Replay April?
15.08.2009 | Klaus Singer
Vor einer Woche hatte ich mich an dieser Stelle mit der Frage beschäftigt, wie es im S&P500 weitergeht, der seit einigen Tagen um die Psycho-Marke von 1.000 herum tanzt. Eine umfangreichere Korrektur schien (und scheint) nicht anzustehen. Das bevorzugte Szenario sah vor, dass der S&P500 aufgrund starker Überverkauftheit zunächst eher den Rückzug bis in die Region um 950 antritt, bevor er einen neuerlichen Anlauf auf die 1.000 nimmt.
Gestützt war dieses Szenario durch die Auswertung der zyklischen Prozesse hinter dem Kursgeschehen. Die zyklischen Merkmale wiesen da noch ein hohes Niveau auf, wodurch dem Prognoseszenario eine hohe Plausibilität zukam. Interessanterweise fiel am Mittwoch, dem Tag der Zinssitzung der Fed, das Zyklik-Niveau plötzlich und unerwartet stark ab und fällt aktuell weiter.
"Von innen heraus" erklärt sich der starke und schnelle Abfall zyklischer Merkmale bei der Preisbildung dadurch, dass durchweg Zyklen mit einer Länge von über 60 Tagen in einem Bereich stehen, wo sie normalerweise "austoppen". Der (fällige) Wendepunkt verschiebt sich aber auf der Zeitachse in die Zukunft, die Zyklen werden "gestreckt".
Diese Situation gab es in jüngerer Vergangenheit schon einmal, nämlich in der zweiten Hälfte April. Und es gibt weitere Ähnlichkeiten. Damals wie aktuell steht der S&P500 an bedeutenden Pegeln, damals bei 875, heute bei 1.000 (genau genommen liegt die entscheidende Marke etwas darüber), damals wie heute steht der Index auch an einer wichtigen Abwärtslinie. Damals wie aktuell zeigt die Auswertung einiger charttechnischer Indikatoren eine Toppbildung (Chart!), damals wie heute steht die Volumenverteilung in überdehnter Akkumulation, wobei ein baldiges Kippen in Distribution wahrscheinlich ist (Chart!).
Damals wie heute lautet die spannende Frage, ob die Seitenlinie im "Distributionsmode" das angebotene Material so eifrig aufnimmt, dass die Kurse weiter steigen. Die Antwort für die Frage im April kennen wir: Beim Umschalten in Distribution gab es einen kurzen, heftigen Kurs-Einbruch und danach ging es weiter hoch (bis knapp 950 per Anfang Juni). Die anschließende volatile Korrektur führte per Anfang Juli wieder bis zum April-Niveau zurück.
Wie sieht es jetzt aus? Die kollabierenden zyklischen Merkmale bei der Preisbildung geben damals wie heute einen Hinweis auf Liquiditätseffekte, die die Kurse stützen. Die bestätigende Gegenprobe liefert der fraktale Mode-Oszillator, der ein hohes Ähnlichkeitsmaß für die Linearität ausweist. Die Liquiditätsflut hebt alle Boote, auch die leck geschlagenen, die mittels Staatshilfen provisorisch geflickt wurden. Ich halte es nicht für unwahrscheinlich, dass wir jetzt einen Replay von April erleben.
Zwischen März und Juni legte der S&P500 in rund zehn Wochen 250 Punkte zu. Unterstellt man, dass der Index in einer 3er Bewegung steckt, deren dritter Abschnitt Anfang Juli gestartet ist, wäre das Preisziel bei rund 1.130, das Zeitziel Anfang Oktober (rote Rechtecke im Chart!). Diese Zone spielte in den vergangenen Jahren stets eine bedeutende Rolle und stellt etwa die Mitte zwischen den Kursextremen der vergangenen 12 Jahre dar (680 - 1.560).
62% der Höhe dieser Spanne ergibt 1.225. Ich hatte in der vergangenen Woche an dieser Stelle die Kursniveaus als wirkliche Nagelprobe angegeben, die im September 2008 erreicht wurden, von wo aus die Aktienkurse nach der Lehman-Pleite in die Tiefe stürzten. Das ergäbe im S&P500 die Zone um 1.200 Punkte (+/-50) und entspräche im DAX einem Bereich zwischen 6.000 und 6.200.
Mich würde es nicht wundern, wenn diese Nagelprobe im Bereich zwischen grob 1.130 und 1.250 und um den Jahrestag der Lehman-Pleite herum statt findet. Noch viel weniger würde es mich wundern, wenn die Probe mit "nicht bestanden" ausgeht. Neben den Paralellen zu April gibt es auch Unterschiede. Der wichtigste ist vielleicht der: Damals lag das "fair PER" wesentlich höher als (35 zu aktuell 28) (Chart!). Damit war der Spielraum der Aktien-Kursentwicklung unter Bewertungsaspekten damals deutlich größer als heute.
