Nah-Ost, Japan, Atom-Katastrophe - es kommt viel zusammen
20.03.2011 | Klaus Singer
- Seite 2 -
So lange in Japan das "unvorstellbar Schlimmste", ein "Super-GAU" nicht eintritt, nähern sich die Finanzmärkte der Situation, wo kaufen angezeigt ist. Es wird es einige Tage brauchen, bis sich die Lage stabilisiert. Und einige Wochen, bis sie sich (halbwegs) normalisiert (zumindest außerhalb Japans). Selbst wenn es zum Äußersten kommen sollte, wird zwar die Panik-Situation länger andauern, aber nichts Grundsätzliches ändern an den vorher gemachten Ausführungen.Der deutlichste Gradmesser zur Befindlichkeit der Finanzmärkte ist aus meiner Sicht der Dollar-Index. Zeigt er nachhaltige Stärke, deutete das darauf hin, dass Dollar „heim“ geholt wird. Und dieser "safe-heaven"-Reflex wäre ein deutliches Warnzeichen. Zu Beachten ist die brisante charttechnische Lage des Dollar-Index (siehe Chart!).
Die deutsche Regierung gibt vor, die Atom-Katastrophe in Japan schaffe eine neue Situation, die dazu zwinge, über die energetische Nutzung der Kernenergie neu nachzudenken. Merkel & Co hatten die angebliche „Brückentechnologie“ AKW erst im „Herbst der Entscheidungen“ 2010 unverantwortlich verlängert. Jetzt wird der Ausstieg vom Ausstieg zunächst einmal für drei Monate ausgesetzt. Dass sich Merkel dabei am vergangenen Wochenende innerhalb von 24 Stunden um 180 Grad gedreht hat, macht ihre Argumentation nicht seriöser. Ich will mich hier nicht mit dieser allzu durchsichtigen Taktiererei aufhalten.
Dass die Weltwirtschaft sich auf eine andere Art, mit Energie umzugehen, einstellen muss, ist nicht erst seit „Japan“ klar. Insofern kann ich auch nicht erkennen, was die Katastrophe in Japan an neuen Erkenntnissen hinsichtlich der Nutzung der Atomkraft bringt.
Mir geht es im folgenden um die generelle Art der Risikobewertung, die beim Einsatz der Kernenergie, aber auch z.B. im Banken-Sektor Anwendung findet.
Nach der deutschen Risikostudie von 1979 (Phase A) ist alle 10.000 Reaktorjahre ein Kernschmelzunfall mit radioaktiver Belastung der Umwelt zu erwarten, alle eine Million Reaktorjahre ein Kernschmelzunfall mit mehreren akuten Todesfällen. Tatsächlich hatten wir in den vergangenen 30 Jahren bereits drei große Unfälle, in Tschernobyl, in Harrisburg und jetzt in Japan, von den in die Hunderte gehenden kleineren ganz abgesehen.
Was die Finanzmärkte angeht, ist die Kluft zwischen theoretischer Risiko-Berechnung und der Praxis ähnlich groß: Der Aktien-Crash von 1987 hätte in der landläufigen Theorie nur mit einer unvorstellbar geringen Wahrscheinlichkeit von 1 zu 10 hoch 50 eintreten dürfen. Und eine Änderung des Dow Jones-Index von 7 Prozent am Tag sollte danach nur einmal in 300.000 Jahren vorkommen, tatsächlich gab es im 20. Jahrhundert 48 solcher Tage.
Das große Loch zwischen Theorie und Praxis resultiert daraus, dass man wie selbstverständlich fast immer eine Gausssche Normalverteilung der Ereignisse unterstellt, wenn man Risiken abschätzt. Eine solche Verteilung trifft zwar auf viele Ereignisse in der Natur zu, aber nicht zwingend überall und immer. Eher selten trifft sie auf Ereignisse im sozialen/gesellschaftlichen Bereich zu. Hierzu gehört auch die Technologie.
Die Erkenntnis ist die: Seltene Ereignisse sind eben häufig so selten nicht, wie die Gausssche Glockenkurve mit ihren an die Nulllinie auslaufenden Rändern nahelegt. In vielen Fällen hat sie sogar "Ohren", die Wahrscheinlichkeit sehr seltener Ereignisse kann ansteigen (siehe Chart!).
Zum Thema Energie-Politik gibt es noch eine Menge zu sagen, insbesondere auch zur Rolle von Merkel, Röttgen und Brüderle, der zentralen Figur bei der Durchsetzung der Interessen der Atom-Industrie. In einer Zeit, in der die EU zwar alles regelt bis hin zu Größe und Krümmung einer Banane, aber es jedem Land überlässt, seine Atomanlagen selbst zu gestalten und zu überwachen, kann man von der Politik nicht viel Positives erwarten. Ich werde das an anderer Stelle noch weiter vertiefen.
Erwähnte Charts können über diesen Link eingesehen werden: " rel="external" title="" target="_blank" class="artikel extern">www.timepatternanalysis.de
© Klaus G. Singer
www.timepatternanalysis.de