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Rabenschwarz und Frühlingsgrün

16.01.2010  |  Klaus Singer
Das Jahr hat begonnen - Analysten, Kommentatoren und Banken versuchen, die das Jahr über tragenden Trends herauszufinden und Kursziele für das Jahresende abzuleiten. Wenn man die alle zusammen hat und mittelt, weiß man, was mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht eintreten wird.

Eine Sicht der Dinge über einen Zeitraum von sechs Monaten hinaus, sollte immer von den fundamentalen Faktoren ausgehen. Und da kann ich mich eigentlich kurz fassen - gegenüber dem Vorjahr hat sich nicht viel geändert.

Die Wirtschaft steckt nach wie vor in der Krise. Alle Anreizprogramme und Bank-Hilfen haben bestenfalls eine Stabilisierung auf niedrigem Niveau bewirkt. Ein selbsttragender Aufschwung kommt dadurch nicht in Gang. Eine double-dip-Rezession ist wahrscheinlich. Das Drehbuch für die nächsten Jahre kann man der "verlorenen Dekade" in Japan entnehmen. Die gleichen Ursachen führten damals zum gleichen Typ Krise, zehn Jahre wurde versucht, mit denselben Mittel wie heute dagegen an zu gehen. Und im Grunde wirkt das Platzen der japanischen Kreditblase immer noch nach.

Doch etwas ist anders: Während das Japan in den 1990-er Jahren noch von einem Umfeld globalen Wirtschaftswachstums profitieren konnte, fällt diese Bedingung heute weg: Die westlichen Länder sich alle gleich betroffen, das dürfte die Krisenbereinigung erheblich erschweren.

Die massiven staatlichen Hilfen für die ach so notleidenden Finanzindustrie, sowie die staatlichen (wahrscheinlich fruchtlosen) Konjunkturanreize treiben die Staatsverschuldung in extreme Höhen. Sollte es zu einem double-dip-Szenario kommen, werden sich die Staaten wahrscheinlich ein weiteres Mal veranlasst sehen, Schulden-finanzierte Anreize schaffen. Das macht ihre Lage dann noch prekärer.

Die Politik ist unfähig, die Probleme zu lösen. Das hat sich z.B. besonders publikumswirksam am Scheitern der Kopenhagener Klimakonferenz gezeigt, die ein Herr Obama auch noch als Erfolg verkaufen wollte. Das zeigt sich tagtäglich z.B. auch am Gerangel in der deutschen Regierung. Mir scheint,
die FDP hat den Ehrgeiz, den Staat mit unangemessenen Steuergeschenken noch weiter Richtung Schulden-Abgrund zu treiben. Das würde sich insbesondere bei einem "double-dip" katastrophal auswirken. Dahinter steckt meiner Meinung nach System - mehr dazu ein anderes Mal.

Die Politik greift immer stärker auf immer niedrigerer operativer Ebene in das soziale und wirtschaftliche Geschehen ein. Die Bürgerrechte werden über den Vorwand der "Terrorgefahr" immer weiter eingeschränkt. Die ausufernde Bürokratie lähmt Initiative und Selbstverantwortung. Die Marktmechanismen werden immer stärker "gegängelt". Alles strebt auf staatkapitalistische Verhältnisse zu (die sich schon einmal als untauglich erwiesen haben). Es macht sich ein Klima der depressiven Gleichgültigkeit breit, in der kein nachhaltiger Aufschwung gedeihen kann.

Die Finanzindustrie kann mit der Unfähigkeit der Politik gut leben, so lange ihre Regulierung mehr in der Zeitung stattfindet als in der Realität und so lange sich die Regierungen und Notenbanken willfährig genug zeigen, mit des Steuerzahlers Geld einzuspringen, wenn es wieder brennt. Sie hat ja gelernt, dass das Eingehen extremer Risiken keine negativen Folgen hat - wunderbar, weiter so.

Alles in allem sind die Rahmenbedingungen auf wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene damit alles andere als günstig, sondern "rabenschwarz" (siehe Überschrift). Anders in den Finanzmärkten: Hier haben die massiven Staatshilfen und die Flut billiger Liquidität seitens der Notenbanken zur Inflation geführt. Wenn man die Aktienkurse unter traditionellen Bewertungsmaßstäben sieht, nehmen sie ein solides
nachhaltiges Wachstumsszenario vorweg mit Jahresraten von drei Prozent und mehr - surreal.

Der S&P500 hat sein erstes Ziel bei 1.120 erreicht (50er Retracement vom Hoch im Oktober 2007) und ist nun auf dem Weg zur Etappe bei rund 1.225 (62% der Spanne zwischen dem besagten Hoch und dem Tief im März 2009). Zudem ist das Niveau, vom aus der "Lehman-Absturz" kam.

Seit einigen Tagen läuft bei Aktien eine Konsolidierung mit kleiner, abnehmender intraday-Handelsspanne. Ausbruch oder Einbruch?

Ich meine, dass genannte Ziel kann im Laufe des Februar erreicht werden - das (vorgezogene) "Frühlingsgrün" der Überschrift. Um das zu untermauern, denke ich etwas quer und gehe vom VIX aus. Der "Angstmesser" gibt den Verlauf der impliziten Volatilität wider. Sinkende Volatilität entspricht gewöhnlich steigenden Aktienkursen - der Hebel zwischen VIX und S&P500 kommt auf etwa minus drei zu eins.