Interessanterweise ist eine Auktion 30-jähriger Treasuries gestern auf starkes Kaufinteresse gestoßen. Setzt sich die nicht zuletzt hierdurch eingeleitete Tendenz sinkender langfristiger Zinsen fort, hebt das das "fair PER" wieder an und gibt damit erneut Bewertungsspielraum frei. Beobachter interpretieren die positive Resonanz auf die Auktion zudem als Signal des Vertrauens in die US-Wirtschaft, zumal mit wieder stärkeren TBond-Käufen sinkende langfristige Zinsen makroökonomisch ein positives Signal darstellen
(Chart!).
Damit könnte es zeitweilig zu einer Anomalie in der Entwicklung von TBonds und Aktien kommen. Die beiden Anlageklassen sind normalerweise gegenläufig, aber "normal" war sowieso gestern... In der aktuellen Situation zeigt die Intermarket-Korrelation "SPX vs TYX" (Chart!), dass sich beide gleichförmigzu entwickeln scheinen (TYX läuft invers zu TBond-Kursen). "Gleichförmig" heißt natürlich nicht zwingend "nach oben" und gleichförmig "nach unten" wäre ein sehr bärisches Signal. Hierfür gibt es jedoch aktuell keine Hinweise.
Fundamental hat sich die Lage nicht zum positiven hin entwickelt. Insbesondere der amerikanische Verbraucher bleibt weiterhin in Deckung, wie die jüngsten Einzelhandelsumsätze (Chart!) zeigen und auch der Verlauf des CPI, der im Juli im Vergleich zum Vormonat heute als unverändert gemeldet wurde.
Kurzfristig sind die Aktienbullen noch nicht aus dem Schneider. Auffällig ist, dass im Rohstoff- und Währungsbereich zyklische Merkmale bei der Preisbildung weiterhin signifikant sind und hier insbesondere die "Carry-Trade-Indikatoren" Dollar/Yen und Euro/Yen kontrahierend gesehen werden. Das ist üblicherweise Begleitmusik sinkender Aktienkurse (Chart!).
Haben Sie’s gewusst? Deutsche Politiker und Bankchefs werden nicht müde, zu betonen, dass der Fall der Lehman-Bank Kapital und Vertrauen vernichtet hat. Sie sagen die Unwahrheit - und sie wissen es, wie die "Financial Times Deutschland" kürzlich schrieb. Die Pleite am 15. September 2008 war nicht der Auslöser der Entwicklung. Die deutschen Finanzhäuser gerieten schon Jahre zuvor in Schieflage. Im Februar 2003 wurde in Berlin bei einem Treffen "auf höchstem Niveau" über ein Rettungsplan für deutsche Großbanken beraten. Sie sollten von einer 50 bis 100 Mrd. Euro schweren Kreditlast befreit werden.
Erwähnte Charts können über diesen Artikel auf TimePatternAnalysis.de eingesehen werden.
© Klaus G. Singer
www.timepatternanalysis.de
Gestützt war dieses Szenario durch die Auswertung der zyklischen Prozesse hinter dem Kursgeschehen. Die zyklischen Merkmale wiesen da noch ein hohes Niveau auf, wodurch dem Prognoseszenario eine hohe Plausibilität zukam. Interessanterweise fiel am Mittwoch, dem Tag der Zinssitzung der Fed, das Zyklik-Niveau plötzlich und unerwartet stark ab und fällt aktuell weiter.
"Von innen heraus" erklärt sich der starke und schnelle Abfall zyklischer Merkmale bei der Preisbildung dadurch, dass durchweg Zyklen mit einer Länge von über 60 Tagen in einem Bereich stehen, wo sie normalerweise "austoppen". Der (fällige) Wendepunkt verschiebt sich aber auf der Zeitachse in die Zukunft, die Zyklen werden "gestreckt".
Diese Situation gab es in jüngerer Vergangenheit schon einmal, nämlich in der zweiten Hälfte April. Und es gibt weitere Ähnlichkeiten. Damals wie aktuell steht der S&P500 an bedeutenden Pegeln, damals bei 875, heute bei 1.000 (genau genommen liegt die entscheidende Marke etwas darüber), damals wie heute steht der Index auch an einer wichtigen Abwärtslinie. Damals wie aktuell zeigt die Auswertung einiger charttechnischer Indikatoren eine Toppbildung (Chart!), damals wie heute steht die Volumenverteilung in überdehnter Akkumulation, wobei ein baldiges Kippen in Distribution wahrscheinlich ist (Chart!).
Damals wie heute lautet die spannende Frage, ob die Seitenlinie im "Distributionsmode" das angebotene Material so eifrig aufnimmt, dass die Kurse weiter steigen. Die Antwort für die Frage im April kennen wir: Beim Umschalten in Distribution gab es einen kurzen, heftigen Kurs-Einbruch und danach ging es weiter hoch (bis knapp 950 per Anfang Juni). Die anschließende volatile Korrektur führte per Anfang Juli wieder bis zum April-Niveau zurück.
