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Inklusen-Bernsteine: Mumienschreine der Urzeit, wertvolle Siegel der Jetztzeit

16.07.2005  |  Hans Jörg Müllenmeister
Bernstein-Amulette schmückten schon unsere Urahnen aus der Steinzeit. Dem fossilen Harz maß man als Kultgegenstand eine magische Bedeutung zu. Als Zeitkapsel versiegelte der Bernstein vereinzelt auch Organismen vergangener Erdepochen. Diese wertvollen seltene Objekte sind heute begehrt, gesucht und hoch dotiert.


Bernstein - Begleiter in allen Kulturepochen

Im Altertum versprach sich Hippokrates vom "Gold der Ostsee" heilende Wirkung. Präkolumbianischer Bernstein, indianisch "apoconalli", fand man in den Pyramidengräbern in Mexiko. Kolumbus führte Baltische Bernsteinperlen als Gastgeschenk mit auf eine karibische Insel, die er Hispaniola nannte. Bei seiner zweiten Reise wurde ihm klar, dass er Eulen nach Athen trug, denn für die Ureinwohner, die Taíno-Indianer, war Bernstein nichts neues, längst bearbeiteten sie ihren heimatlichen - heutigen - Dominikanischen Bernstein (ambar). Im alten Rom ließ der Bernsteinfan Kaiser Nero Geräte der Gladiatorenkämpfe reich mit Bernstein verzieren. Im Mittelalter schmückte Bernstein sakrale Gegenstände wie Rosenkranz, Kruzifix und Altartäfelchen; aber auch profane Dinge wie Etuis, Schnupftabakdosen und Schalen. Nicht zuletzt sei an das legendäre Bernsteinzimmer erinnert, das 1713 Zar Peter I. zum Geschenk gemacht wurde. Einige Bernsteinutensilien von hohem Wert wie Kabinett-Schränkchen, Kästchen und Ketten in feinster Verarbeitung überdauerten Jahrhunderte.


Wie alt ist Bernstein; was ist Kopal?

Kurz zum Bernstein selbst, einem Stoff mit der chemischen Formel C10H16O, der allein zum Reifen je nach Fundstätte, 23 Mio. (Karibik) bis 125 Mio. Jahre (Libanon) brauchte. Aus dem frischen Harz der Kiefer (Pinus succinifera) über das Zwischenstadium Kopal (Alter deutlich unter 1 Mio. Jahre), reifte in 55 Mio. Jahre der begehrte Bernstein des Baltikums. Neben diesen klassischen Vorkommen aus dem Ostseeraum gibt es wirtschaftlich bedeutende Bernsteinfunde aus der Dominikanischen Republik; diese sind dem Baltischen Succinit qualitativ an Transparenz und "Innenleben", an sogenannten Inklusen, überlegen.


Inklusenbernsteine bewahren Lebensszenen der Vorzeit

Auf rare, museale Prunkstücke möchte ich die Aufmerksamkeit des Lesers nicht lenken, vielmehr auf eine einzigartige Eigenschaft des Bernsteins, der ihn zu einem begehrten Wertobjekt erhebt: Bernstein ist als bester natürliche Biokonservator ein bedeutender Informationsträger unserer Erdgeschichte. Im Gegensatz zu flachgedrückten, sedimentären Fossilablagerungen im Schiefer, der nur abgestorbenes Leben bewahrt, kann fossiles Harz Rudimente der Fauna und Flora als "eingefrorene" dreidimensionale Lebensbilder beherbergen. Von diesen faszinierenden - den Inklusenbernsteinen - sei hier die Rede, vor allem von sogenannten Aktionsbernsteinen, die eine hohe Wertschätzung genießen. Die größte Wertkonzentration eines Inklusensteins, der mir je unterkam, war ein Inklusenstein mit einem abgerissen Eidechsenköpfchen, nicht größer als ein Stück Würfelzucker; dieser Stein kostete etwa 20 mal soviel wie Gold gleichen Volumens.


