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Der Anleihencrash rückt näher - und die Folgen

09.06.2013  |  Manfred Gburek
In den vergangenen Wochen sind die Kurse von US-Staatsanleihen (Treasuries) auf Tauchstation gegangen. Ihnen sind die Aktienkurse an der Wall Street und anderswo etwas verzögert gefolgt, auch in Deutschland. Dadurch haben Groß- und Kleinanleger viel Geld verloren, besonders die anleihelastigen. Jetzt fragen Sie womöglich: na und? Schließlich gehören Sie ja mit größter Wahrscheinlichkeit nicht gerade zu jenen Anlegern, die Uncle Sam Geld geliehen haben. Doch Vorsicht, es kann sein, dass das Abtauchen der Treasuries schon zu den Vorboten einer Entwicklung gehört, die auch weitere Anlagen – mal negativ, mal sogar positiv - beeinflussen wird: Anleihen anderer Schuldner, Aktien wie erwähnt, Immobilien, Edelmetalle und Rohstoffe.

Kursverluste von Anleihen spiegeln prima vista den reziproken Wert des Zinsanstiegs wider. Das heißt hier konkret: In den USA sind die Zinsen gestiegen. Aber diese statische Betrachtungsweise reicht nicht aus, wenn man den Dingen auf den Grund gehen will. Denn die Kursverluste sind in wenigen Wochen zustande gekommen. Sie machen ein Mehrfaches der Zinsgewinne aus, und das aus folgendem Grund: Zinsen beziehen sich üblicherweise auf ein Jahr; werden sie auf ein paar Wochen heruntergerechnet, was den Vergleich mit den Kursverlusten der vergangenen Wochen erst sinnvoll macht, schrumpfen sie zu einer mickrigen Größe zusammen. Die Kursverluste der Anleihen sind also viel ernster zu nehmen als die Zinsgewinne.

Bliebe es dabei, ohne dass andere Anlagen angesteckt würden, hätten wir es mit dem Jojo-Effekt zu tun, der uns bereits seit über drei Jahrzehnten begleitet: Anleihenkurse kurz- bis mittelfristig mal rauf, mal runter, aber im langfristigen Trend aufwärts, Zinsen also im Trend abwärts. Diese sind jedoch nominal schon in Null-Nähe, real nach Abzug der Inflationsrate sogar im Minus. Das bedeutet: Die Versuchung, über die Jahre aufgebaute hohe Anleihengewinne mitzunehmen, ist mittlerweile besonders unter institutionellen Anlegern mit milliardenschweren Portfolios so groß, dass sie ihr nicht mehr widerstehen können.

So weit die quantitative Betrachtung. Es gibt indes noch eine qualitative: Stellen Sie sich vor, der Kursrückgang der US-Staatsanleihen macht immer mehr Milliarden-Anleger nervös. Dann dürften sie zunehmend in Panik geraten. Das würde sich auf die Finanzmärkte insgesamt auswirken, besonders für den Fall, dass der Dollar im Vergleich zum Euro und zu anderen Währungen weiter fiele – sowie im Vergleich zum Gold, zum Silber und zu vielen Rohstoffen, was wiederum Misstrauen in alle Währungen auslösen dürfte.
Man muss sich in diesem Kontext vergegenwärtigen, dass Anleihen Schulden repräsentieren. Es handelt sich um Schulden, von denen zu erwarten ist, dass sie nie und nimmer zurückgezahlt werden können, sondern immer nur prolongiert werden. Das Bewusstsein dafür ist zwar in breiten Anlegerkreisen vorhanden, aber die rechnen – von wenigen Ausnahmen abgesehen – bis auf Weiteres damit, dass die Prolongation auch das nächste und übernächste Mal schon irgendwie klappen wird. Wenn aber alle so denken und handeln, wird es gefährlich. Denn in einem solchen Fall bedarf es nur einer einzigen negativen Überraschung, und prompt kommt es zur Panik.