Wie sieht es jetzt aus? Die kollabierenden zyklischen Merkmale bei der Preisbildung geben damals wie heute einen Hinweis auf Liquiditätseffekte, die die Kurse stützen. Die bestätigende Gegenprobe liefert der fraktale Mode-Oszillator, der ein hohes Ähnlichkeitsmaß für die Linearität ausweist. Die Liquiditätsflut hebt alle Boote, auch die leck geschlagenen, die mittels Staatshilfen provisorisch geflickt wurden. Ich halte es nicht für unwahrscheinlich, dass wir jetzt einen Replay von April erleben.
Zwischen März und Juni legte der S&P500 in rund zehn Wochen 250 Punkte zu. Unterstellt man, dass der Index in einer 3er Bewegung steckt, deren dritter Abschnitt Anfang Juli gestartet ist, wäre das Preisziel bei rund 1.130, das Zeitziel Anfang Oktober (rote Rechtecke im Chart!). Diese Zone spielte in den vergangenen Jahren stets eine bedeutende Rolle und stellt etwa die Mitte zwischen den Kursextremen der vergangenen 12 Jahre dar (680 - 1.560).
62% der Höhe dieser Spanne ergibt 1.225. Ich hatte in der vergangenen Woche an dieser Stelle die Kursniveaus als wirkliche Nagelprobe angegeben, die im September 2008 erreicht wurden, von wo aus die Aktienkurse nach der Lehman-Pleite in die Tiefe stürzten. Das ergäbe im S&P500 die Zone um 1.200 Punkte (+/-50) und entspräche im DAX einem Bereich zwischen 6.000 und 6.200.
Mich würde es nicht wundern, wenn diese Nagelprobe im Bereich zwischen grob 1.130 und 1.250 und um den Jahrestag der Lehman-Pleite herum statt findet. Noch viel weniger würde es mich wundern, wenn die Probe mit "nicht bestanden" ausgeht. Neben den Paralellen zu April gibt es auch Unterschiede. Der wichtigste ist vielleicht der: Damals lag das "fair PER" wesentlich höher als (35 zu aktuell 28) (Chart!). Damit war der Spielraum der Aktien-Kursentwicklung unter Bewertungsaspekten damals deutlich größer als heute.
Interessanterweise ist eine Auktion 30-jähriger Treasuries gestern auf starkes Kaufinteresse gestoßen. Setzt sich die nicht zuletzt hierdurch eingeleitete Tendenz sinkender langfristiger Zinsen fort, hebt das das "fair PER" wieder an und gibt damit erneut Bewertungsspielraum frei. Beobachter interpretieren die positive Resonanz auf die Auktion zudem als Signal des Vertrauens in die US-Wirtschaft, zumal mit wieder stärkeren TBond-Käufen sinkende langfristige Zinsen makroökonomisch ein positives Signal darstellen
(Chart!).
Damit könnte es zeitweilig zu einer Anomalie in der Entwicklung von TBonds und Aktien kommen. Die beiden Anlageklassen sind normalerweise gegenläufig, aber "normal" war sowieso gestern... In der aktuellen Situation zeigt die Intermarket-Korrelation "SPX vs TYX" (Chart!), dass sich beide gleichförmigzu entwickeln scheinen (TYX läuft invers zu TBond-Kursen). "Gleichförmig" heißt natürlich nicht zwingend "nach oben" und gleichförmig "nach unten" wäre ein sehr bärisches Signal. Hierfür gibt es jedoch aktuell keine Hinweise.
Fundamental hat sich die Lage nicht zum positiven hin entwickelt. Insbesondere der amerikanische Verbraucher bleibt weiterhin in Deckung, wie die jüngsten Einzelhandelsumsätze (Chart!) zeigen und auch der Verlauf des CPI, der im Juli im Vergleich zum Vormonat heute als unverändert gemeldet wurde.
Kurzfristig sind die Aktienbullen noch nicht aus dem Schneider. Auffällig ist, dass im Rohstoff- und Währungsbereich zyklische Merkmale bei der Preisbildung weiterhin signifikant sind und hier insbesondere die "Carry-Trade-Indikatoren" Dollar/Yen und Euro/Yen kontrahierend gesehen werden. Das ist üblicherweise Begleitmusik sinkender Aktienkurse (Chart!).
Haben Sie’s gewusst? Deutsche Politiker und Bankchefs werden nicht müde, zu betonen, dass der Fall der Lehman-Bank Kapital und Vertrauen vernichtet hat. Sie sagen die Unwahrheit - und sie wissen es, wie die "Financial Times Deutschland" kürzlich schrieb. Die Pleite am 15. September 2008 war nicht der Auslöser der Entwicklung. Die deutschen Finanzhäuser gerieten schon Jahre zuvor in Schieflage. Im Februar 2003 wurde in Berlin bei einem Treffen "auf höchstem Niveau" über ein Rettungsplan für deutsche Großbanken beraten. Sie sollten von einer 50 bis 100 Mrd. Euro schweren Kreditlast befreit werden.
Erwähnte Charts können über diesen Artikel auf TimePatternAnalysis.de eingesehen werden.
© Klaus G. Singer
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