Suche
 
Folgen Sie uns auf:

"Alternativlos"

14.07.2010  |  Dr. Bert Flossbach
I. Rückblick

Das zweite Quartal 2010 kann ohne Übertreibung als historisch betrachtet werden. Die Staatsschuldenkrise in Europa eskalierte in einem Vertrauensentzug gegenüber griechischen Anleihen. Die Rendite zehnjähriger Griechenanleihen stieg zwischenzeitig bis auf 12 Prozent. Die Renditeaufschläge gegenüber Bundesanleihen erreichten bei den Euro-Peripherieländern die höchsten Werte seit Einführung des Euros. Spätestens damit war auch den unbedarftesten Politikern klar, dass Griechenland nur die Spitze des Eisbergs ist und nun auch der Euro von einem Vertrauensverlust erfasst wird.

Unter Hochdruck wurde von der EU und dem IWF ein 750 Mrd. Euro Rettungspaket geschnürt, das von der Politik als "alternativlos" bezeichnet wurde. Die Alternativlosigkeit basierte auf mangelhafter Vorbereitung und dem in Berlin, Brüssel und Paris grassierenden Finanzanalphabetismus. Diesen hatten sich erneut die Banken zu Nutze gemacht und die Politiker erfolgreich erpresst: "Wenn ihr unsere Investments nicht rettet, dann müsst ihr uns retten!".

Nach der bereits vor Jahren erfolgten Aufweichung des Stabilitätspakts von Maastricht brachen nun die letzten Dämme. Entgegen allen vorherigen Aussagen der Politiker und Notenbanker können sich die Länder wider alle rechtlichen Grundlagen jetzt direkt über die EU und indirekt über die EZB finanzieren, wenn sie anderweitig kein Geld mehr bekommen. Das Vertrauen in eine der Geldwertstabilität verpflichtete Politik der EZB schmolz dahin.

Vor diesem Hintergrund sind die im Juni erreichten neuen Goldrekordpreise von 1.265 Dollar und 1.045 Euro nicht verwunderlich. Auch deutsche Bundesanleihen und US-Treasuries profitierten als Einäugige unter den Blinden von der Flucht in den vermeintlich sicheren Hafen.

Die Aktienmärkte zeigten ein hektisches Auf und Ab zwischen himmelhoch jauchzend (gute Unternehmenszahlen) und zu Tode betrübt (Sorgen um die konjunkturelle Entwicklung). Am Ende des ersten Halbjahres überwogen die Verluste, wobei sich der DAX-Index als Exportprofiteur noch vergleichsweise gut halten konnte.


II. Ausblick

Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt


Der Konjunkturhimmel scheint wieder blau. Vor allem in den Schwellenländern boomt es. Das Land wird möglicherweise schon dieses Jahr Japan als zweitgrößte Industrienation der Welt ablösen und sich, so die Hoffnung, dann allmählich vom Weltproduktions- zum Weltabsatzmarkt entwickeln.

Viele deutsche Unternehmer, die die Exportwertschöpfungskette beliefern, berichten von einer extrem positiven Auftragsentwicklung. Die Kurzarbeit wird drastisch reduziert, Zeitarbeitskräfte wieder eingestellt und Sonderschichten gefahren. Die Arbeitslosenquote in Deutschland ist fast auf ein 20-Jahrestief gefallen, was nicht zuletzt auf die vom Ausland kritisierte gestiegene Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zurückzuführen ist.

Die Kehrseite dieses Sommermärchens ist die Abhängigkeit der westlichen Industrienationen von den neuen Wachstumsregionen. Dies gilt vor allem für konjunktursensitive Unternehmen, die zuletzt Ende 2008 gespürt haben, was ein chinesischer Schnupfen bedeuten kann. Die jüngsten Wirtschaftsmeldungen deuten bereits auf eine leichte Abschwächung hin, wenngleich auf sehr hohem Niveau. Die negativen Reaktionen der Börsen auf die sich abzeichnende Verschnaufpause in China verdeutlichen, wie hoch die Bedeutung der Schwellenmärkte inzwischen für das Weltwirtschaftswachstum geworden ist, denn in den USA und Europa kann noch nicht von einem selbsttragenden Aufschwung gesprochen werden.

Und so wecken die jüngsten Kursverluste an den Aktienmärkten, die ganz im Gegensatz zu den guten Unternehmensdaten stehen, Erinnerungen an das Frühjahr 2008.

Unser schon häufiger strapaziertes Origamivogel-Konjunkturbild verdeutlicht, wie viel Schwung die aktuelle Konjunkturbelebung hat. Der weitere Verlauf hängt stark vom Binnenwachstum in den Schwellenländern und den Auswirkungen der Sparmaßnahmen der hochverschuldeten europäischen Staaten ab. Da auch die Konjunkturprogramme langsam auslaufen und der Lageraufbau der Unternehmen weitgehend abgeschlossen ist, dürfte sich die Wachstumsdynamik im Laufe des zweiten Halbjahres abschwächen.

Open in new window
Grafik 1 (Quelle: Flossbach & von Storch; Eurostat)


Im schlimmsten Fall würde diese zu dem in jüngster Zeit wieder häufiger zitierten „Double Dip“ führen. Aber: Die Staaten können sich keine zweite Rezession so kurz nach der Finanzkrise leisten!





Bewerten 
A A A
PDF Versenden Drucken

Für den Inhalt des Beitrages ist allein der Autor verantwortlich bzw. die aufgeführte Quelle. Bild- oder Filmrechte liegen beim Autor/Quelle bzw. bei der vom ihm benannten Quelle. Bei Übersetzungen können Fehler nicht ausgeschlossen werden. Der vertretene Standpunkt eines Autors spiegelt generell nicht die Meinung des Webseiten-Betreibers wieder. Mittels der Veröffentlichung will dieser lediglich ein pluralistisches Meinungsbild darstellen. Direkte oder indirekte Aussagen in einem Beitrag stellen keinerlei Aufforderung zum Kauf-/Verkauf von Wertpapieren dar. Wir wehren uns gegen jede Form von Hass, Diskriminierung und Verletzung der Menschenwürde. Beachten Sie bitte auch unsere AGB/Disclaimer!




Alle Angaben ohne Gewähr! Copyright © by GoldSeiten.de 1999-2024.
Die Reproduktion, Modifikation oder Verwendung der Inhalte ganz oder teilweise ohne schriftliche Genehmigung ist untersagt!

"Wir weisen Sie ausdrücklich auf unser virtuelles Hausrecht hin!"