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Die Lehren aus 2008 - und die Folgen

18.09.2011  |  Manfred Gburek
Neulich schoss die theoretische Rendite zweijähriger griechischer Staatsanleihen vorübergehend über 90 Prozent in die Höhe. Theoretisch, weil es sich um ein reines Rechenexempel handelte, das mit dem gängigen Renditebegriff nichts mehr zu tun hat. Es wirft ein Schlaglicht auf den Papiergeld-Irrsinn, mit dem wir nicht mehr nur täglich, sondern schon stündlich konfrontiert werden: Staatsanleihen-Ramsch auf dem Weg zur Wertlosigkeit, mal verpackt als Griechen-Anleihen, mal in Gestalt von faulen Bankkrediten.

Die Anleihemärkte nehmen zurzeit neben den Problemen mit den Staatsschulden immer mehr auch das vorweg, was europäischen Großbanken im nächsten Jahr blüht: ein riesiger Sprung bei der Fälligkeit ihrer Anleihen. Laut Analysen von Bloomberg sieht die Deutsche Bank mit einem Anstieg von 28,4 Milliarden Euro im laufenden Jahr auf 53,5 Milliarden Euro 2012, in absoluten Zahlen gerechnet, noch vergleichsweise gut aus. Was man von der Commerzbank mit dem Sprung von 164,2 auf 212,7 Milliarden Euro nicht behaupten kann.

Die französischen Großbanken Société Générale und BNP Paribas scheinen mit ihren fälligen Anleihen (Anstieg von 16,5 auf 35,2 bzw. von 56,8 auf 66,9 Milliarden Euro von 2011 bis 2012) zwar noch recht gut dazustehen, aber ihre hohen Engagements in den Euro-Problemländern und in Nordafrika dürften sie schon bald reif für die Verstaatlichung machen - schließlich ist der französische Staat in dieser Hinsicht traditionell flott bei der Sache. Und weil die Euro-Länder zur Rettung ihrer Währung das Heft früher oder später sowieso in die Hand nehmen werden, kommt es - zumindest aus französischer Sicht - gar nicht mehr darauf an, welches Land den ersten ganz großen Schritt zu noch mehr Staat gehen wird.

Was die Commerzbank und beiden französischen Großbanken betrifft, hatten ihre Aktionäre für kurze Zeit Glück, weil die Europäische Zentralbank am Donnerstag die Märkte mit hohen Dollarbeträgen ruhig stellte und so eine Kurserholung auslöste, die schnell auf Aktien außerhalb des Bankensektors übergriff. Ironie des Bankgeschäfts: Am selben Tag kam die Aktie der Schweizer Großbank UBS unter die Räder, weil einer ihrer Händler sich mit mit rund 2 Milliarden Dollar verzockt hatte. Der intime Bankenkenner Bernd Wittkowski kommentierte daraufhin in der Börsen-Zeitung zu Recht, die Bank produziere "Skandale am laufenden Band“. Zur Ironie gehört auch, dass Ex-Bundesbankchef Axel Weber nach seiner Einarbeitung als Vize 2013 Vorsitzender des UBS-Verwaltungsrats werden soll.

An dieser Stelle ist ein Zwischenfazit fällig:

1. Die Beruhigung an den Märkten, speziell an den Aktienbörsen, in der abgelaufenen Woche ist nichts anderes als die Ruhe vor dem nächsten Sturm. Dieser wird sich in einem Kräftesechseck austoben: zwischen den Regierungen der Euro-Länder, der EU, der Europäischen Zentralbank, dem Internationalen Währungsfonds, der US-Regierung und der US-Notenbank Fed. China dürfte - noch - außen vor bleiben, auch wenn die dortige Regierung bereits das eine oder andere positive Signal aussendet.

2. Die Dauer des Sturms wird davon abhängen, für wie prekär besonders die Regierungen diesseits und jenseits des Atlantiks die Lage einschätzen. Da sie deren Ernst bereits erkannt haben, werden sie aufs Tempo drücken und in der Mehrzahl unpopuläre Lösungen für das Schuldenproblem präsentieren, mit deren Realisierung um die kommende Jahreswende begonnen werden dürfte. So lange werden - auch in Erwartung einer scharfen Rezession - die Aktienkurse unter erheblichen Schwankungen fallen, Bundesanleihen ihren Status als vermeintlich sicherer Hafen nach und nach verlieren, die Kurse sonstiger Staatsanleihen weiter einknicken, die Banken ihre darauf fälligen Abschreibungen erhöhen, damit die Aktienkurse erneut durcheinander wirbeln und so potenziellen Aktienkäufern günstige Einstandskurse verschaffen.

