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Kurzfristige Perspektiven und mittelfristige Weichenstellung

15.11.2009  |  Klaus Singer
Im September wetteiferten die zur Bundestagswahl stehenden Politiker von CDU/CSU, SPD und FDP noch in ihrem Optimismus hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung, jetzt verkündet die alte und neue Kanzlerin, dass alles noch schlimmer kommen kann, bevor eine nachhaltige Besserung einsetzt. Damit dürfte sie Recht haben. Gleichzeitig kommt die neoliberale Regierungskoalition unter Beschuss hinsichtlich der geplanten Steuererleichterungen. Die "Wirtschaftsweisen" nennen die sogar "unverantwortlich". Die Regierung macht den Eindruck, als sei sie in internen Querelen bereits so fest gefahren wie die Koalition zuvor.

Der ZEW-Index der Konjunkturerwartungen ist im November zum zweiten Mal in Folge gefallen, und zwar stärker als im Vorfeld erwartet. Auch die Verbraucherstimmung in den USA war zuletzt wieder gesunken und notiert mit zuletzt 47,70 klar unter dem historischen Mittelwert bei rund 95 (siehe Chart!). Wie bereits berichtet fiel der US-Dienstleistungsindex im Oktober auf 50,6 und liegt damit nur noch knapp oberhalb der Demarkationslinie zwischen Expansion und Kontraktion. Der Dienstleistungsbereich ist in den USA der mit Abstand wichtigste.

David Rosenberg vom kanadischen Vermögensverwalter Gluskin Sheff sieht den Aktienmarkt in Nord-Amerika mit einem KGV von 27,6 klar überbewertet. Er nimmt dazu bewusst reale Gewinne als Basis. Die wiesen zwar in einer Rezession tendenziell zu hohe Werte auf, aber basieren wenigstens nicht auf Wunschdenken hinsichtlich der künftigen Entwicklung. In der Vergangenheit sei in normalen Zeiten ein KGV zwischen 13 und 15 üblich gewesen, schreibt er. Seit 1960 war es nur in zwei Prozent der Fälle noch höher als gegenwärtig. Auch im Vergleich zum Ende früherer Rezessionen fällt es aus dem Rahmen: 1991 lag das KGV des S&P 500 bei 17,2, im Jahr 1961 bei 20,5.

Nach Rosenbergs Meinung spiegelt der Aktienmarkt eine unter Volldampf stehende Wirtschaft mit einem BIP-Wachstum von drei bis vier Prozent wider. Bei den bisherigen Rezessionen hat es vier bis fünf Jahre gedauert, bis dieses Niveau wieder erreicht wurde. Auf Sicht 2010/2011 sei lediglich ein BIP-Wachstum von ein bis zwei Prozent zu erwarten. Daher müssten entweder die Fundamentaldaten mit den Kursen gleichziehen oder die Kurse müssten sich den Fundamentaldaten annähern, sagt er. Eine Korrektur bis auf 900 Punkte im S&P 500 bietet seiner Meinung nach eine ideale Einkaufsmöglichkeit für Aktien.

In den vergangenen Tagen haben G20 und die Fed "mit charttechnisch geschicktem Timing" erneut geschworen, dass es noch lange bei der lockeren Geldpolitik bleibt. Schließlich will man keine "japanischen Verhältnisse" - und hat sie doch schon längst. Und bekämpft sie mit den gleichen Mitteln wie die japanische Notenbank in der "verlorenen Dekade" der 1990er Jahre.

Zuletzt waren OPEC-Vertreter zu hören, die Zweifel an der Nachhaltigkeit der Ölpreissteigerungen geäußert haben. Teilweise warnen sie sogar vor einem anstehenden Rückgang, weil die Nachfrage flach verläuft. Offenbar spielt auch hier die Erwartung einer deutlichen Erholung der Weltwirtschaft eine entscheidende Rolle. Und wem nichts anderes mehr einfällt, der verweist auf die steigende chinesische Nachfrage. In den Industrieländern ist hingegen eine steigende Lagerreichweite im Ölgeschäft zu beobachten - nicht gerade förderlich für weitere Preisphantasie.

Öl Brent ist aktuell eingeklemmt zwischen 75 und 80 Dollar und versucht "verzweifelt" über eine Aufwärtslinie aus März zu kommen. Die TimePatternAnalysis zeigt, dass die Kursbewegung von nicht-zyklischen Merkmalen geprägt ist. Das ist üblicherweise ein Hinweis auf besondere psychologische und spekulative Einflüsse. Gewinnmitnahmen bei bullischen Positionen prägen das Bild, der Aufbau bärischer Positionen findet bisher nur in geringem Umfang statt.

