Nobelpreis für Graphen: genialer Stoff der Zukunft
15.01.2011 | Hans Jörg Müllenmeister
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Und jetzt wird’s abermals spannend, denn die Nobelpreisträger Geim und Novoselov setzten den Tesafilm bei ihren Versuchen ein. Sie nutzten die Adhäsionskraft des Klebebandes, um die geringen sogenannten Van-der-Waals-Kräfte zwischen den einzelnen Graphenschichten zu überwinden. Dabei drückten sie ein Klebeband auf einen Graphitblock und zogen es schnell ab: herausgelöste Partikel blieben am Klebstoff haften. Dieses Band lässt sich dann auf einen mit Fotolack beschichteten Silicium-Wafer (Si-Mikroplättchen) drücken und nochmals abziehen. Nach seinem Entfernen bleiben Partikel auf der Oberfläche der Fotolackschicht zurück. Nach Auflösen dieser Schicht haften schließlich einige Graphenpartikel an der Waferoberfläche. Die Graphenschichten sind dünner als 50 Nanometer und fast transparent. Die Präparation von Graphen ist inzwischen soweit gelungen, dass man einzelne Graphenlagen und ultradünne Graphitschichten erzeugen kann. Es gibt unterschiedliche Ansätze, Graphen zu gewinnen: mechanisch oder chemisch, aber auch durch kristallines Ausscheiden auf Siliciumcarbid.
Elektronisch unschlagbar
Eins steht jetzt schon fest: Die nur ein Atom dicke Schicht leitet Wärme besser als Kupfer und Diamant - übrigens die Kohlenstoffmodifikation mit der dichtesten Kugelpackung an C-Atomen. Ungewöhnlich hoch ist auch die Mobilität der Ladungsträger; sie bewegen sich durch Graphen so schnell wie durch kein anderes bekanntes Material. Gegen diese Graphenhalbleiter wären die heutigen Silicium-Chipkollegen lahme Schnecken: Computer in Graphentechnologie würden wesentlich schneller - also leistungsfähiger. Aufgrund seiner elektrischen und optischen Eigenschaften ist Graphen auch zum Bau von Touch-Screen-Monitoren geeignet. Auch der sagenumwobene Quantencomputer rückt in greifbare Nähe.
Graphen: preiswerter Nachfolger des teuren Indiums
Bisher vereint Indium mit Zinn als einzige Substanz zwei außergewöhnliche Materialeigenschaften: Transparenz in Dünnschichten und elektrische Leitfähigkeit. Als durchsichtige Indiumzinnoxid-Elektroden in Solarzellen, Flüssigkristallen und Flachbildschirmen massenhaft gefragt, verblieben von den Weltvorräten an Indium nur noch einige Tausend Tonnen. Allein 2005 verbrauchte die Hightechwelt 850 Tonnen des kostbaren Guts. Der Countdown für Indium läuft, sein Aus droht in wenigen Jahren. Schon frohlocken wir als Rohstofffans und spekulieren auf einen extremen Preisanstieg durch den zunehmenden Verknappungseffekt. Doch Vorsicht, es ist absehbar, dass Graphen hier dem etablierten Indium in Zukunft den Garaus macht, denn genau diese exquisiten Eigenschaften vereint das wesentlich preiswertere Graphen. Bereits jetzt haben Max-Planck-Wissenschaftler dazu ein neues Verfahren entwickelt. Die dafür notwendigen Filme aus Graphen haben eine Dicke von unter zehn Nanometer. Das sind 30 "atomar glatte" Schichten.
Kunstnase auf Graphen gebettet
Genau wie natürliche Nasen, besteht ein chemischer Riechsensor aus zahlreichen Einzelsensoren, die jeweils einzelne Duftmoleküle erkennen. Statt wie bisher aberhundert duftspezifischer Mikrosensoren in einer "elektronischen Nase", soll ein neuartiger chemischer Sensor die gleiche "Riechvielfalt" entwickeln. Zudem ist diese künstliche Spürnase im Prinzip einfach aufgebaut. Sie besteht nur aus zwei Materialien: dem Graphen - eine nur atomdicke Kohlenstoffschicht - und aufgepfropften DNA-Abschnitten. Diese Erbgut-Moleküle als Sensoren besitzen elektronisch auswertbare Eigenschaften. Kommen nämlich Duftmolekülen mit ihnen in Kontakt, verändert sich der elektrische Widerstand der DNA-Stränge um bis zu 50 Prozent. Einfach genial - helfen doch diese Kunstnasen künftig, Krankheiten in Kliniken zu dedektieren, Giftstoffe in Industrieprodukten aufzudecken und Sprengstoffe an Grenzstationen aufzuspüren.
Noch steht die Entwicklung der Supernasen am Anfang. Zu Testzwecken tauchte man Transistoren auf Graphenbasis in eine Lösung einzelner Teilstränge von DNA-Molekülen: sie ordneten sich auf der Graphenoberfläche selbständig zu Mustern. Man untersuchte unterschiedliche Abfolgen der vier Basen, aus denen DNA-Moleküle bestehen. Zukünftig lassen sich selbst Mischungen von Duftstoffen erkennen.
Einerseits spüren also diese hyperempfindlichen Sensoren auf Graphenbasis sogar einzelne Moleküle auf, andererseits ist Graphen das dünnste bekannte Material, das für sämtliche Gase undurchlässig ist. Seine Kohlenstoffatome sind so dicht gepackt, dass es selbst das kleinste Gasatom, nämlich Helium zurück hält. Eine erstaunliche Eigenschaft, die schon bald bei absolut dichter Verpackung von Lebensmitteln eine Rolle spielen könnte. Wunderbar frisch gemahlener Kaffee im Graphenbeutel hält dann eine Ewigkeit sein Aroma. Auch in der Drogenszene könnte bald Graphen unter Dealer Furore machen. Selbst die besten Hundespürnasen könnten versteckte moleküldichte Drogenpakete nicht mehr erschnüffeln.
Utopische Konstruktionen
Nicht zuletzt kann Graphen sehr nützlich sein, Wärme abzuleiten, vor allem in der Nanotechnologie. Die nur eine Atomlage dünnen Kohlenstoffschichten leiten bis zu 5000 Watt pro Meter und Grad Wärme. Und das besser als es Diamant vermag, der bisher beste Wärmeleiter auf Erden. Graphenverstärkte Ultraleicht-Verbundwerkstoffe wären möglich, denn Graphen ist extrem reißfest. Schon schwärmen Raumflugingenieure von neuartigen Verbindungsbauten zwischen Erde und Satellitenumlaufbahnen: Während ein "im Himmel" aufgehängter Stahldraht durch sein Eigengewicht mit 28 km "Höhe" zerreißt, könnte ein Draht aus Graphen Tausend Kilometer hoch sein, ehe er seinen Geist aufgibt. Möglich, dass man in klerikalen Kreisen auf den lang ersehnten "Heißen Draht" nach oben hofft.
Soeben schicken wir uns an, die 2-Billionengrenze an Staatsverschuldung zu überschreiten. Auch die 7-Milliardengrenze der Weltbevölkerung wird heuer überschritten. Aber wird sich dadurch etwas ändern? Wohl kaum. Verändern wird sich allerdings die Alltagswelt von Morgen: Durch das geniale Kohlenstoffgebilde Graphen!
© Hans-Jörg Müllenmeister