Schuldenkrise? Bei uns nicht!
05.12.2010 | Klaus Singer
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Die Akteure an den Finanzmärkten fokussieren jetzt das Jahresende und als nächstes die Marke von 1228 im S&P500. Wenn die fällt (ein neues Jahreshoch hat der Index schon markiert), dann steht 1240/1250 auf der Tagesordnung - vielleicht auch noch mehr.Man ist jedenfalls wieder im "Verdrängungs-Mode". Da interessiert es auch nicht weiter, dass die europäische Kommission in dieser Woche ihre Wachstums-Prognose für die Eurozone auf 1,5% reduziert hat. Wie sollen angesichts solch geringen Wachstums die Schulden jemals zurückgezahlt werden?
Aber die Frage stellt sich in der oberen Etage der Finanzindustrie schon lange niemand mehr ernsthaft. Das schöne Spiel "die Reise nach Jerusalem", das man schon vor dem offenen Ausbruch der Immobilienkrise so geübt hatte, wird weiter gespielt. Dass nicht genügend Stühle da sind, wenn die Musik zu spielen aufhört, daran denkt wieder einmal niemand. Schon gar nicht daran, dass es vielleicht gar keine mehr gibt.
Wie sagte Bundesfinanzminister Schäuble vor Kurzem in der haushaltspolitischen Debatte im Bundestag: "Wir schwimmen nicht im Geld, wir ertrinken allenfalls in Schulden." Leider nur die halbe Wahrheit, denn richtig ist: "Wir ertrinken in Schulden und schwimmen in Geld".
Aber was ist das? Trotz QE2-Trunkenheitsfahrt der Finanzmärkte sind die 10-jährigen Renditen in den USA in den zurückliegenden vier Wochen von rund 2,6 auf 3,0% gestiegen. Das liegt nicht etwa daran, dass die Fed bisher von ihrem QE2-Programm mit 600 Mrd. Dollar keinen Gebrauch gemacht hat. Nein, sie hat seit vier Wochen Tag für Tag Treasuries im Wert von rund 5 Mrd. Dollar gekauft. Dieselbe Entwicklung bei den Zinsen gibt es übrigens auch in Europa.
Dies steht ganz im Gegensatz zum ersten Ausbruch der Euro-Schuldenkrise. Mitte April lag die 10-jährige Rendite in den USA bei 3,9, Anfang Juni bei 3,1 und Ende August bei 2,5%. Seinerzeit galten also Staatsanleihen noch als Zuflucht, während Aktien verkauft wurden.
Sind das Vorboten der Erkenntnis, Anleihen sind doch nicht der sichere Hafen wie in der Vergangenheit? Eine ähnliche Entwicklung gibt es übrigens auch bei den Unternehmensanleihen. Deren Kurse fallen ebenfalls, wie ETF-Kurse auf diese Anlagegattung zeigen (siehe Chart!). Ein aus verschiedenen Anleiheindikatoren konstruierter, das Sentiment hinsichtlich Bonitäts-Risiko messender Index weist aufwärts (siehe Chart!), d.h. es wird hier ein zunehmendes Insolvenz-Risiko gesehen, und zwar genauso wie im Mai/Juni (und z.B. auch im Herbst 2008 und Frühjahr 2009).
Oder, da Aktien in der jüngeren Vergangenheit des zweiten Ausbruchs der Euro-Schuldenkrise trotz starker Überkauftheit eine bemerkenswerte Festigkeit bewiesen haben: Ist der Abverkauf von Anleihen Zeichen der Erwartung einer sich weiter festigenden konjunkturellen Erholung?
Für "Ja" als Antwort auf die zweite Frage spricht, dass im Mai/Juni zeitgleich zum ersten Ausbruch der Euro-Schuldenkrise überall vom "double-dip" die Rede war. Davon spricht jetzt niemand mehr, alle hoffen nur auf das zarte Pflänzchen "Aufschwung".
Noch deutet wenig darauf hin, dass die QE2-Trunkenheitsfahrt zu Ende geht. Aber Vorsicht ist angebracht. Bullische Stärke und Ignoranz rücken immer näher zusammen.
Erwähnte Charts können über diesen Link eingesehen werden: www.timepatternanalysis.de
© Klaus G. Singer
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