Gold und die Macht der Emotionen
01.08.2010 | Manfred Gburek
Nachdem der Goldpreis in der abgelaufenen Woche etwas gefallen war, argumentierten die meisten Kommentatoren sinngemäß so: Konjunktur, Unternehmensdaten und weitere Rahmenbedingungen alles in Butter, also gehen Anleger wieder größere Risiken ein (was immer das heißen mag) und lassen das Gold als sichere Anlage links liegen. Die logische Konsequenz aus Sicht dieser Kommentatoren würde dann beim nächsten Preisanstieg des Edelmetalls bedeuten: Konjunktur etc. doch nicht so toll, also fliehen Anleger ins Gold. Das ist in dieser Schlichtheit natürlich großer Unsinn, weil die Goldnachfrage ja nicht nur von Angsthasen herrührt, sondern auch von Investoren, die ganz einfach ihren Reichtum auf eine breite Basis stellen wollen.
Als am Freitagnachmittag unserer Zeit die Daten zum US-Wirtschaftswachstum bekannt wurden, gab der Goldpreis seinen Anstieg vom Vormittag innerhalb weniger Minuten wieder ganz her, drehte danach aber umso kräftiger nach oben und mit ihm der Silberpreis. Was war geschehen? Die folgende Meldung hatte die Börsianer erreicht: US-Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal, auf Jahresbasis umgerechnet, nur um 2,4 Prozent gestiegen; erwartet worden war ein Anstieg um 2,5 Prozent. Folglich hätte doch der Goldpreis durch die Käufe von Angsthasen direkt steigen müssen. Dass er zunächst das Gegenteil tat, war gewiss allen möglichen denkbaren Einflüssen zuzuschreiben, von der Sorge um eine Deflation bis zur Preismanipulation, nur nicht der minimalen Differenz zwischen 2,5 und 2,4 Prozent beim Wirtschaftswachstum. Offenbar spinnen die Börsianer. Oder besser gesagt: Sie sind verunsichert, weil ihnen jegliche Bewertungsmaßstäbe abhanden gekommen sind.
Ich habe monokausale Begründungen wie die eingangs erwähnte hier schon mehrfach aufs Korn genommen und tue das heute wieder, weil sie eine typische Begleiterscheinung von Schaukelbörsen sind. Das heißt, die gängigen Aktienindizes bewegen sich seit Jahresbeginn in einer engen Bandbreite hin und her, da müssen Banker und Broker mit allerlei das Trading anregenden Argumenten schon gehörig nachhelfen, damit doch noch das eine oder andere Geschäft für sie herausspringt. Gold trägt dann halt einen - zumindest verbalen - Kollateralschaden davon. Erst wenn sein Preis wieder heftig nach beiden Seiten ausschlägt (wie am Freitag), sind Banker und Broker zufrieden.
Warum das alles möglich ist, ergibt sich aus der zunehmend um sich greifenden Unsicherheit in Bezug auf die Bewertung jeglicher Anlagen. Bleiben wir zunächst beim Gold. Sein Preis steigt seit über neun Jahren, seit 2009 zusätzlich angetrieben durch enorme Geldmengen und ausufernde Schulden weltweit. Da diese beiden Phänomene uns noch länger begleiten dürften, ist davon auszugehen, dass der Goldpreis im Trend weiter steigen wird. Wie hoch, hängt davon ab, welchen Gleichgewichtspreis Goldkäufer und -verkäufer dem Edelmetall am Ende zubilligen und wann andere Anlagen im Vergleich zum Gold so lukrativ erscheinen, dass die Goldkäufer von heute zu Käufern anderer Anlagen von morgen werden.
Welche Anlagen kommen dann in Betracht? Da diese Frage sich heute noch nicht beantworten lässt, sei hier ein extremes Beispiel mit Aktien und Anleihen durchgerechnet, das wenigstens einen Anhaltspunkt vermittelt: Die Aktien des Euro-Stoxx haben aufgrund von Analystenschätzungen zurzeit ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 10,7, basierend auf den für 2010 erwarteten Unternehmensgewinnen. Die Umlaufrendite deutscher Bundesanleihen beträgt 2,35 Prozent. Die dem KGV adäquate Kennzahl für Bundesanleihen ergibt sich, indem man 100 (Nominalwert der Anleihen, also üblicher Kurs zum Zeitpunkt der Rückzahlung) durch 2,35 dividiert. Ergebnis: 42,6, also fast das Vierfache vom Aktien-KGV 10,7. Allein von daher gesehen müssten Anleger geradezu aus Bundesanleihen fliehen. Aber sie tun es nicht. Das heißt, entweder stimmen die Bewertungsmaßstäbe nicht mehr, oder die Anleger handeln emotional statt rational - oder beides kommt zusammen, die wahrscheinlichste Variante.
