Dynamiken der Wirtschaftskrise - Phase 1: Der Boom
21.05.2010 | Mag. Gregor Hochreiter
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Die künstliche Zinssenkung wird durch die Ausgabe von Zirkulationskrediten erreicht, die zunächst das Aufgehen dieser Lücke scheinbar verhindert. Erst in der Aufdeckungsphase der Rezession, kommt der strukturelle Mangel an realen Ersparnissen zum Vorschein, z.B. wenn die Geschäftsbanken zahlungsunfähig werden. Mit zeitlicher Verzögerung bilden sich beim Bank-Run Schlangen verzweifelter Kunden vor den Bankschaltern.Die planwirtschaftliche Festlegung des Zinses zerstört also den harmonischen Gleichklang der realen Ersparnisse mit den Investitionen. Der manipulierte Zinssatz sendet an Unternehmer und Konsumenten widersprüchliche Signale. Den Konsumenten wird das Zeichen gegeben, ihre Konsumausgaben auf Kosten der Ersparnisse zu mehren. Sparen zahlt sich im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr aus.
Den Unternehmern signalisiert der niedrigere Zins hingegen eine Ausweitung der realen Ersparnisse. Die niedrigeren Zinsen werden von den Unternehmern irrtümlich als Anstieg des Kapitalstocks interpretiert, weil zwischen Sachkrediten und Zirkulationskrediten nicht unterschieden wird. Die Unternehmer beginnen daher, die Produktion von den Gütern niedriger Ordnung in die Produktion von Gütern höherer Ordnung umzuschichten. Allerdings geht der Unternehmer so vor,
"wie ein Baumeister, der mit einer begrenzten Menge von Baumaterial und Arbeit einen Bau aufführen will und sich dabei verrechnet hat. Man legt die Fundamente zu groß an, verbraucht schon für die Fundamente den ganzen verfügbaren Bestand an Produktionsmitteln und kann dann nicht weiterbauen. Das ist nicht Überinvestition; man hat dabei nicht mehr verbaut, als man verbauen konnte; man hat das verfügbare Material falsch verwendet." (4)
Denn tatsächlich sind gar nicht so viele reale Ersparnisse vorhanden wie von den Unternehmern angenommen.
Die Ausgabe von Zirkulationskrediten verpasst der ursprünglichen Dreiecksform eine Delle, die Ausdruck der im obigen Zitat von Ludwig von Mises dargelegten Fehlinvestition ist. Gleichzeitig steigen die Konsum- und Investitionsnachfrage, obwohl einer nachhaltigen Investitionssteigerung ein zwischenzeitlicher Rückgang des Konsumniveaus vorausgehen muss. Die Spannung in der verzerrten Produktionsstruktur (siehe folgende Abbildung 9) ist spürbar und verstärkt sich mit Fortdauer des Booms.
(Abbildung 9 "Eine verzerrte Produktionsstruktur")
In der Boomphase macht sich eine übertrieben optimistische Stimmung bereit. Das Unmögliche scheint möglich geworden zu sein. Eine Ankurbelung der Investitionen ohne zeitweiligen Konsumverzicht. Die Wirtschaft, speziell die kapitalintensiven und inflationierenden Branchen, boomt, während die Konsumenten mit übervollen Einkaufswägen die Kaufhäuser stürmen. Ein Strohfeuer wurde entfacht und man träumt den Traum vom ewigen Wachstum. Die Hurra-Stimmung greift auf die Ökonomen über, die allzu oft ihre Aufgabe in der Suche nach der Zauberformel für das ewige Wachstum sehen. Symptomatisch für diese Hurra-Stimmung ist die Fehleinschätzung eines der einflussreichsten Makroökonomen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Rüdiger Dornbusch. Er lehrte unter anderem am MIT und an der University of Chicago. Zur Zeit der dot.com-Blase verkündete er vollmundig: "Der jetzige Aufschwung wird für immer andauern. Wir wollen keine Rezession, wir brauchen keine, und weil wir die Instrumente haben, diesen Aufschwung fortzusetzen, werden wir auch keine bekommen." (5)
Zwei Jahre später platzte die Blase und der Traum vom ewigen Wachstum war ausgeträumt. Sein intellektuelles Pendant im Boom der 1920er war der bekannte Ökonom Irving Fisher, der noch am 5. September 1929, wenige Tage vor dem "Schwarzen Donnerstag" in der New York Times die Bevölkerung in trügerischer Sicherheit wog: "Die Aktienkurse haben ein dauerhaftes Niveau erreicht. Sie sind nicht zu hoch, und die Wall Street wird nichts dergleichen wie einen Crash erleben."