3. Welches Fazit ergibt sich daraus für Gold und Silber? Auf den Punkt gebracht: Die Preise beider Edelmetalle dürften bis auf Weiteres schwanken, der Goldpreis etwa unterhalb um 1800 Dollar bzw. 1300 Euro, ohne vorerst den langjährigen Aufwärtstrend wieder aufzunehmen. Das wäre nach der letzten Preisexplosion eine durchaus gesunde Entwicklung. Dafür - und weniger für eine erneute Preisexplosion schon in den nächsten Wochen - spricht zunächst die Erfahrung aus dem Jahr 2008, als es zu einem internationalen Liquiditätsproblem kam, sodass von der Illiquidität bedrohte institutionelle und private Anleger so ziemlich alles verkauften, um sich über die Zeit zu retten, darunter neben Aktien auch Gold und Silber.

Bleiben wir noch etwas bei diesem spannenden Thema, denn der Vergleich mit 2008 bedarf einer wichtigen Ergänzung: Damals ergab sich der Liquiditätsengpass im Zuge der Lehman-Pleite, und der Überraschungseffekt war gewaltig. Daraus haben Regierungen, Zentralbanken, die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, der Internationale Währungsfonds und weitere Institutionen gelernt. Das heißt, sie lassen um keinen Preis der Welt eine nochmalige Großbankpleite zu, und gegen allzu böse Überraschungen halten sie allerlei Rettungspakete und -schirme bereit. Damit rückt das Liquiditätsproblem, obwohl es nach wie vor in den Köpfen von Anlegern und Bankern herumspukt, zunehmend in deren Hinterköpfe. Also ist ein nochmaliger Rückgang des Goldpreises um ein Viertel und des Silberpreises um mehr als die Hälfte wie 2008 unwahrscheinlich, die Fortsetzung des Aufwärtstrends beider Edelmetalle im Lauf der kommenden Monate angesichts der gravierenden internationalen Schuldenprobleme dagegen sehr wahrscheinlich.

Und wie geht es danach weiter? Auf der Suche nach geschichtlichen Quellen aus den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts bin ich nicht nur wiederholt auf hohe Kursgewinne damaliger Goldaktien wie Dome Mines und Homestake Mining gestoßen, sondern auch auf einen in Gedichtform verfassten Beitrag des Satirikers Kurt Tucholsky in der linksliberalen Zeitschrift "Die Weltbühne" aus dem Jahr 1930. Man muss Tucholskys scharfsinnige Analyse und beißende Kritik nicht in allen Punkten teilen, um vor ihm mit seiner Vision den Hut zu ziehen - schließlich hat er schon vor acht Jahrzehnten zum Ausdruck gebracht, was uns heute erneut bewegt. Hier der Wortlaut:

"Wenn die Börsenkurse fallen, regt sich Kummer fast bei allen, aber manche blühen auf: ihr Rezept heißt Leerverkauf. Keck verhökern diese Knaben Dinge, die sie gar nicht haben, treten selbst den Absturz los, den sie brauchen - echt famos! Leichter noch bei solchen Taten tun sie sich mit Derivaten: wenn Papier den Wert frisiert, wird die Wirkung potenziert. Wenn in Folge Banken krachen, haben Sparer nichts zu lachen, und die Hypothek auf's Haus heißt: Bewohner müssen raus. Trifft's hingegen große Banken, kommt die ganze Welt ins Wanken - auch die Spekulantenbrut zittert jetzt um Hab und Gut! Soll man das System gefährden? Da muss eingeschritten werden: Der Gewinn, der bleibt privat, die Verluste kauft der Staat! Dazu braucht der Staat Kredite und das bringt erneut Profite, hat man doch in jenem Land die Regierung in der Hand. Für die Zechen dieser Frechen hat der kleine Mann zu blechen und - das ist das Feine ja - nicht nur in Amerika! Und wenn die Kurse wieder steigen, fängt von vorne an der Reigen - ist halt Umverteilung pur, stets in eine Richtung nur. Aber sollten sich die Massen das mal nimmer bieten lassen, ist der Ausweg längst bedacht: dann wird bisschen Krieg gemacht."


© Manfred Gburek
www.gburek.eu

Herr Gburek ist Fachjournalist und Buchautor. Seine letzten Werke waren: "Das Goldbuch" (2005), das Wörterbuch "Geld und Gold klipp und klar von A bis Z" (2007) und "Die 382 dümmsten Sprüche der Banker" (2008).



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