Der VIX notiert aktuell mit rund 17,50 unter dem Niveau "vor-Lehman". Ende August 2008 hatte er bei rund 18,80 ein Tief erreicht und war dann bis Mitte September auf 30 gestiegen, nach der Lehman-Pleite wurde er schließlich im November bis auf 80 katapultiert. Dass der VIX jetzt wieder in normalen Regionen notiert, kann als Indiz genommen werden, dass die Märkte ein Ende der Krise spielen.

Mittlerweile lässt sich ein Abwärtskeil zeichnen, dessen Obergrenze mit der Abwärtslinie aus November 2008 zusammenfällt (siehe Chart!). Die untere lässt sich mindestens seit Mitte Oktober zeichnen. Die Spitze wird je nach Variante in der ersten oder in der zweiten Hälfte Feb erreicht. Zum Abwärtskanal im VIX korrespondiert z.B. ein Aufwärtskeil im Dow. Interessant ist, dass sich in den fünf bis sechs Wochen vor Ende August 2008 im VIX ebenfalls ein Abwärtskeil gebildet hatte (siehe Chart!). In dieser Zeit konnte der S&P500 bis rund 90 Punkte zulegen.

Das Sentiment ist nach den auf www.timepatternanalysis.de vorgestellten, täglich aktualisierten Indikatoren bullisch - und zwar sowohl das auf dem VIX basierte, für den breiten Markt relevante Signal (siehe Chart!), wie das eher an großen Adressen orientierte Sentiment, das auf der Indexoptions-Positionierung beruht (siehe Chart!).

Nach einigen charttechnischen Indikatoren ist der VIX überzogen bullisch. Ein zu starkes bull. Sentiment ist in der Regel ein Kontraindikator, für sich alleine (ohne Umkehrindizien) aber kein Handelssignal. Auch in der "vor-Lehman-Phase" war der VIX über Wochen bullisch überdehnt. Die Breite des Bollingerbandes im VIX lässt Aussagen über übergeordnete Stimmung zu. Der Index befindet sich aktuell in Doubt, was einem Bull-Rund einigen Raum bis zu einer möglichen Umkehr in Greed gibt.

Die Volumenverteilung befindet sich aktuell in fragiler Akkumulation (siehe Chart!). Stabilisiert sich das, dürfte sich ein "ganz normaler" bullischer Kontext ergeben. Dazu gehört ein Währungsumfeld, das Liquiditätsbeschaffung signalisiert - zumindest über den Yen, aber auch über den Dollar. Das würde zur Schwächung der entsprechenden Währungen führen. In stabilen bullischen Phasen war in der Regel ein steigender Euro/Dollar zusammen mit steigendem Euro/Yen und Dollar/Yen zu beobachten.

Kippt die Akkumulation in Distribution, geben große Akteure ihr zuvor gesammeltes Material an breite Anlegerscharen ab. Das führt nicht notwendigerweise zu fallenden Kursen, nämlich dann nicht, wenn das Kaufinteresse besonders hoch ist. Die Auswertung des VIX eröffnet das. In diesem Fall dürfte die Währungsseite eher umgekehrt agieren. Wenn mit der Auflösung von Asset-Positionen bei großen Akteuren auch die zu ihrer Finanzierung eingegangenen Carry-Trades rückabgewickelt würden, würde das Yen und Dollar stärken (siehe Chart!).

Die Zusammenhänge gelten natürlich "ceteri paribus", aber in dieser Finanzindustrie-dominierten Wirtschaft ist der Einfluss, der von ihren Aktivitäten ausgeht, von besonderer Bedeutung.

In der "Vor-Lehman"-Phase blieb die Volumenverteilung bis Ende August in Akkumulation, der dann folgende Kurssturz geschah in Distribution. Welches der beiden Szenarien (Akkumulation oder Distribution) jetzt ansteht, ist noch nicht ganz klar - das "glattere" wäre das erste, aktuell ist die Wahrscheinlichkeit für das zweite etwas höher.

Wenn der Fahrplan bis weit in den Februar hinein so eingehalten wird, dürfte zunächst eine größere Korrektur anstehen. Das wäre auch fundamental plausibel. Einerseits ist die Quartalssaison abgearbeitet, andererseits dürfte dann klar werden, dass es auf der Seite der Unternehmenskredite erhebliche Probleme gibt.

Für den weiteren Jahresverlauf hängt sehr viel von der Erwartung ab, wie lange die lockere Geldpolitik och anhält. In der jüngeren Zeit mehren sich die Wortmeldungen, die Zinsen wieder anzuheben. Das hat schon zu einer zeitweiligen Verlagerung der Quelle von Carry-Trades geführt und belastet Euro/Dollar. Sollten die Zentralbanken von ihrer Politik des billigen Geldes tatsächlich abrücken, dürfte das die Risikofreude trüben und damit die Kurse deckeln.

Erwähnte Charts können über diesen Link eingesehen werden: www.timepatternanalysis.de/comments/MB20100115.html


© Klaus G. Singer
www.timepatternanalysis.de







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