Kaliningrad ist kein Bernsteinmekka für Käufer von Inklusensteine

In meiner Praxis konnte ich beobachten, dass die Preise für Inklusenbernstein erheblich mit dem Angebot schwanken, das in Rußland durch die Bernstein-Maffia gesteuert wird. Dazu ein paar Fakten zu "normalem" Bernstein: Das russische Kombinat aus Kaliningrad (Königsberg) schöpft mit Braunkohlebaggern aus der blauen Erde etwa 4 kg Rohbernstein pro Tonne. Nur 13% wandert in die Schmuckindustrie. Der Rest, der Technischer Bernstein, wird zu Ölen, Lacken und Säure verarbeitet. Über 80% der Schmuckbernsteine wird in Autoklaven bei 220°C temperaturbehandelt, um ihnen die Trübung durch Lufteinschlüsse zu nehmen - sie zu klären. Eine weitere Aufbesserung des Naturprodukts Bernstein ist das "Blitzen". Durch einen Temperaturschock entstehen im Steininnern rosettenartige Spiegelflächen, die echte Inklusen (Einschlüsse) vortäuschen sollen. Der inzwischen angestiegene Kilopreis für Bernsteinperlen in Kaliningrad liegt z.Z. bei 60 Dollar, und ist damit 4mal so teuer wie Rohbernstein. Für eine Bernsteinkette zahlt man 40 Rubel; das sind 1,25 Euro. Ein größeres Bernsteinstück erreicht einen Preis von 1.000 US$ je Kilogramm. Während in Kaliningrad 400 Tonne auf Halde liegen, fördert man seit 150 Jahren hunderte Tonnen pro Jahr. 6.600 Tonnen sollen noch auf Abbau warten. Zur Zeit kommen kaum noch Inklusensteine, weder aus dem Baltikum noch aus der Dom Rep. Übrigens Inklusenbernstein würden durch Wärmebehandung Schaden erleiden. Soweit die augenblickliche Lage, die aber nur das Umfeld des Fürsten unter den Bernsteinen, den "Aktionsbernstein", schildert.


Was macht Inklusenbernsteine so wertvoll?

Unter Zehntausenden von Bernsteinen befinden sich nur vereinzelt ein Stück mit einem perfekten, seltenen Fossileinschluß, etwa ein Skorpion. Dafür zahlt man vierstellige Summen. So ein harzversiegeltes Schaufenster ins Erdmittelalter muß verschiedene Kriterien erfüllen, um wirklich als perfekt zu gelten. Der umgebene Bernstein sollte klar sein und eine polierte Oberfläche haben, das Fossil sollte gut sichtbar plaziert und möglichst komplett erhalten sein. Ausschlaggebend für den Preis ist allerdings die Seltenheit des Einschlusses. Wirbeltiere wie Geckos, Leguane oder Frösche sind von hohem paläontologischen Wert und erzielen wegen ihrer Seltenheit astronomische Preise in der Szene. Bis jetzt sind m. W. insgesamt nur fünf Frösche im Bernstein gefunden worden, und zwar nur im Dominikanischen Bernstein; einige "Echtfrösche" sind einfach geschickt gefälscht.


Wertvolle Glücksfunde unter Bernsteinabfall

Über Jahre hinweg erhielt ich perfekte und preiswerte Inklusensteine nicht etwa aus dem Baltikum, sondern aus der Dominikanischen Republik. Dagegen verbarg sich im Baltischen Bernstein unter Tausenden von Tonnen bisher kein einziges Wirbeltier als Inkluse. Wenn man keinen direkten "Draht" zum Fundort hat, kann man auf Mineralienbörsen interessantes Material sichten und sogar fündig werden. Jemand mit paläontologisch geschultem Auge, bewaffnet mit einer 10fach-Diamantenlupe, macht gar nicht so selten ein Schnäppchen, da unkundige Bernsteinverkäufer ihre "Objekte" nicht genügend kennen. So wurde mir in den 60er Jahren einmal ein Spinne für wenig Geld angeboten, ein Meisterwerk einer Bernsteinkonservierung. In der Tat handelte es sich um die "Schwester" der Spinnentiere, eine seltene Geißelspinne mit dornenbespicktem Fangkorb und dem namengebenden, geißelförmig verlängertem Beinpaar: Das erste komplett erhaltene Exemplar (Holotypus, s. Bild) seiner Art von hohem wissenschaftlichem Wert. Ein Händler in der Dom. Rep. erzählte mir einmal, dass er Abfallstücke von Bernsteinen für ein paar Dollar aufgekauft hätte. Nach dem Schleifen entpuppte sich einer dieser Steine als sensationell kostbarer Fund, denn der Wirbelsäulenabschnitt eines Leguans kam zum Vorschein. Raritäten sind Skorpione oder Kugelfinger-Geckos, die vom klebrigen Harztod vor mehr als 20 Millionen Jahre überrollt wurden. Selbst kunstvolle Naturbauwerke wie das spindelförmige Gehäuse einer Turmschnecke, die zerborstene Eischale eines Leguans oder die Daunenfeder eines Tropenvogels hält die gläserne Schatztruhe versiegelt. Viel seltener als man vermutet, überliefert uns der Bernstein Relikte der Flora, obschon diese Organismen am Waldboden vor dem Harz nicht "weglaufen" konnten. Raritäten sind Laubflechten, Moose, Schlauchpilze, Staubblätter und Samenkörner.


