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Inflation - rette sich, wer kann?

07.10.2005  |  Klaus Singer
Die Inflation kommt! So liest man es dieser Tage überall. Und die Ursache ist auch schon ausgemacht: Übeltäter sind die Energiepreise. Komisch nur, dass das Gerede über Preissteigerungen gerade in dem Moment manchmal fast schon hysterische Züge annimmt, wenn der Ölpreis seine besten Zeiten erst einmal hinter sich zu haben scheint. Als wir im Light Crude Future nach einem jahrelangen Aufwärtstrend vor nicht allzu langer Zeit die 70-Dollar-Marke sahen, wurden die Bedenken nicht so laut vorgetragen wie gerade jetzt. Und heute notiert der Future unter 62 Dollar.

Mancher Beobachter sieht denn auch einen Zusammenhang zwischen der auffälligen Schwäche der US-Aktien-Märkte und der Inflationsgefahr. Tatsächlich zeigen sich die Aktien dort nicht erst seit kurzem schwach. Sie laufen schon fast das gesamte Jahr über der Performance in Japan und in Europa hinterher, von anderen Ländern ganz zu schweigen. Und so besteht auch kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den durch zurückliegenden Wirbelstürmen dort angerichteten Schäden und der lauen Kursentwicklung; sie und die daran aufgehängten Wachstumsängste haben die Divergenz höchstens noch gestützt, aber nicht herbeigeführt.

Die Fed gibt sich seit Mitte September besonders besorgt über die Inflationsgefahr in den USA. Sie hatte bisher stets die Meinung vertreten, der Impuls, der von den hohen Energiepreisen auf die Verbraucherpreise ausgeht, sei nur temporär. Jetzt aber, seitdem der Rohölpreis auf dem Rückzug ist, wird verstärkt der Zusammenhang zu den Energiepreisen hergestellt. Das ist verdächtig!

Gut, die Rohölpreise sind das eine, die der Raffinerieprodukte das andere. Der Rohstoff ist offenbar aktuell auch durch die Freigabe strategischer Reserven (oder die Ankündigung, dies zu tun) reichlich vorhanden; die Raffineriekapazitäten sind der Engpassfaktor und somit entwickeln sich die Preise für Treibstoffe aktuell nicht immer gleichlaufend. Aber auch das ist nicht mehr als temporärer Effekt und ist daher ein zweifelhaftes Argument, wenn es nachhaltige Inflationsgefahren geht.

Zumal - und das kann man sich nicht oft genug vergegenwärtigen: Damit eine Rohstoff-getriebene Steigerung der Verbraucherpreise ins Rollen kommt, dazu bedarf es gewisser Transmissionsmechanismen. Der wichtigste ist eine starke kaufkräftige Nachfrage, die die Anbieter in die Lage versetzt, ihre Preise hoch zu schrauben. Außer im Energiebereich ist jedoch angesichts hoher Dauer-Arbeitslosigkeit, steigender Produktivität und globalem Wirtschaften nicht allzu viel zu merken von nachhaltigen, kräftigen Preisschüben.

Die Fed hat schon des öfteren "Haltet den Dieb!" gerufen und etwas anderes gemeint. Ich unterstelle das aktuell auch. Was könnte das sein?

Greenspan wird schon monatelang umgetrieben von seinem Rätsel der im Vergleich zu den kurzfristigen Zinsen niedrigen Kapitalmarktrenditen. Ich vermute, die verstärkte Thematisierung der Inflation in den vergangenen drei Wochen hat das Ziel, die Zinsen am langen Ende nun endlich hoch zu bekommen und damit das „Rätsel“ zu lösen.

Und wozu? Hier bietet sich meiner Meinung nach der Zusammenhang mit der Immobilienblase an. Ich hatte darüber zuletzt in meinem Kommentar vom Mittwoch dieser Woche geschrieben. Der dort zitierte Bill Gross von Pimco, der weltweit größten Kapitalanlagegesellschaft, stellt eine durch das unkontrollierte Platzen dieser Preisblase ausgelöste Rezession in Aussicht, die nur dadurch vermieden werden könne, dass höhere Zinsen am langen Ende den Anstieg der Immobilienpreise kontrolliert abbremsen. Für diesen günstigen Fall sieht er eine Reduzierung des BIP-Wachstums in den kommenden beiden Jahren auf ein bis zwei Prozent.

Steigende Zinsen sind eine Funktion der Fed und der Bereitschaft des Auslands, amerikanische Schuldscheine zu kaufen.

Bemerkenswerterweise ist der Dollar trotz Wachstumssorgen wegen der Wirbelstürme, trotz teils ungünstiger Wirtschaftsdaten und trotz Inflationsgerede in den vergangenen Wochen weiter erstarkt. Ab Frühjahr 2003, dem Beginn des Irak-Kriegs, dem Beginn einer konjunkturellen Aufwärtsphase und dem Beginn des aktuellen Hausse-Zyklus an den Aktien-Märkten, kauften ausländische Zentralbanken verstärkt amerikanische Schuldscheine, um damit im Interesse der eigenen Exportindustrie der Schwäche des Greenback entgegenzuwirken. Sie haben mittlerweile horrende Summen solcher "Währungsreserven" angehäuft, die sie sicher nicht bis zum Skt.-Nimmerleins-Tag halten wollen. Den Punkt maximaler Schwäche hatte er im Dezember 2004 markiert.

