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Das Bordell der Volkswirtschaft

25.08.2005  |  Dr. Marc Faber
Die Investment-Management-Industrie ist in den meisten Industriestaaten ein großer Sektor der Volkswirtschaft geworden. Und die Beträge, die zu Anlagezwecken rund um die Welt eilen, übertreffen die Beträge, die durch reale Handelsströme entstehen, um ein Vielfaches.

Denken Sie nur einmal darüber nach, dass hier in den USA, wo ich arbeite, die Zahl der Beschäftigten im produzierenden Gewerbe auf den niedrigsten Stand seit den 1950ern gefallen ist, während die Schulden als Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf Rekordniveau stehen und weiter steigen, und auch der Anteil der Marktkapitalisierung des Aktienmarktes am BIP steht nahe Rekordwert.

Einfach gesagt - die USA scheinen weniger Güter zu produzieren, aber einen zunehmenden Berg an Papiergeld, und das immer schneller. Diese Trends führen zu einem im Vergleich zur realen Wirtschaft überproportionalen Wachstum der Finanzmärkte. Wenn das so weitergeht - und ich bezweifle, dass das für immer so weiter geht - werden die westlichen Industrienationen nur noch sehr wenig (als Anteil am BIP) selbst produzieren, aber eine immer größer werdende Armee von Finanz-Zauberern wird ihre Tage mit dem Handeln von Finanzinstrumenten wie Aktien, Anleihen, Optionsscheinen und so weiter verbringen!

Wie nachhaltig ist so ein Trend, wenn die Finanzmärkte selbst keinen Reichtum schaffen, sondern nur ein Nebenprodukt von der Produktion von Reichtum in der realen Wirtschaft sind? Das mag eine kontroverse Frage sein, aber lassen Sie uns für einen Moment zwei Volkswirtschaften vergleichen. In der ersten Volkswirtschaft arbeiten die Leute in Fabriken und im Dienstleistungssektor, und sie investieren ihre Ersparnisse, um die Produktion zu verbessern.

In dieser Wirtschaft ist die Finanzwirtschaft nur ein Lotse, der die Ersparnisse zu den Investitionen leitet. In der zweiten Volkswirtschaft hat die gesamte Bevölkerung das Arbeiten größtenteils aufgegeben, stattdessen handeln sie 24 Stunden pro Tag mit Finanzanlagen.

Es ist leicht zu sehen, dass beide Volkswirtschaften Vollbeschäftigung und "Wachstum" haben könnten. Aber realer Reichtum kann nur in der ersten Volkswirtschaft geschaffen werden, die Güter und Dienstleistungen produziert; die pure Finanzmarkt-Volkswirtschaft kann nur Papiergeld oder imaginären Reichtum produzieren, der langfristig nicht nachhaltig sein würde.

Ich sage nicht, dass die USA schon den Fall der zweiten Volkswirtschaft erreicht haben. Ich stelle nur einige Dinge fest: Eins der Symptome für eine Volkswirtschaft, die "künstlichen Reichtum" durch eine Inflation bei Vermögenswerten schafft, ist ein schwacher Trend der eigenen Währung. Mit anderen Worten: Je länger die Fed versucht, die US-Wirtschaft durch eine Inflation bei Vermögenswerten (Aktien, Immobilien) und eine Politik des ultraleichten Geldes (Niedrigstzinspolitik) anzukurbeln, desto länger können wir erwarten, dass der Dollar weiter fallen wird.

Aktien steigen langfristig nicht immer. Die Realität ist, dass die meisten Gesellschaften langfristig nicht mehr bestehen, und dass die Investoren kontinuierlich nach neuen Gesellschaften, Regionen, Sektoren und Vermögensklassen im Investment-Universum suchen müssen.

Im heutigen Investment-Klima haben die Fondsmanager, die meine Bedenken über die US-Wirtschaft teilen, nur zwei Möglichkeiten, wenn sie mit einem steigenden Aktienmarkt konfrontiert werden.

Sie können entweder ihre defensive Strategie beibehalten (hohe Bargeldbestände und das Halten von Aktien mit einer niedrigen Volatilität) und ihre Jobs und Bonuszahlungen und den Verlust von ungeduldigen Kunden riskieren, weil sie für eine lange Zeit schlechter als der Markt abschneiden werden; oder, trotz ihrer bearishen (pessimistischen) Einschätzung können sie Aktien mit dem stärksten Momentum kaufen - und das sind auch oft die Aktien mit den schwächsten Bewertungen (in den letzten 6 Monaten waren es Hightech-Aktien). Und damit können sie eine gute Performance erzielen.

Sie als Leser werden sicher leicht sehen, welche Wahl die meisten Fondsmanager getroffen haben. Ehrlich gesagt tun mir meine Freunde in solchen Situationen leid, denn sie müssen wider besseres Wissen Aktien kaufen, um mit der Performance des Marktes mithalten zu können - und um ihre Jobs behalten zu können. Aber das ist eigentlich völlig gegen ihre eigene fundamentale Analyse und Einschätzung.

Es mag harsch klingen, aber die gesamte Finanzindustrie ist wie ein großes Bordell. Die Broker pushen Aktien, von denen sie nichts wissen, nur deshalb, weil die gerade laufen. Und weil ihnen das dann schöne Provisionen bringt. Die Analysten empfehlen Aktien nicht notwendigerweise deshalb, weil die Fundamentals gut sind, sondern deshalb, weil diese Aktien in letzter Zeit gestiegen sind und andere Analysten die auch empfehlen. Und die Fondsmanager werden von den Bordellbesitzern dazu gezwungen, Sektoren, die gerade laufen, zu kaufen - denn das befriedigt die Kunden des Bordells.

Ich möchte betonen, dass ich zwar kritisch in Bezug auf das Finanzsystem und die Finanzindustrie bin - dass ich aber nicht kritisch in Bezug auf die meisten der sehr brillanten Fondsmanager, Analysten und Volkswirte bin. Ich bin wirklich beeindruckt von der Qualität der Analyse, der Breite des Wissens und von den Persönlichkeiten, die ich in der Finanzindustrie getroffen werden. Aber leider zwingt das rücksichtslose Gelddrucken der Fed diese Leute dazu, oft wider besseres Wissen Aktien zu empfehlen, die ihnen eigentlich fundamental gar nicht gefallen.

Für meinen Geschmack sind die westlichen Finanzmärkte zu groß, verglichen mit der realen Volkswirtschaft. Und es gibt auch zu viele smarte Leute und Schätzjäger in der Finanzindustrie, die es für den durchschnittlichen Anleger schwierig machen, eine gute Performance zu erzielen.

Die Bewertungen bleiben extrem hoch, und die alten Favoriten unter den Aktien sind die neuen. Das ist ein Symptom dafür, dass wir nur eine Bärenmarkt-Rally im langfristigen Abwärtstrend sehen, und nicht den Beginn eines neuen Bullenmarktes. Die alten Favoriten werden irgendwann wieder enttäuschen, so wie das bei der Spekulationsblase, die 1973 platzte, bei Eastman Kodak, Polaroid und Xerox der Fall war.

Ich glaube nicht, dass das derzeitige Umfeld gute Einstiegsmöglichkeiten bietet. Wenn die Korrektur nicht jetzt kommt, dann wird sie später wahrscheinlich noch stärker ausfallen - und deshalb sollte man darauf vorbereitet sein, erst in den nächsten 12 bis 18 Monaten einzusteigen.


© Marc Faber

Quelle: Auszug aus dem kostenlosen Newsletters "Trader's Daily"



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