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Spätrömische Dekadenz in Deutschland?

16.02.2010  |  Robert Rethfeld
Die von FDP-Chef Westerwelle angestoßene Umverteilungsdebatte wirft die Frage auf, ob sich Deutschland in einem Stadium "spätrömischer Dekadenz" befindet. Diese Debatte wird zum Teil mit aberwitzigen Argumenten geführt. Wir wollen nachfolgend beschreiben, was damals in Rom wirklich vor sich ging. Anschließend wollen wir die entsprechenden Schlüsse daraus ziehen.

Der britische Historiker Toynbee analysierte in seinem Grundlagenwerk "Studie zur Weltgeschichte" sechsundzwanzig Hochkulturen und verglich Gemeinsamkeiten der Aufstiegs- und Abschwungphasen. Er kam zu dem Schluss, dass die jeweiligen Aufstiegsphasen von einer enormen Kreativität im Umgang mit physischen und sozialen Herausforderungen begleitet und begünstigt waren. Für den Zusammenbruch von Hochkulturen nannte Toynbee drei Anzeichen: erstens den Verlust kreativer Energie der kreativen Minorität, zweitens den Entzug der Unterstützung der regierenden Minderheit durch das Volk und drittens den daraus resultierenden Verlust sozialer Einheit. "Statt Siegen begegnen wir Niederlagen, ungelösten Aufgaben, an denen die Gesellschaft zugrunde geht", so Toynbee.

Der amerikanische Politikwissenschaftler Bruce Bartlett beschreibt in seinem 1994 erschienenen Aufsatz "How excessive Government killed ancient Rome" Entwicklungen, die uns nicht ganz unbekannt vorkommen: In der Anfangszeit des römischen Reiches waren die Steuersätze niedrig. Doch mit der Zeit begannen die Kaiser, sich die Gunst ihrer Untertanen mit Wohltaten zu erkaufen.

So wurde bereits vor der Zeit des Augustus damit begonnen, etwa 200.000 römischen Bürgern kostenlos Weizen (später: Brot) zur Verfügung zu stellen. Da die Einwohnerzahl Roms zur Zeit des Augustus etwa 1 Million Einwohner umfasste, bekam jeder fünfte Einwohner kostenlose Weizenrationen. Nichtsdestotrotz kamen die Steuereinnahmen unter Augustus derart großzügig herein, dass ein großes Infrastukturprogramm aufgelegt werden konnte. Straßen wurden repariert, Tempel, Thermen und Aquädukte wurden gebaut.

Unter Tiberius wurde das Programm zurückgefahren. 33 n. Chr. kam es zu einer schweren Wirtschafts- und Finanzkrise, die mit einer starken Geldverknappung einherging. Der Staat kam aus dieser Krise nur heraus, indem er eine Vielzahl von Krediten zu einem Zinssatz von null vergab. Die Liquidität konnte so sichergestellt werden. Der Bedarf des Staates an "Cash" wurde größer. Aus der Zeit des Caligula (37 - 41 n.Chr.) ist von Steuerflüchtlingen die Rede, denen übel mitgespielt wurde.

Unter Nero (54 - 68 n. Chr.) begann die Abwertung der Gold- und Silbermünzen. Den Münzen wurden weniger werthaltige Metalle hinzugefügt. Diese Entwertung des Bargeldes war nur eine andere Form der Steuererhöhung. Die römischen Bürger versuchten die Geldentwertung zu umgehen, indem sie ihre alten Münzen sammelten und die Steuern mit den weniger werthaltigen Münzen bezahlten. Der Abwertungswettlauf führte zu einer kontinuierlichen Teuerung. Die Steuereinnahmen des Staates verloren jedoch den Teuerungswettlauf. So schnell, wie die Preise stiegen, konnten die Steuern nicht erhöht werden.

Anmerkung: Heutzutage wäre dies anders: Durch das progressive Steuersystem würden Arbeitnehmer bei fortgesetzter Inflation (vorausgesetzt, es kommt zu Nominallohn-Erhöhungen) einen immer größeren Teil ihres Einkommens dem Staat widmen müssen.

