Gold und Silber mit neuer Dynamik
06.11.2011 | Manfred Gburek
Mario Draghi, der neue Präsident der Europäischen Zentralbank, lässt mit der Zinssenkung ein Zeichen setzen und warnt gleichzeitig vor einem Konjunktureinbruch. Er hat den Ernst der Lage erkannt. Zinssenkung und Warnung sind eher psychologisch motiviert. Es geht, abgesehen von der Signalwirkung, in erster Linie um die Bankenrettung. Die folgenden Überlegungen zeigen, warum.
Als Thorsten Polleit von Barclays Capital neulich im Rahmen einer Wirtschaftswoche-Diskussion auf die Zwangskapitalisierung der Banken angesprochen wurde, antwortete er mit einigen enthüllenden Zahlen: "Die Banken in Euro-Land haben zusammen ein bilanzielles Eigenkapital von 2200 Milliarden, aber eine Bilanzsumme von 32.500 Milliarden Euro. Das sind 337 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In den USA beträgt dieses Verhältnis nur 80 Prozent." Auf die Frage nach den Konsequenzen gab Polleit die Antwort: "Es läuft vermutlich auf eine teilweise Verstaatlichung der Banken hinaus.“
Knackpunkt ist nicht allein die viel zu hohe Bilanzsumme im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, also zum Wert aller hergestellten Güter und erbrachten Dienstleistungen eines Jahres, sondern gerade auch die geringe Ausstattung mit Eigenkapital. Es beim aktuell niedrigen Kursniveau der Aktien zu erhöhen - etwa der Deutschen Bank oder Commerzbank, der französischen, italienischen oder erst recht der griechischen Banken -, wäre viel zu teuer und würde bedeuten, dass in Zukunft jegliche Gewinne auf eine Unzahl von Aktien verteilt werden müssten. Die Folge bestünde in einem Kurskollaps.
Ist in einem solchen Umfeld die Verstaatlichung wirklich eine realistische Alternative? Die Antwort lautet wie bei Radio Eriwan: Im Prinzip ja, und zwar deshalb, weil sich keine weitere anbietet - es sei denn, die Banken fahren ihr Kreditgeschäft drastisch zurück, sodass sie weniger Eigenkapital benötigen. Dann bestünde die Folge nicht im Kurskollaps, sondern in einer Wirtschaftskrise vom Typ Depression. Da die niemand haben will, ist die Verstaatlichung unausweichlich, egal, ob teilweise oder ganz.
Und deren Folge? Die Antwort von Polleit: Die Banken werden mit dem Geld, das sie dann bekommen, etwas tun müssen. "Sie können Kredite vergeben oder Anleihen kaufen. So oder so bringen sie das frische Geld in Umlauf. Das würde über kurz oder lang zu höherer Inflation führen." Seiner Meinung nach ist die Depression aus heutiger Sich allerdings noch nicht vom Tisch.
Solche Gedankenspiele einschließlich unzähliger Ober- und Untervarianten gehen derzeit durch viele kluge Köpfe. Von daher erklärt sich zu einem großen Teil das Hin und Her an den Aktien-, Edelmetall-, Rohstoff-, Anleihe- und Devisenmärkten. Solange nichts Richtungweisendes geschieht, außer dass die Verhandlungen der Euro-Länder wieder einmal in die so und so vielte Runde gehen, ist weiter mit dem Hin und Her zu rechnen.
Was bedeutet das für Gold und Silber? Mit Gold lässt sich eine Inflation gut überstehen, und sogar im Fall der Depression dürften Goldbesitzer viel besser davonkommen als die Besitzer sonstiger Anlagen. Was den letzten Punkt angeht, könnte man argumentieren, Anleihen, zumal Staatsanleihen, seien wegen ihrer Verzinsung besser als Gold. Doch das dürfte sich in der Regel als Trugschluss erweisen. Denn falls Schuldner - auch staatliche - wegen der Depression weder Zinsen zahlen noch Schulden tilgen können, haben ihre Gläubiger hohe Verluste.