Der Zusammenhang zwischen Euro/Dollar und Aktien, hier S&P 500, wird seit April, erst recht seit Juni immer enger (siehe Chart!). Hier drückt sich die Rolle des Dollar als Carry-Trade-Währung aus (siehe auch meinen Artikel vom 6. Juli 2009). Der enge Zusammenhang im Kursgeschehen auf Tagesbasis setzt sich auch intraday durch (siehe Chart!): Das Währungspaar ist am Mittwoch am zuletzt markierten intraday-Hoch bei ungefähr 1,5050 erneut gescheitert und gestern auch unter den Aufwärtskanal aus März gefallen, sowie dann anschließend unter den wichtigen Pegel bei 1,49. Parallel dazu zeigte der S&P 500 Schwäche, er ist jetzt eingeklemmt zwischen zwei wichtigen Linien, einer Abwärtslinie aus Oktober 2007 bei aktuell rund 1.090 und der Aufwärtslinie aus März bei rund 1.086, die gestern getestet wurde. Eine Chart-Situation, die deutlich die anstehende mittelfristige Entscheidung zeigt.

Und darum geht es genau: Kommt die Jahresendrallye oder dominieren ab jetzt Gewinnmitnahmen? Im ersten Fall wäre das nächste große Ziel ein Niveau jenseits 1.200 Punkten. Im zweiten Fall steht das mehrfach genannte Ziel von rund 1.120 an, wobei ich in diesem Zusammenhang zunächst mit einer nervösen Seitwärtsbewegung mit Fehlausbrüchen in Serie rechne. Im größeren Zusammenhang wäre das als Vorbereitung auf die fragwürdigen Perspektiven in 2010 zu sehen, der dann eine deutliche Abwärtsbewegung folgt.

Als möglicher Katalysator für das Jahresendrallye-Szenario käme in Betracht: Die Erwartungen an das Weihnachtsgeschäft sind tief gehängt, so dass eine positive Überraschung wahrscheinlich ist. US-Einzelhandelsaktien entwickeln sich seit einigen Tagen fest. Der SOX lief zuletzt besser als der NDX - auch das könnte entsprechende Erwartungen ausdrücken. Schließlich sind Elektronikprodukte aller Art ein wichtiger Bestandteil des Geschäfts.

Ein möglicher Katalysator für das alternative Szenario wäre vor allem, dass mit dem Vorlegen der 2009er Bilanzen früh in 2010 zahlreiche Unternehmenskredite von Grund auf neu bewertet werden müssen. Die Gefahr ist groß, dass sie entweder nicht verlängert oder gekürzt oder mit höherer Verzinsung versehen werden. Das ist dann die vielfach erwartete Kreditklemme, die dazu führen kann, dass viele Unternehmen, die sich bis dahin durchschlagen konnten, dann auf der Strecke bleiben.

Welche Hinweise gibt Euro/Dollar? Ein Rebound an die "dicke" Aufwärtslinie im erwähnten Chart nach deren Bruch liegt zwar nahe, vorher liegt jedoch eine kurze Abwärtslinie (~1,4940). Bei einem Scheitern kommt der Support bei 1,47 ins Visier. Die TimePatternAnalysis zeigt mit einer Tageseinschätzung von "Flat 0" die fragile Situation. Sie sieht zwar kurzfristig oberhalb von rund 1,4860 Chancen für eine Aufwärtsbewegung, übergeordnet zeigt das Zyklusmodell als Ziel allerdings erst einmal den Bereich bei 1,47 (siehe Chart!). Das wäre unter Intermarket-Aspekten auch als Aussage zu verstehen, dass der S&P 500 unter Druck bleibt.

Aktueller Nachtrag: Das amerikanische Verbraucher-Sentiment ist unerwartet stark auf 66,0 gefallen. In einer ersten Reaktion fielen die Aktienkurse, in einer zweiten steigen sie. Auch Euro/Dollar versucht, sich nach einem Rückfall unter der heutigen Eröffnungskurs über 1,4860 festzusetzen.

Erwähnte Charts können über diesen Link eingesehen werden: www.timepatternanalysis.de


© Klaus G. Singer
www.timepatternanalysis.de





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