Zurück zum alten Rom. Später wurden speziell die Steuern für die Wohlhabenden erhöht. Privatvermögen wurden mehr und mehr konfisziert, vertrieben, versteckt oder durch hohe Steuern verringert. Dies führte zu einem wirtschaftlichen Stillstand. Je stärker der Druck auf die Wohlhabenden wurde, desto schlechter ging es den gering Bemittelten. Nachdem bei den Wohlhabenden nicht mehr viel zu holen war, wurde der Mittelstand mehr und mehr für das Steueraufkommen herangezogen.

Bruce Bartlett schließt seine Analyse mit den Worten: "Der Fall Roms war fundamental bedingt durch ökonomischen Rückschritt, der aus einer exzessiven Steuerlast, Inflation und Überregulierung resultierte. Höhere und noch höhere Steuern konnten keine höheren Steuereinnahmen produzieren, weil die Wohlhabenden ihre Einnahmen zunehmend versteckten, während die Mittelklasse - und ihre Fähigkeit, Steuern zu zahlen - praktisch eliminiert wurde. Die meisten Römer reagierten auf den Fall ihres Reiches am Ende mit Erleichterung."

Klar ist: Parallelen zur heutigen Situation sind unverkennbar. Das Erhard’sche Modell der sozialen Marktwirtschaft ist zu einem "Sozial- und Wohlfahrtsstaat" mutiert. Die kreative Minorität hat mehr und mehr Probleme, Wachstum zu generieren. Geringere Steuereinnahmen für den Staat (Beispiel Japan: Hier wird der Staatshaushalt nur noch zu 50 Prozent von den Steuereinnahmen gedeckt) sowie ein Verlust an Arbeitsplätzen sind die Folge. Gleichzeitig wächst die Unzufriedenheit derjenigen, die vom Staat versorgt werden. Diese Bevölkerungsschicht wächst genauso wie diejenige, die sich mit einem Einkommen knapp über Hartz IV-Niveau zufrieden geben muss.

Man hat den Eindruck, dass viele Politiker noch nicht wissen, in welcher Phase unserer "Hochkultur" sich Deutschland befindet. Politiker neigen von Natur aus zum Populismus: Sie wollen gefallen. Doch in dieser Einstellung liegt der Kern des Untergangs begründet. Es geht nicht mehr um Verteilung, sondern darum, ob es etwas zu verteilen gibt. Das Beispiel Roms zeigt, dass - wenn sich nichts ändert - alle Bevölkerungsgruppen zu den Verlierern zählen werden.

Es liegt nicht zuletzt an der populistischen politischen Garde, dass der Solidargedanke, der Deutschland in den Aufbaujahren nach dem zweiten Weltkrieg begleitet hatte, zerstört ist. Der Gedanke, dass der Staat ein Teil von uns allen ist und wir als Staatsbürger Verantwortung für den Staat tragen, ist vollständig verflogen. Der Staat, das ist eine anonyme Verteilungsmaschine, das sind nicht wir. Der Ehrliche ist der Dumme, sollen die anderen zahlen (oder weniger bekommen).

Möglicherweise ist der Gedanke, dass der Staat ein Teil von uns ist, unwiederbringlich verloren. Damit ist jedoch der Urgedanke der Demokratie gefährdet. Ein Staat, dem kein Vertrauen entgegen gebracht wird, verhärtet in seiner Struktur. Die Dinge schaukeln sich gegenseitig hoch. Ein Umdenkungsprozess ist in Deutschland dringend erforderlich. Von nichts sind wir heute weiter entfernt als von dem folgenden Ausspruch Kennedys: "Frag nicht, was der Staat für dich tun kann, sondern frag, was du für den Staat tun kannst." Wenn wir nicht lernen, diesen Satz ernst zu nehmen, wird bald kein funktionierender Staat mehr existieren.


© Robert Rethfeld
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