Für Silber gilt, obwohl sein Preis sich während der vergangenen Jahrzehnte im Trend wie der Goldpreis entwickelte, bei einer Depression wahrscheinlich etwas anderes: Da es zum Teil - viel mehr als Gold - auch ein von der Konjunktur abhängiges Industriemetall ist, könnte es sich vom Gold nach unten abkoppeln. Dagegen würde sein Preis bei einer Inflation sogar kräftiger steigen als der Goldpreis.
Welche Signale senden beide Edelmetalle aktuell aus? Weiterhin positive, jedenfalls was ihre zukünftige Preisentwicklung angeht. Denn sie bewegen sich bereits seit vielen Wochen auf hohem Niveau hin und her, ohne Anstalten zu machen, unter ihr Zwischentief vom Sommer zu fallen. Sie legen also wieder einmal eine längere Pause in ihrem langjährigen Aufwärtstrend ein. Dass dabei die absoluten - nicht die prozentualen - Preisschwankungen größer ausfallen als während der früheren Pausen, sollte niemanden stören.
Kann es mit den Preisen nicht trotzdem abwärts gehen? Gesetzt den Fall, es käme wie schon im Herbst 2008 zu einer globalen Liquiditätskrise, dann besteht diese Möglichkeit durchaus. Aber warum soll es ausgerechnet zu so einer Krise kommen, da doch zumindest in den westlichen Industrieländern alle Zentralbanker, die Politiker sowieso, mit dem Geld nur so um sich werfen? Gefährlich könnte es allerdings werden, ohne dass man die Gefahr in irgendeiner Weise quantifizieren kann, falls das undurchsichtige Kreditgeschäft in China zusammenbrechen und den Westen zum Teil mitreißen würde. Dann dürfte es einen kurzen Schock einschließlich temporärer Liquiditätskrise geben - und danach eine Geldschwemme, von der die Edelmetallpreise prozentual noch stärker profitieren würden als von 2009 bis zum Sommer 2011.
Hinter den hier angestellten Überlegungen zur kommenden Preisentwicklung steckt natürlich auch die Erwartung, dass Großanleger immer noch nicht hinreichend mit Gold eingedeckt sind, schon gar nicht mit Silber. Das lässt sich Jahr für Jahr daran erkennen, dass die ETF-Bestände, nur hin und wieder für einige Zeit unterbrochen, nachhaltig steigen. In weiten Anlegekreisen galt Gold noch bis weit ins Jahr 2009 hinein als Exot. Dass es zusammen mit Silber eine Anlageklasse für sich bildet und zur Diversifikation großer Vermögen ebenso beiträgt wie Aktien, Immobilien und Cash, dieser Gedanke hat sich unter den Verwaltern von Milliardengeldern erst seit 2010 richtig durchgesetzt.
Als die Bild-Zeitung im August dieses Jahres publikumswirksam auf Seite 1 Goldbarren zur Verlosung preisgab, dachten viele Anleger: Wenn dieses Massenblatt, ein klassischer Kontra-Indikator, sich derart stark für Gold macht, ist dessen Preis in Gefahr. Tatsächlich fiel der Goldpreis danach, erholte sich bis jetzt aber wieder. Aus der Sicht von Tradern war die Bild-Zeitung also ein sehr guter Indikator. Dagegen hatte sie für langfristig orientierte Anleger nur insoweit Bedeutung, als sich danach nochmals günstige Einstiegspreise ergaben. Gold ist ebenso wie Silber ein internationales Anlagemedium; was in Deutschland mit den Edelmetallen geschieht, hat insofern nur marginale Bedeutung.
Neben Großanlegern gehören seit 2010 auch immer mehr Zentralbanken zu den aktuellen und potenziellen Goldkäufern. Beide Käufergruppen entwickeln eine Dynamik, die es noch nicht gab, als die Schmuckindustrie das meiste Gold abnahm. Die neue Dynamik strahlt auf Händler und die Masse der Anleger aus. Dadurch ergeben sich manchmal wilde Preissprünge, ohne dass es dazu eines äußeren Anlasses bedarf. Fazit: Gold und Silber in physischer Form, also als Barren und Münzen, aber auch als Aktien trotz noch so unruhiger Preise stur durchhalten!