Die meisten Anleihen- und Aktienanleger haben in den vergangenen Monaten negative Faktoren einfach ausgeklammert. Die einen, weil sie nachhaltig niedrige Zinsen erwartet haben, die anderen, weil sie von der vermeintlichen Alternativlosigkeit der Aktien ausgegangen sind. So etwas ist nicht neu; das gibt es, solange Börsen existieren.
Schon die internationale Schuldenorgie ist derart gravierend, dass allein von ihr ein Anleihen- und Aktiencrash ausgehen kann. Mögliche weitere, bisher überweigend zur Seite geschobene negative Faktoren: Konjunktureinbruch, Abwertungswettlauf der Währungen, neue Eurokrise, Wiederaufflammen der Bankenkrise, Protektionismus, Eskalation in Syrien und in der Türkei. Nicht zu vergessen Rückkopplungseffekte: Die genannten Faktoren und andere sorgen für rückläufige Kurse, die wiederum das Geschäftsklima und die Investitionsbereitschaft der Unternehmen negativ beeinflussen. Und ebenfalls nicht zu vergessen: „Der Schwarze Schwan“, Symbolfigur für ein unerwartetes, bisher für unmöglich gehaltenes Ereignis.

Spätestens jetzt fragen Sie sich, wie das bisher beschriebene Szenario auf Edelmetalle und Rohstoffe wirkt. Die kurze Antwort: Auf Gold positiv, auf Silber eher auch, auf Platin und Palladium wohl ähnlich, obwohl sie schon mehr Industrie- als Edelmetalle sind. Bei den Rohstoffen kommt es darauf an. Zum Beispiel dürfte der Kupferpreis hin und her gerissen sein, weil es sich zum einen um ein klassisches Industriemetall mit hoher Abhängigkeit von der Konjunktur handelt, aber zum anderen allein der gigantische Kupferbedarf Chinas für steige Nachfrage und eine entsprechende Preisentwicklung sorgen kann. Im Grunde müsste man Pro und Kontra für jeden einzelnen Industrie- und Agrarrohstoff individuell abwägen, wozu hier allerdings der Platz fehlt.

Bezeichnend war die Entwicklung des Goldpreises in der abgelaufenen Woche: Kaum bewegte er sich etwas nach oben, setzten Gewinnmitnehmen ein. Und kaum fiel er danach ein wenig, füllten Anleger ihre Depots und sorgten damit für einen erneuten Preisanstieg. Der Crash der Edelmetalle vom 12. und 15. April gehört jedenfalls der Vergangenheit an. Jetzt bestimmen im Gegensatz zu damals nicht so sehr Termingeschäfte die Preisentwicklung, sondern Käufe und Verkäufe von physischem Metall, also von Barren und Münzen.
Je länger diese Phase anhält, ohne dass es zu gravierenden Preiseinbrüchen kommt, desto mehr spricht für einen größeren Preisanstieg danach. Wobei dann in der Regel der sogenannte entscheidende Faktor eine wichtige Rolle spielt. Darunter verstehen Börsianer den Treibsatz für Preise. Manchmal verrichten mehrere Treibsätze ihr Werk, sodass ganze Märkte erschüttert werden, im Negativen (wie aus Anlass der Liquiditätskrise im Herbst 2008), aber auch im Positiven (wie während der Liquiditätsschwemme danach).
Aktuell und potenziell gehören auf jeden Fall die Schulden- und die Bankenkrise zu den entscheidenden Faktoren. Welche anderen hinzukommen werden, lässt sich zwar vermuten, aber noch nicht genau bestimmen. Also Konjunktureinbruch, Abwertungswettlauf usw., wie ich sie bereits erwähnt habe. Die Schulden- und die Bankenkrise erzeugen Misstrauen in das Finanzsystem. Das bedeutet im Umkehrschluss: Vertrauen in bleibende Werte. Zu denen gehören bekanntlich auch Edelmetalle.


© Manfred Gburek
www.gburek.eu

Herr Gburek ist Fachjournalist und Buchautor. Seine letzten Werke waren: "Das Goldbuch" (2005), das Wörterbuch "Geld und Gold klipp und klar von A bis Z" (2007) und "Die 382 dümmsten Sprüche der Banker" (2008).



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