Ähnlich war die Stimmung in der Boomphase des im Großen Krach von 1873 mündenden inflationsgetriebenen Gründerbooms. Der Historiker Herbert Matis beschreibt die Atmosphäre der damaligen Zeit:
"Die Menschheit schien in einem allgemeinen Taumel siegessicheren Fortschrittsglaubens befangen, und das Prosperitätsbewusstsein öffnete eine Fehlleitung des Kapitals und der Überspannung der Kreditexpansion bei gleichzeitig übermäßiger Forcierung der Investitionstätigkeit Tür und Tor. Vor diesem Hintergrund konnte ein Spekulanten- und Schiebertum gedeihen und die Demoralisierung des Geschäftslebens epidemieartige Formen erreichen." (6)
Die Vertreter der Industrie sahen damals "das goldene Zeitalter des billigen Kredits gekommen, und jeder drängte sich vor, um unter den Ersten zu sein, welche den Segen aus den Händen der Anstalt, resp. deren Leiter empfangen sollten." Ein goldenes Zeitalter, das nicht wie in der klassischen Mythologie in der grauen Vorzeit gelegen war; "Aurea prima sata est aetas" ("Am Anfang ist das goldene Zeitalter gesät worden"), so der Anfangsvers aus Ovids Metamorphosen. Im 19.Jahrhundert stand das goldene Zeitalter unmittelbar bevor, die alte Ordnung galt als überwunden und die Propheten des neuen Äons überboten sich mit irdischen Heilsversprechen. Dank des billigen und in den entstehenden Geschäfts- und Zentralbanken konzentrierten Kredits schien die materielle Knappheit erstmals überwindbar. Der Schlüssel zum Paradies auf Erden schien entdeckt worden zu sein. Leid und Schmerz, Armut und Verbitterung schienen der Vergangenheit anzugehören. Der billige Kredit war die in Geld gegossene Verkörperung jene eierlegenden Wollmilchsau, mit deren Hilfe alle menschlichen Probleme, seien sie materieller, moralischer, gesellschaftlicher, politischer Natur, lösbar seien.
© Mag. Gregor Hochreiter
Institut für Wertewirtschaft
Den Autor können Sie unter gh@wertewirtschaft.org erreichen.
(1) Steiner, Fritz: "Die Entwicklung des Mobilbankwesens in Österreich", Carl Konegen, Wien, 1913, S. 189 und Weber, Benno: "Einige Ursachen der Wiener Krisis", Veit, Leipzig, 1874, S. 55. Beide zitiert in: Matis, Herbert: "Österreichs Wirtschaft 1848-1913", Duncker & Humblot, Berlin, 1971, S.93.
(2) Janet Gleeson: "Der Mann, der das Geld erfand", Kremayr & Scheriau, Wien, 2001, S.154f.
(3) Lawrence, Andrew: "The Curse Bites: Skyscraper Index Strikes." Property Report, Dresdner Kleinwort Benson Research, 3.März 1999. Siehe auch: Mark Thornton: "Skyscrapers and Business Cycles", The Quarterly Journal of Austrian Economics Vol.8, No.1, S. 51-74.
(4)von Mises, Ludwig: "Nationalökonomie. Theorie des menschlichen Handelns und Wirtschaftens", Editions Union, Genf, 1940, S. 510.
(5) in: NY Times: "This expansion will run forever", 30. Juli 1998.
(6) Matis, Herbert: "Österreichs Wirtschaft 1848-1913", Duncker & Humblot, Berlin, 1971, S.93.