Dass in so einem Umfeld das Trading dominiert und Banker dieses im eigenen Provisions-Interesse auch noch nach Kräften fördern, liegt auf der Hand. Doch wie sollen sich Langfristanleger verhalten? Sie müssen, wie an dieser Stelle schon mehrfach betont, Geduld haben - nicht bis zum Sanktnimmerleinstag, sondern einfach nur die nächsten Monate. Wer Gold (und Silber) besitzt, kann, wie bereits erwähnt, auf die folgenden drei Faktoren bauen: Geldmengen, Schulden und Anlegeremotionen. Dazu wird sich später die Inflation gesellen.
Das Timing - das heißt, in welchem Monat genau die Preise von Gold und Silber zum nächsten großen Sprung nach oben ansetzen - hängt auch von konkurrierenden Anlagen ab, vor allem von Aktien und Anleihen. Bewegen die Aktienkurse sich weiter im Zickzack seitwärts, hilft das den Edelmetallpreisen eher, als dass es ihnen schadet. Dasselbe gilt wahrscheinlich auch bei abwärts gerichteten, weniger dagegen bei nach oben strebenden Aktienkursen. Konkretere Signale sind von den Kursen der Anleihen und ihren reziproken Werten, den Renditen, zu erwarten. Im Fall eines kräftigen Renditeanstiegs dürften Gold und Silber geradezu nach oben schießen, weil ein solcher Anstieg signalisieren würde, dass das internationale Schuldenproblem nicht mehr in den Griff zu bekommen ist.
Sobald die Edelmetallpreise von Emotionen erfasst werden, dürfte es hier zu heftigen Übertreibungen nach oben kommen, zwischenzeitlich zwar auch zu kräftigen Korrekturen nach unten, per Saldo aber zu hohen Gewinnen. Auch wenn Vergleiche immer ein wenig hinken, sei an dieser Stelle doch an die Technologieblase am Neuen Markt in Deutschland und an der Nasdaq in den USA vor der Jahrtausendwende erinnert. Emotionen sind nämlich marktübergreifend; zuletzt haben sie bis 2007 den Häusermarkt in Spanien, in Großbritannien und in den USA so lange nach oben gepuscht, bis auf einmal nichts mehr ging. An den Edelmetallmärkten dominieren, sieht man vom kurzen Intermezzo in diesem Mai ab, längst noch nicht die Emotionen - und das ist auch gut so, jedenfalls für alle, die hier engagiert sind.
© Manfred Gburek
www.gburek.eu
Herr Gburek ist Fachjournalist und Buchautor. Seine letzten Werke waren: "Das Goldbuch" (2005), das Wörterbuch "Geld und Gold klipp und klar von A bis Z" (2007) und "Die 382 dümmsten Sprüche der Banker" (2008).
Als am Freitagnachmittag unserer Zeit die Daten zum US-Wirtschaftswachstum bekannt wurden, gab der Goldpreis seinen Anstieg vom Vormittag innerhalb weniger Minuten wieder ganz her, drehte danach aber umso kräftiger nach oben und mit ihm der Silberpreis. Was war geschehen? Die folgende Meldung hatte die Börsianer erreicht: US-Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal, auf Jahresbasis umgerechnet, nur um 2,4 Prozent gestiegen; erwartet worden war ein Anstieg um 2,5 Prozent. Folglich hätte doch der Goldpreis durch die Käufe von Angsthasen direkt steigen müssen. Dass er zunächst das Gegenteil tat, war gewiss allen möglichen denkbaren Einflüssen zuzuschreiben, von der Sorge um eine Deflation bis zur Preismanipulation, nur nicht der minimalen Differenz zwischen 2,5 und 2,4 Prozent beim Wirtschaftswachstum. Offenbar spinnen die Börsianer. Oder besser gesagt: Sie sind verunsichert, weil ihnen jegliche Bewertungsmaßstäbe abhanden gekommen sind.
Ich habe monokausale Begründungen wie die eingangs erwähnte hier schon mehrfach aufs Korn genommen und tue das heute wieder, weil sie eine typische Begleiterscheinung von Schaukelbörsen sind. Das heißt, die gängigen Aktienindizes bewegen sich seit Jahresbeginn in einer engen Bandbreite hin und her, da müssen Banker und Broker mit allerlei das Trading anregenden Argumenten schon gehörig nachhelfen, damit doch noch das eine oder andere Geschäft für sie herausspringt. Gold trägt dann halt einen - zumindest verbalen - Kollateralschaden davon. Erst wenn sein Preis wieder heftig nach beiden Seiten ausschlägt (wie am Freitag), sind Banker und Broker zufrieden.