© Manfred Gburek
www.gburek.eu
Herr Gburek ist Fachjournalist und Buchautor. Seine letzten Werke waren: "Das Goldbuch" (2005), das Wörterbuch "Geld und Gold klipp und klar von A bis Z" (2007) und "Die 382 dümmsten Sprüche der Banker" (2008).
Als Thorsten Polleit von Barclays Capital neulich im Rahmen einer Wirtschaftswoche-Diskussion auf die Zwangskapitalisierung der Banken angesprochen wurde, antwortete er mit einigen enthüllenden Zahlen: "Die Banken in Euro-Land haben zusammen ein bilanzielles Eigenkapital von 2200 Milliarden, aber eine Bilanzsumme von 32.500 Milliarden Euro. Das sind 337 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In den USA beträgt dieses Verhältnis nur 80 Prozent." Auf die Frage nach den Konsequenzen gab Polleit die Antwort: "Es läuft vermutlich auf eine teilweise Verstaatlichung der Banken hinaus.“
Knackpunkt ist nicht allein die viel zu hohe Bilanzsumme im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, also zum Wert aller hergestellten Güter und erbrachten Dienstleistungen eines Jahres, sondern gerade auch die geringe Ausstattung mit Eigenkapital. Es beim aktuell niedrigen Kursniveau der Aktien zu erhöhen - etwa der Deutschen Bank oder Commerzbank, der französischen, italienischen oder erst recht der griechischen Banken -, wäre viel zu teuer und würde bedeuten, dass in Zukunft jegliche Gewinne auf eine Unzahl von Aktien verteilt werden müssten. Die Folge bestünde in einem Kurskollaps.
Ist in einem solchen Umfeld die Verstaatlichung wirklich eine realistische Alternative? Die Antwort lautet wie bei Radio Eriwan: Im Prinzip ja, und zwar deshalb, weil sich keine weitere anbietet - es sei denn, die Banken fahren ihr Kreditgeschäft drastisch zurück, sodass sie weniger Eigenkapital benötigen. Dann bestünde die Folge nicht im Kurskollaps, sondern in einer Wirtschaftskrise vom Typ Depression. Da die niemand haben will, ist die Verstaatlichung unausweichlich, egal, ob teilweise oder ganz.
Und deren Folge? Die Antwort von Polleit: Die Banken werden mit dem Geld, das sie dann bekommen, etwas tun müssen. "Sie können Kredite vergeben oder Anleihen kaufen. So oder so bringen sie das frische Geld in Umlauf. Das würde über kurz oder lang zu höherer Inflation führen." Seiner Meinung nach ist die Depression aus heutiger Sich allerdings noch nicht vom Tisch.
Solche Gedankenspiele einschließlich unzähliger Ober- und Untervarianten gehen derzeit durch viele kluge Köpfe. Von daher erklärt sich zu einem großen Teil das Hin und Her an den Aktien-, Edelmetall-, Rohstoff-, Anleihe- und Devisenmärkten. Solange nichts Richtungweisendes geschieht, außer dass die Verhandlungen der Euro-Länder wieder einmal in die so und so vielte Runde gehen, ist weiter mit dem Hin und Her zu rechnen.
Was bedeutet das für Gold und Silber? Mit Gold lässt sich eine Inflation gut überstehen, und sogar im Fall der Depression dürften Goldbesitzer viel besser davonkommen als die Besitzer sonstiger Anlagen. Was den letzten Punkt angeht, könnte man argumentieren, Anleihen, zumal Staatsanleihen, seien wegen ihrer Verzinsung besser als Gold. Doch das dürfte sich in der Regel als Trugschluss erweisen. Denn falls Schuldner - auch staatliche - wegen der Depression weder Zinsen zahlen noch Schulden tilgen können, haben ihre Gläubiger hohe Verluste.
Für Silber gilt, obwohl sein Preis sich während der vergangenen Jahrzehnte im Trend wie der Goldpreis entwickelte, bei einer Depression wahrscheinlich etwas anderes: Da es zum Teil - viel mehr als Gold - auch ein von der Konjunktur abhängiges Industriemetall ist, könnte es sich vom Gold nach unten abkoppeln. Dagegen würde sein Preis bei einer Inflation sogar kräftiger steigen als der Goldpreis.