Faszinierende Momentaufnahmen aus dem Tertiär

Für besonders seltene Inklusensteine gibt es immer einen Markt. Kenner begnügen sich nicht allein mit dem Besitz der Fossilienschreine. So erschließt sich beim Mikroskopieren von Inklusen die unnachahmliche Faszination und Ästhetik längst verschollener Naturbilder. Je mehr man sich mit dieser spannenden Materie beschäftigt, um so mehr gerät man in den Bann dieses Natursteins, speicherte er doch gelegentlich wahre Dschungeldramen. Man nennt diese Stücke Aktionsbernsteine. Diese zeigen z.B. spannende Kampfszenen zwischen einer Jagdspinne und einer Zikade oder eine Gottesanbeterin, die gerade ein Insekt als ihre Henkersmahlzeit im Visier hat und dabei selbst vom klebrigen Harztod überrascht wird. Selbst Lebensgewohnheiten der Fauna aus dem Alttertiär blieben uns als Momentaufnahme in der Zeitkapsel Bernstein erhalten: ein winziger Pseudoskorpion, der sich als anhaftender blinder Passagier von einer Biene durch die Lüfte tragen ließ; eine Grabwespe, die gerade ihr Ei in eine fette Raupe als Wegzehrung für ihr Nachkommen ablegte, der Eikokon einer Spinne oder die eigebärende Zuckmücke als Reflex vor dem nahen Klebetod. Sogar Massenfänge von Insekten von mehr als Hundert Tieren oder verschiedene Tiergruppen als Grabgemeinschaft (Thanatozönose) wurden im Dominikanischen Bernstein gesichtet. Riesenstücke von über 10 kg sind auch bekannt geworden, sogar blauer Bernstein.


Vorsicht bei Artefakten von Inklusenbernstein

Eine Reihe Fälschungsmöglichkeiten gibt es für Bernsteininklusen. Man legt z.B. ein rezentes - ein heute lebendes - getrocknetes Insekt in eine Kunststoffmasse mit Schwebeteilchen ein. Diese Schwebeteilchen konnte ich seinerzeit als geschwärzte Papierschnitzel entlarven; sie sollten natürliche Einschlüsse vortäuschen. Meist verrät einem geübten Laien schon das "frische Auge" des Insekts die Fälschung. Außerdem, eine heiße Nadel auf den "Bernstein" gedrückt, verursacht einen unangenehmen Geruch nach Chemie. Bernstein würde aromatisch riechen.

Bei der "hochstehenden" russische Fälscherkunst wird der Bernstein entlang einer Schlaube eröffnet und soweit erweitert, dass ein eingeklebtes rezentes Tier gerade im geschaffenen Hohlraum Platz findet. Eine Schlaube ist übrigens eine natürliche Wachstumsebene zwischen zwei aufeinanderfolgenden Harzschüben. Selbst "frühreifer" Bernstein, der Kopal, wird von Fälschern entsprechend aufbereitet. Im Autoklaven erhält er Bernsteinhärte, einschließlich der zuvor hinein praktizierten Insekten, um Inklusenbernstein vorzutäuschen. Bei einem aus Madagaskar stammenden behandelten Kopal mit geflügelten Termiten als Inkluse entdeckte ich unter dem Mikroskop, oh, Wunder, ein menschliches schwarzes Kraushaar. Was für ein "Sensationsfund": Gab es denn vor 20 Millionen Jahre auf unserem Planeten schon Afrikaner?


© Hans Jörg Müllenmeister



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