Warum das alles möglich ist, ergibt sich aus der zunehmend um sich greifenden Unsicherheit in Bezug auf die Bewertung jeglicher Anlagen. Bleiben wir zunächst beim Gold. Sein Preis steigt seit über neun Jahren, seit 2009 zusätzlich angetrieben durch enorme Geldmengen und ausufernde Schulden weltweit. Da diese beiden Phänomene uns noch länger begleiten dürften, ist davon auszugehen, dass der Goldpreis im Trend weiter steigen wird. Wie hoch, hängt davon ab, welchen Gleichgewichtspreis Goldkäufer und -verkäufer dem Edelmetall am Ende zubilligen und wann andere Anlagen im Vergleich zum Gold so lukrativ erscheinen, dass die Goldkäufer von heute zu Käufern anderer Anlagen von morgen werden.
Welche Anlagen kommen dann in Betracht? Da diese Frage sich heute noch nicht beantworten lässt, sei hier ein extremes Beispiel mit Aktien und Anleihen durchgerechnet, das wenigstens einen Anhaltspunkt vermittelt: Die Aktien des Euro-Stoxx haben aufgrund von Analystenschätzungen zurzeit ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 10,7, basierend auf den für 2010 erwarteten Unternehmensgewinnen. Die Umlaufrendite deutscher Bundesanleihen beträgt 2,35 Prozent. Die dem KGV adäquate Kennzahl für Bundesanleihen ergibt sich, indem man 100 (Nominalwert der Anleihen, also üblicher Kurs zum Zeitpunkt der Rückzahlung) durch 2,35 dividiert. Ergebnis: 42,6, also fast das Vierfache vom Aktien-KGV 10,7. Allein von daher gesehen müssten Anleger geradezu aus Bundesanleihen fliehen. Aber sie tun es nicht. Das heißt, entweder stimmen die Bewertungsmaßstäbe nicht mehr, oder die Anleger handeln emotional statt rational - oder beides kommt zusammen, die wahrscheinlichste Variante.
Dass in so einem Umfeld das Trading dominiert und Banker dieses im eigenen Provisions-Interesse auch noch nach Kräften fördern, liegt auf der Hand. Doch wie sollen sich Langfristanleger verhalten? Sie müssen, wie an dieser Stelle schon mehrfach betont, Geduld haben - nicht bis zum Sanktnimmerleinstag, sondern einfach nur die nächsten Monate. Wer Gold (und Silber) besitzt, kann, wie bereits erwähnt, auf die folgenden drei Faktoren bauen: Geldmengen, Schulden und Anlegeremotionen. Dazu wird sich später die Inflation gesellen.
Das Timing - das heißt, in welchem Monat genau die Preise von Gold und Silber zum nächsten großen Sprung nach oben ansetzen - hängt auch von konkurrierenden Anlagen ab, vor allem von Aktien und Anleihen. Bewegen die Aktienkurse sich weiter im Zickzack seitwärts, hilft das den Edelmetallpreisen eher, als dass es ihnen schadet. Dasselbe gilt wahrscheinlich auch bei abwärts gerichteten, weniger dagegen bei nach oben strebenden Aktienkursen. Konkretere Signale sind von den Kursen der Anleihen und ihren reziproken Werten, den Renditen, zu erwarten. Im Fall eines kräftigen Renditeanstiegs dürften Gold und Silber geradezu nach oben schießen, weil ein solcher Anstieg signalisieren würde, dass das internationale Schuldenproblem nicht mehr in den Griff zu bekommen ist.
Sobald die Edelmetallpreise von Emotionen erfasst werden, dürfte es hier zu heftigen Übertreibungen nach oben kommen, zwischenzeitlich zwar auch zu kräftigen Korrekturen nach unten, per Saldo aber zu hohen Gewinnen. Auch wenn Vergleiche immer ein wenig hinken, sei an dieser Stelle doch an die Technologieblase am Neuen Markt in Deutschland und an der Nasdaq in den USA vor der Jahrtausendwende erinnert. Emotionen sind nämlich marktübergreifend; zuletzt haben sie bis 2007 den Häusermarkt in Spanien, in Großbritannien und in den USA so lange nach oben gepuscht, bis auf einmal nichts mehr ging. An den Edelmetallmärkten dominieren, sieht man vom kurzen Intermezzo in diesem Mai ab, längst noch nicht die Emotionen - und das ist auch gut so, jedenfalls für alle, die hier engagiert sind.
© Manfred Gburek
www.gburek.eu
Herr Gburek ist Fachjournalist und Buchautor. Seine letzten Werke waren: "Das Goldbuch" (2005), das Wörterbuch "Geld und Gold klipp und klar von A bis Z" (2007) und "Die 382 dümmsten Sprüche der Banker" (2008).