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Cäsium - das flüssige Leichtgold

21.05.2009  |  Hans Jörg Müllenmeister
Man schreibt das Jahr 1860: gerade sind im Solnhofener Schiefer die versteinerten Überreste des 170 Millionen Jahre alten Urvogels Archäopterix entdeckt. Abraham Lincoln wird zum 16. Präsidenten der USA gewählt. Und was tat sich 1860 wissenschaftlich in Deutschland? Hier entdecken der Chemiker Bunsen zusammen mit dem Physiker Kirchhoff die Elemente Rubidium und Cäsium. Dies mit Hilfe eines Instruments, das beide ein Jahr zuvor ausgetüftelt hatten. Seitdem trat ihr Spektroskop den Siegeszug in der Wissenschaft und Technik an; es ermöglicht über die Spektralanalyse den Nachweis der einzelnen Elemente in einem Stoffgemisch.

Cäsium gehört zur ersten Hauptgruppe im Periodensystem, also zu den Alkalimetallen Lithium, Natrium, Kalium, Rubidium, Cäsium, Francium. Mein gebastelter Merksatz dazu heißt: LIsa NAhm KArls RUbine - CÄsar FRauen.

Cäsium ist das absolute Weichei unter allen Elementen - dagegen ist ein Fingernagel so hart wie ein Messer. In der Natur kommt es nicht reinrassig vor, zu gern verbindet es sich nämlich mit anderen Stoffen: Cäsium hat nur ein Valenzelektron auf der äußersten Umlaufbahn (Atomorbital), daher seine große Sucht sich chemisch mit andern Stoffen zu verbinden. Die beiden Forscher Bunsen und Kirchhof wiesen erstmals mit ihrem Instrument Cäsium im Mineralwasser von Bad Dürkheim nach: Charakteristisch wie ein Fingerabdruck, zeigte sich im Emissionsspektrum eine deutliche helle Linie bei 455,5 nm im blauen Bereich des Spektrums. Deshalb nannte Bunsen das neu entdeckte Alkalimetall Cäsium, "das Blaue".

Indessen zeigt Cs als einziges Element im Periodensystem eine goldgelbe Körperfarbe, wie sie nur dem Gold zu eigen ist. Das kuriose, extrem leichte Element ist nicht einmal doppelt so schwer wie Wasser und wartet mit weiteren Eigenarten auf. Weil es extrem reaktiv ist, muß es, wie im Handel üblich, in Ampullen unter dem Edelgas Argon oder im Vakuum aufbewahrt werden. Gönnen Sie sich als "Meister der Goldverflüssigung" unter Freunden Ihre "Uri-Geller-Show". Dazu holen Sie eine bei Zimmertemperatur gelagerte Cäsium-Ampulle und zeigen zunächst jedem Zuschauer das feste Element Cäsium im verschmolzenen Glasröhrchen, das Sie aber wegen seiner Farbe als Gold ausgeben. Dann halten Sie die Ampulle mit beschwörenden Zauberworten in Ihrer wärmenden Faust. Mit einigem Hokuspokus öffnen Sie nach einer Weile wieder Ihre Hand: das Metall ist allein durch Ihre Handwärme geschmolzen. Cäsium hat nämlich nach Quecksilber und dem radioaktiven, in der Natur nicht vorkommenden Francium, den drittniedrigsten Schmelzpunkt aller Metalle. Dieser liegt bei 28,5°C und sein Siedepunkt bei 671°C. Achten Sie unbedingt darauf, dass aus Ihrer Vorführung kein Bombenerfolg wird, nämlich dann, wenn die Ampulle unglücklich zerbricht und das Cäsium mit Luft in Kontakt kommt.

Das wichtigste Cäsiummineral ist Pollucit, ein Cäsium-Aluminium-Silicat. Pro Tonne dieses Erstarrungsgesteins lassen sich durchschnittlich sieben Gramm Cäsium nachweisen. Die jährliche Weltproduktion wird mit 5 bis 20 Tonnen angegeben. Pollucit findet sich z.B. auf der Insel Elba, ferner in Namibia, Kanada, Russland und Schweden. Auch aus dem Mineral Lepidolith läßt sich Cäsium extrahieren. Spuren von Cäsium finden sich selbst im Meerwasser zu 0,0000001 Prozent und in Mineralwässern, wie das erwähnte Mineralwasser aus Bad Dürkheim. Reines, metallisches Cäsium wurde erstmals 1882 von Carl Setterberg im Laboratorium von Bunsen durch Abtrennen aus Lepidolith hergestellt.