Welche Signale senden beide Edelmetalle aktuell aus? Weiterhin positive, jedenfalls was ihre zukünftige Preisentwicklung angeht. Denn sie bewegen sich bereits seit vielen Wochen auf hohem Niveau hin und her, ohne Anstalten zu machen, unter ihr Zwischentief vom Sommer zu fallen. Sie legen also wieder einmal eine längere Pause in ihrem langjährigen Aufwärtstrend ein. Dass dabei die absoluten - nicht die prozentualen - Preisschwankungen größer ausfallen als während der früheren Pausen, sollte niemanden stören.
Kann es mit den Preisen nicht trotzdem abwärts gehen? Gesetzt den Fall, es käme wie schon im Herbst 2008 zu einer globalen Liquiditätskrise, dann besteht diese Möglichkeit durchaus. Aber warum soll es ausgerechnet zu so einer Krise kommen, da doch zumindest in den westlichen Industrieländern alle Zentralbanker, die Politiker sowieso, mit dem Geld nur so um sich werfen? Gefährlich könnte es allerdings werden, ohne dass man die Gefahr in irgendeiner Weise quantifizieren kann, falls das undurchsichtige Kreditgeschäft in China zusammenbrechen und den Westen zum Teil mitreißen würde. Dann dürfte es einen kurzen Schock einschließlich temporärer Liquiditätskrise geben - und danach eine Geldschwemme, von der die Edelmetallpreise prozentual noch stärker profitieren würden als von 2009 bis zum Sommer 2011.
Hinter den hier angestellten Überlegungen zur kommenden Preisentwicklung steckt natürlich auch die Erwartung, dass Großanleger immer noch nicht hinreichend mit Gold eingedeckt sind, schon gar nicht mit Silber. Das lässt sich Jahr für Jahr daran erkennen, dass die ETF-Bestände, nur hin und wieder für einige Zeit unterbrochen, nachhaltig steigen. In weiten Anlegekreisen galt Gold noch bis weit ins Jahr 2009 hinein als Exot. Dass es zusammen mit Silber eine Anlageklasse für sich bildet und zur Diversifikation großer Vermögen ebenso beiträgt wie Aktien, Immobilien und Cash, dieser Gedanke hat sich unter den Verwaltern von Milliardengeldern erst seit 2010 richtig durchgesetzt.
Als die Bild-Zeitung im August dieses Jahres publikumswirksam auf Seite 1 Goldbarren zur Verlosung preisgab, dachten viele Anleger: Wenn dieses Massenblatt, ein klassischer Kontra-Indikator, sich derart stark für Gold macht, ist dessen Preis in Gefahr. Tatsächlich fiel der Goldpreis danach, erholte sich bis jetzt aber wieder. Aus der Sicht von Tradern war die Bild-Zeitung also ein sehr guter Indikator. Dagegen hatte sie für langfristig orientierte Anleger nur insoweit Bedeutung, als sich danach nochmals günstige Einstiegspreise ergaben. Gold ist ebenso wie Silber ein internationales Anlagemedium; was in Deutschland mit den Edelmetallen geschieht, hat insofern nur marginale Bedeutung.
Neben Großanlegern gehören seit 2010 auch immer mehr Zentralbanken zu den aktuellen und potenziellen Goldkäufern. Beide Käufergruppen entwickeln eine Dynamik, die es noch nicht gab, als die Schmuckindustrie das meiste Gold abnahm. Die neue Dynamik strahlt auf Händler und die Masse der Anleger aus. Dadurch ergeben sich manchmal wilde Preissprünge, ohne dass es dazu eines äußeren Anlasses bedarf. Fazit: Gold und Silber in physischer Form, also als Barren und Münzen, aber auch als Aktien trotz noch so unruhiger Preise stur durchhalten!
© Manfred Gburek
www.gburek.eu
Herr Gburek ist Fachjournalist und Buchautor. Seine letzten Werke waren: "Das Goldbuch" (2005), das Wörterbuch "Geld und Gold klipp und klar von A bis Z" (2007) und "Die 382 dümmsten Sprüche der Banker" (2008).