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An den eigenen Haaren aus dem Sumpf?

29.05.2010  |  Klaus Singer
Im Zuge der Krise der Euro-Zone wird das Augenmerk wieder stärker auf die Realität gerichtet. Seit dem zweiten Quartal 2009 träumten die Finanzmärkte davon, dass die Verlagerung von Schulden per Hilfs- und Rettungsprogramme von privater in staatliche Hand keine deflationären Effekte hat. Im Gegenteil, die Aktienmärkte zeigten mit ihrer V-förmigen, rasanten Erholung, dass die Akteure Wachstumsraten wie in den goldenen Zeiten erwarteten.

Jetzt kann niemand mehr verdrängen: Die Verschuldung zahlreicher Staaten hat untragbare Ausmaße angenommen. Gleichzeitig fällt die wirtschaftliche Erholung bis jetzt etwas müde aus, ganz anders jedenfalls als nach früheren schweren Rezessionen.

Es ist klar: Mit hohen Wachstumsraten fällt der Schuldendienst leichter, zudem kommt dann eher ein inflationäres Szenario auf, das Staatsschuldner begünstigt. Auch klar: Je höher die Verschuldung, je stärker muss das Wachstum sein.

Es gibt im Verhältnis zwischen Verschuldung und Wachstum den Punkt, bei dem die Situation kippt, wo also auch noch so viel Wachstum nicht mehr dabei helfen kann, den Schuldendienst zu bedienen und die Schuldenlast zu reduzieren.

Man kann sich lange streiten, wo die kritische Grenze bei der Verschuldung liegt. Wirtschaftshistoriker wie Kenneth Rogoff sehen diese Schwelle bei einer Quote von 80 bis 90% Staatsschulden bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt. Jenseits davon hilft nichts mehr - Wirtschaft kann nicht mehr schnell genug und stark genug wachsen. Sparen nutzt dann auch nichts mehr, es vertieft eine Rezession zunächst noch weiter. Ein solches Land muss beim Insolvenzgericht vorsprechen oder, wie es netter heißt, seine Schulden restrukturieren. Ein solches Land ist mit Sicherheit Griechenland, weitere Kandidaten findet man in Europa unter den PIIGS-Ländern.

Eine wichtige Nebenbedingung bei all dem sind die realen Zinsen. Steigen sie in einer Situation hoher Verschuldung, belasten sie einerseits das Wachstumspotenzial, andererseits verteuern sie den Schuldendienst. Und umgekehrt...

Ich hatte im Spätjahr 2008 ein Modell vorgestellt, dass diese Zusammenhänge (allerdings ohne direkte Einbeziehung des realen Zinsniveaus) graphisch darstellt. Für die USA gibt dieses Modell mit den Daten für das erste Quartal 2010 nun Entwarnung: Die seit dem dritten Quartal 2006 bestehende Situation des "debt-induced trouble" ist neutralisiert.

Die aktuelle Lage ähnelt im saldierten Ergebnis zwar der aus dem dritten Quartal 1983, als die damalige Kreditblase abgearbeitet wurde. Im einzelnen gibt es allerdings deutliche Unterschiede: Das aktuelle Wachstum ist mit 2,55% im Jahresvergleich geringer, 1983 lag es bei 5,64%. Die aktuelle Jahresrate der Verschuldung ist mit minus 0,91% negativ, 1983 lag sie bei plus 11,6%. Und die Jahreszuwachsrate des Deflators kommt aktuell auf lediglich 0,43%, 1983 wurden plus 3,7% gemessen.

Damit war die Situation 1983 ungleich günstiger für die Lösung der damaligen Kreditkrise ist als sie es heutzutage ist. Denn es war damals nicht nur deutlicher Preisauftrieb zu verzeichnen (Entwertung von Schulden), auch das Wachstum war höher, gleichzeitig stieg der Schuldenstand weiter. Damals gelang es den USA am Ende, per weiteren Schulden den Folgen der geplatzten Kreditblase zu entkommen. Heute ist es noch keineswegs sicher, ob die Gratwanderung zwischen Schuldenquote und Wachstum gelingt. Um die nicht zu gefährden, wird die Fed ja auch nicht müde, zu betonen, dass die Zinsen in den USA noch lange niedrig bleiben. Damit ist dann wenigstens die wichtige Nebenbedingung niedriger realer Zinsen erfüllt.

Jetzt werden überall Staatsparpläne herumgereicht. Deren Wirkung verpufft, wie gesagt, ab einem bestimmten Punkt der Staatsverschuldung, verschärft die wirtschaftliche Kontraktion insbesondere dann noch, wenn auch wachstumsfördernde Ausgaben beschnitten werden. Sie verhindert aber einen Bankrott auch nicht unbedingt.

Wie Bill Gross von Pimco schreibt, gibt es heute vielleicht eine Handvoll Länder, die das Privileg haben, sich durch weitere Schulden an den eigenen Haaren aus dem Schuldensumpf zu ziehen. Wie das Modell zeigt, sind die USA -Privileg hin oder her- jedoch nicht in der komfortablen Situation, schon "über den Berg" zu sein. Zweifel sind angebracht.

Genau diese Zweifel - mit dem Kristallisationspunkt Griechenland und Euro - stehen hinter der jüngsten scharfen Kontraktion der Finanzmärkte. Zuletzt sorgten Gerüchte für Unruhe, China könnte die eigenen Devisenreserven hinsichtlich der Ausrichtung auf den Euro-Raum neu ordnen, die auf 630 Mrd. Dollar bei einem gesamten Volumen von rund 2,4 Bill. Dollar geschätzt werden. Genau das Dementi dieses Gerüchts verhalf Aktien und anderen Assets gestern zu einer scharfen Expansionsbewegung.

Die zyklische Prognose zeigt für den S&P 500 (siehe Chart!) ein Swing-Ziel von 1170, einem wichtigen Pegel (siehe Chart!). Der gestrige starke Kursgewinn fand bei steigendem Volumen statt - ein bullisches Zeichen, genau wie das abnehmende Volumen bei sinkenden Kursen am Tag zuvor. Die Signale der Marktindikatoren sind durchweg auf der bärischen Seite (siehe Chart!), ein belastbare Umkehrsituation liegt aus dieser Sicht noch nicht vor, lediglich Tagestendenzen deuten die Entwicklung einer solchen an, wie übrigens auch die fraktalen Oszillatoren der TimePatternAnalysis (siehe Chart!). Der "Energiefluss" in kontraktive Positionen ging gestern zurück, allerdings kam noch kein merklicher Zufluss in expansive zustande. Das unterlegt von dieser Seite her auch, dass für den gestrigen Kursanstieg Short-Eindeckungen eine wichtige Rolle spielten.

Die Auswertung der Volumenverteilung im S&P 500 zeigt, dass eine mögliche Wende von Distribution in Akkumulation in einer Situation zunehmender Schwankungsbreite dieser Verteilung stattfindet. Das zeigt starke Unsicherheit bei den Akteuren und gibt einen vorerst volatilen Ausblick auf die weitere Entwicklung.

Erwähnte Charts können über diesen Link eingesehen werden: www.timepatternanalysis.de.


© Klaus G. Singer
www.timepatternanalysis.de











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