Hier könnte ein partiell gleichgerichtetes Interesse zwischen Fed und diesen Institutionen bestehen. Die Zinsen am langen Ende steigen, wenn die Anleihe-Kurse fallen. Im Vergleich hohe kurzfristige Zinsen sind die Voraussetzung für eine Steigerung der Renditen am langen Ende, hier hat die Fed agiert und wird noch weiter agieren. Weiter erforderlich für eine solche Renditebewegung sind fallende Anleihe-Kurse, hierzu muss Verkaufsdruck aufkommen. Also müsste Greenspan gegenwärtig an nachhaltigen TBond-Verkäufen interessiert sein.

Der zur Zeit um sich greifende (nicht ganz unberechtigte...) Konjunktur-Pessimismus treibt Akteure weiterhin trotz recht tiefer Kurse in Anleihen. Das kann der Fed nicht gefallen, konterkariert das doch den herbeigewünschten Verkaufsdruck. Andererseits wird durch die Wirbelstürme bedingt die amerikanische Staatsverschuldung weiter kräftig steigen. Wenn vermehrt Schuldscheine angeboten werden, dürfte das die TBond-Preise tendenziell drücken und die Rendite treiben. Ganz im Sinne der Fed, auch wenn sie sich besorgt zeigt darüber, dass das US-Budget aus den Fugen gerät.

Was muss mit dem Dollar geschehen, damit ausländische Institutionen Netto-Verkäufer werden? Er muss stark werden. Erstens besteht dann keine Notwendigkeit von Stützungskäufen und zweitens böte sich diesen Marktteilnehmern die Gelegenheit, ihre Bestände zu vernünftigen Konditionen loszuschlagen. Der Verkaufsdruck würde besonders dann stark werden, wenn sich die Einschätzung durchsetzt, der Dollar könnte den Punkt maximaler Stärke überschritten haben.

Ausländische Zentralbanken haben ihre TBond-Käufe seit Frühjahr 2003 intensiviert. Damals stand der Dollar im Mittel bei 1,13/1,15 gegen den Euro, gegen den Yen bei um die 118. Das sind mit Sicherheit wichtige Marken, die diese Marktteilnehmer nicht aus dem Auge lassen.

Es gibt noch ein anderes, gegenwärtig weniger wahrscheinliches Szenario, dass ausländischen Verkaufsdruck bei den TBonds aufkommen lässt, ein nachhaltig schwacher Dollar. Dann könnten diese Institutionen geneigt sein, Bestände not zu schlachten.

Der Dollar hatte in den vergangenen Tagen Stärke bis an 1,19 gegen den Euro aufgebaut und zeigte sich auch gegen Yen beständig fest. Im Gefolge ungünstiger Wirtschaftsdaten tendiert er aktuell deutlich schwächer, war allerdings zuletzt auch stark überkauft. Daher dürfte nun zunächst eine Konsolidierung einsetzen, dann wird man die weitere Bewegungsrichtung sehen. Das wird sehr aufschlussreich.

Verfolgt man die Kurse der Hausbauaktien, den zugehörigen HGX-Index und die Aktie etwa von Fannie Mae, dem großen Hypotheken-Unternehmen, so zeigt sich hier hohe Volatilität und beständige Schwäche. Der HGX konnte nur kurz von der Wiederaufbauphantasie nach den Wirbelstürmen profitieren. Die Aktie von Fannie Mae ist seit längerem auf der schiefen Ebene. Das alles sind Hinweise auf die Gefahren, die vom Immobilienkomplex ausgehen.

Aus meiner Sicht dürfte der dargestellte Zusammenhang bei der gegenwärtigen Schwäche der US-Aktien eine wichtige Rolle spielen. Umso wichtiger ist, es den Dollar und in Korrelation dazu die TBond-Kurse im Auge zu behalten.

Ich kann die jetzt überall vorgetragenen Inflationssorgen auch noch aus einem anderen Grunde nicht nachvollziehen: Angesichts der Verschuldung auf Rekordniveau und eher schwachen langfristigen Wachstumsperspektiven gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder macht man pleite oder freut sich über eine kräftige Geldentwertung. Die zweite Alternative ist der leichtere Weg, aber auch der kann am Ende beim ersten herauskommen.

Und noch etwas: Gäbe es die Energiepreis-Hausse nicht, wäre schon längst offensichtlich, dass wir in einem deflationären Umfeld leben. Deflation bedeutet, die Schuldenlast steigt.

Dann doch lieber Inflation, oder?

Vielleicht redet die Fed in der letzten Zeit auch deswegen so viel von Inflation, weil sie angesichts sinkender Ölpreise Deflation meint. Das hatten wir schon einmal - im Jahre 2003.


© Klaus G. Singer

www.timepatternanalysis.de






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