit zu rechnen, dass sich deflationäre Tendenzen verstärken.

Damit bleiben die Gewinnerwartungen übrig, mithin die Frage, ob die Aussichten eine Höherbewertung von Aktien rechtfertigen. Der fundamentale Hintergrund spricht nicht dafür. Das allerdings bedeutet nicht zwangsläufig, dass Aktien fallen müssen. Die Börsen sind kein Ökonomen-Kongress, vieles ist stimmungsgetrieben, insbesondere im kurzfristigen Bereich.

Manchmal hilft ein Blick in die Vergangenheit. Ich habe im Chart "Aktienmärkte nach Peak und Crash" folgende Indices und Perioden verglichen: Dow um 1929, Nikkei um 1990, Dax und SPX um 2000, DAX und SPX um 2007. In allen Fällen wurden markante Hochs erreicht und in der folgenden Abschwungphase kam es zu einer Rezession. Es zeigt sich, dass es 30 bis 37 Monate dauert, bis die Indices gelandet sind. Auf dem Weg dahin gab es drei bedeutende bullische Ausbruchsversuche, der erste nach fünf, der zweite nach 14, der dritte nach 22 Monaten. Sie scheiterten allesamt, erst der vierte bullische Vorstoß, 32 Monate nach dem Peak, brachte dann die Bodenbildung. Der danach folgende Aufschwung verläuft sehr unterschiedlich, ganz im Gegenteil zur Entwicklung bis hin zu den betrachteten Peaks, die einen recht deutlichen Gleichlauf zeigt.

Und noch etwas springt ins Auge: Die aktuelle Entwicklung des SPX ist bei weitem die schlechteste. Bis Oktober 2008 lag sie noch im Rahmen, mit dem Herbstcrash fiel der Index aber nach unten durch.

Wie es so ist bei historischen Vergleichen: Sie sind keine Garantie für die Zukunft. Da sich aber in den Aktienindices menschliches Verhalten widerspiegelt und dieses sich wahrscheinlich nur sehr langsam ändert, kann man bis zum Beweis des Gegenteils davon ausgehen, dass die gegenwärtige Rallye der zweite bullische Versuch ist, der noch nicht zu einer Bodenbildung führt. Wir befinden uns im 18. Monat nach dem Topp, auf der Zeitachse bleibt noch mindestens ein Jahr bis wir nach den Lehren aus der Vergangenheit die Landezone betreten.

Die technische Lage an den Aktienmärkten schreit nach einer Korrektur. Allerdings ist die Gier noch nicht besonders ausgeprägt (siehe Chart!) und so lange könnten die Bullen noch dominieren. Das gilt insbesondere in der Osterwoche, in der die Volumina ausdünnen. Die Akkumulationsphase, die am 12. März begann, ist seit einigen Tagen überdehnt. Die mittlere Länge solcher Überdehnungsphasen ist zwar erreicht, aber belastbare Wendepunkte in den Indikatoren gibt es noch nicht.

Erwähnte Charts können in diesem Artikel auf www.timepatternanalysis.de eingesehen werden.


© Klaus G. Singer
www.timepatternanalysis.de






Bewerten 
A A A
PDF Versenden Drucken

Für den Inhalt des Beitrages ist allein der Autor verantwortlich bzw. die aufgeführte Quelle. Bild- oder Filmrechte liegen beim Autor/Quelle bzw. bei der vom ihm benannten Quelle. Bei Übersetzungen können Fehler nicht ausgeschlossen werden. Der vertretene Standpunkt eines Autors spiegelt generell nicht die Meinung des Webseiten-Betreibers wieder. Mittels der Veröffentlichung will dieser lediglich ein pluralistisches Meinungsbild darstellen. Direkte oder indirekte Aussagen in einem Beitrag stellen keinerlei Aufforderung zum Kauf-/Verkauf von Wertpapieren dar. Wir wehren uns gegen jede Form von Hass, Diskriminierung und Verletzung der Menschenwürde. Beachten Sie bitte auch unsere AGB/Disclaimer!




Alle Angaben ohne Gewähr! Copyright © by GoldSeiten.de 1999-2024.
Die Reproduktion, Modifikation oder Verwendung der Inhalte ganz oder teilweise ohne schriftliche Genehmigung ist untersagt!

"Wir weisen Sie ausdrücklich auf unser virtuelles Hausrecht hin!"