Atomar gesehen, ist Cäsium das Dickerchen unter den Atomen, denn das gut dehnbare Cs kann mit dem größten Atomradius aller stabilen Elemente aufwarten, nämlich mit 274 Picometer (ein pm ist der milliardenste Teil eines Meters). Der Atomradius beschreibt die Hälfte des kürzesten Abstands, bis auf den sich gleichartige Atome im Grundzustand nähern können. Den kleinsten Atomradius hat dagegen Wasserstoff mit 37,3 pm. An der Luft entzündet sich das Alkalimetall Cs spontan. Es ist das reaktionsfähigste Metall, reagiert also mit vielen anderen Stoffen explosionsartig unter Feuerwirkung. Bei der äußerst heftigen Reaktion mit Wasser entsteht neben Wasserstoff auch noch Cäsiumhydroxid, die stärkste bekannte wässrige Metalhydoxidbase, die man überhaupt kennt. Cäsiumsalze ergeben bei der Flammprobe ähnlich wie beim Kalium und Rubidium eine rosa-violette Flammenfarbe.

Da Cäsium unter Lichteinwirkung Elektronen aussendet, macht man sich diesen fotoelektrischen Effekt zunutze, und zwar für spezielle Fotozellen, Fotomultipliern, Infrarotleuchtsätzen, Infrarotdurchlässige Fenster, Tarnnebelmunition und Nachtsichtgeräte. Daneben findet es seinen Einsatz in Katalysatoren, Spezialgläsern und als Gettermetall in Vakuumröhren.

Cäsium hat ein natürliches, stabiles Isotop mit der Massenzahl 133 (Anzahl der Protonen und Neutronen im Atomkern). In hochpräzisen Atomuhren wird die Frequenz des Cäsiumisotops Cs-133 genutzt. Seit 1967 ist die Zeiteinheit so definiert: Eine Sekunde entspricht exakt 9 192 631 770 Mikrowellen-Schwingungen des Cäsiums. Und darauf bauen unsere Atomuhren auf, nach denen sich auch unsere Funkuhren richten. In einem Jahr beträgt der Gangfehler gerade mal ein Millionstel Teil einer Sekunde.

Daneben gibt es mehr als 30 instabile Cs-Isotope, die Halbwertzeiten zwischen 170 Millisekunden und 30 Jahren haben. Diese Cäsium-Isotope sind radioaktiv und entstehen nur künstlich durch Kernspaltung. Das bedeutendste ist der Beta- und Gammastrahler Cs-137 mit einer Halbwertzeit von 30 Jahren. Es wird als Strahlenquelle für medizinische Zwecke der Krebstherapie eingesetzt, aber auch als Wärmequelle (thermoionische Batterien, Radionuklidbatterien). In der Raumfahrt verwendet man Cs-137 als Treibstoff in Ionentriebwerken. In thermoionischen Batterien ermöglicht es die Umwandlung von Wärmeenergie in elektrische Energie.

Negative Berühmtheit bekam das Isotop Cs-134 und Cs-137, und zwar durch das Reaktorunglück von Tschernobyl im April 1986. Das Radionuklid ging als Fallout mit anderen radioaktiven Spaltprodukten über ganz Europa nieder. Durch seinen reaktiven Charakter dringt es kaum ins Grundwasser ein, sondern verbindet sich schon im Erdboden mit dem Wurzelwerk der Vegetation. Besonders angereichert hat sich radioaktives Cäsium seitdem in bestimmten Pilzen, vor allem in Semmelstoppelpilzen und Maronenröhrlingen in Süddeutschland und Österreich, aber auch in Wildtieren. Das Wildbrett der Schwarzkittel ist bis zum heutigen Tag noch bis zu 9.000 Becquerel pro Kilogramm verstrahlt. Seit Tschernobyl ist noch nicht einmal die Halbwertzeit von 30 Jahren erreicht, d.h. die ursprüngliche Strahlung ist nicht einmal auf die Hälfte abgeklungen. Als Grenzwert für Lebensmittel in der EU gilt 600 Bq/kg (die Maßeinheit Becquerel gibt die Anzahl der Atome an, die im Mittel pro Sekunde zerfallen; sie ersetzt die alte Einheit für die Radioaktivität - das Curie Ci. Ein Bq entspricht 2,7 mal 10 hoch -11 Ci).

Während der einmalige Genuss von Knollenblätterpilzen schlagartig die Lebenszeit verkürzt, wirkt eine Speise aus cäsiumbestrahlten Maronenpilzen wesentlich milder und auf keinen Fall so rigoros senkend auf die Körpertemperatur.


© Hans-Jörg Müllenmeister



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