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Warum die EZB mehr Anleihen kaufen wird

20.11.2011  |  Manfred Gburek
Jeden November findet in Frankfurt traditionell die Euro Finance Week statt. Hier trifft sich die Prominenz aus der Finanzwirtschaft, zum Teil auch aus der Politik. Dieses Mal warteten alle gespannt auf die Rede von Jens Weidmann, trat er doch zum ersten Mal in seiner Funktion als Bundesbank-Präsident auf. Er sprach von drei Herausforderungen, denen Europa sich stellen müsse: 1. Einzelne Länder sollten ihre hausgemachten Probleme entschlossen angehen. 2. Die Geldpolitik darf sich nicht mehr für finanzpolitische Zwecke vereinnahmen lassen. 3. Es muss zu einem politischen Richtungsentscheid über die Zukunft der Währungsunion kommen.

Klingt gut, ist vernünftig - und bleibt trotzdem nur ein Appell, dessen Umsetzung in die Tat illusorisch ist. Zu 1: Die Menschen in Griechenland, Portugal, Italien, Spanien, Frankreich und anderswo lassen sich nicht gefallen, dass hausgemachte Probleme der Staaten (vor allem viel zu hohe Schulden) zu ihren Lasten gehen, und protestieren dagegen bis zu bürgerkriegsähnlichen Ausschreitungen. Zu 2: Die Geldpolitik dient bereits so sehr der Finanzpolitik, dass ein Zurück unmöglich ist, mag EZB-Präsident Mario Draghi am Freitag in Frankfurt noch so vehement dagegen argumentiert haben. Zu 3: Der politische Richtungsentscheid erfordert nicht nur die Einigung unter 17 Euro-Ländern einschließlich EZB, sondern auch, dass die 17 die Führungsrolle großer Länder wie Deutschland und Frankreich akzeptieren - mission impossible.

Doch das Leben geht weiter, die Euro-Krise ebenfalls. Zurzeit spitzt sie sich sogar wieder zu, weil - siehe Punkt 3 - die fehlende Aussicht auf einen politischen Richtungsentscheid spekulative Großanleger animiert, auf ein Zerbrechen der Euro-Zone zu wetten. Jetzt müsste, wenn schon die Politiker diesem Treiben kein Ende setzen können, wenigstens die EZB zum Gegenschlag ausholen. Sie wird es tun, daran besteht kein Zweifel.

Wie, hat Bundesbank-Präsident Weidmann in der erwähnten Rede beschrieben, und zwar in Form einer Warnung. Dazu zitierte er den Kobra-Effekt. Wörtlich: "Er ist benannt nach dem misslungenen Versuch eines britischen Gouverneurs, in Indien eine Kobra-Plage zu bekämpfen. Das auf Kobras ausgesetzte Kopfgeld bewirkte nämlich, dass die Bevölkerung begann, Kobras zu züchten und zu töten, um die Prämie zu kassieren. Und nachdem das Kopfgeld abgeschafft worden war, wurden die verbliebenen gezüchteten Kobras freigelassen, sodass es letztlich sogar mehr Kobras als ursprünglich gab."

Derweil werden ernst zu nehmende Stimmen immer lauter, die nach mehr Kobras rufen, sprich, die EZB zu einer noch lockereren Geldpolitik auffordern. Ihr Argument ist bestechend einfach: Im Gegensatz zu 17 Euro-Ländern, die sich nicht untereinander einigen können und die eine einheitliche politische Führung vermissen lassen, sei die EZB imstande, souverän zu entscheiden. Wobei es darum geht, den Aufkauf von Staatsanleihen durch die EZB zu forcieren. Dafür müssten zwar deren Direktoriumsmitglieder einschließlich der 17 Notenbankgouverneure zu einem Konsens kommen, aber der ließe sich trotz einigen Widerstands - unter anderem durch Weidmann - zumindest mehrheitlich herstellen. Denn Frankreich, Italien, Spanien und die meisten anderen Euro-Länder sehnen den Aufkauf von mehr Staatsanleihen durch die EZB geradezu herbei.

EZB-Präsident Draghi ist in Kenntnis dieser Zusammenhänge am Freitag fast ausgeflippt, als er Europas Politikern vorwarf, Maßnahmen gegen die Krise zu beschließen, ohne sie umzusetzen. Jetzt bleibt die Verantwortung nämlich zum Großteil an ihm hängen. Das heißt, die EZB muss weiter Euro-Anleihen aufkaufen, ob Draghi will oder nicht. Vermögensverwalter Jens Ehrhardt nannte dies am Freitag beim Sauren-Fondsmanager-Gipfel in Köln "die einzige Möglichkeit". Und Fondsmanager Klaus Kaldemorgen traf bei derselben Veranstaltung den Nagel auf den Kopf, als er sagte, die EZB habe die Wahl zwischen Pest und Cholera: Im ersten Fall würden die Staatsschulden nicht zurückgezahlt, im zweiten Fall kaufe die EZB Staatsanleihen auf.

Draghi will nicht als Verursacher einer hohen Inflation in die Geldgeschichte eingehen. Diese Einstellung ist sicher löblich, doch man muss sich fragen, wie es im Euro-Raum zur Inflation kommen könnte und mit welchen Mitteln sie später zu bekämpfen sein wird. Bisher hat die expansive Geldpolitik ja kaum Spuren beim Verbraucherpreisindex hinterlassen. Dieser ist im Wesentlichen deshalb auf zuletzt 3 Prozent gestiegen, weil sich insbesondere Strom, Sprit, Heizöl und die Mietnebenkosten verteuert haben. Dagegen ist die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes, ein typisches Merkmal der Inflation, nahezu konstant geblieben.

Weitaus interessanter als die Analyse der aktuellen Preissteigerung ist die sozialpsychologische, nämlich im Hinblick auf das Verhalten der Menschen, wenn ihre Inflationserwartungen steigen. Denn erfahrungsgemäß korreliert deren Anstieg etwas zeitversetzt mit der Inflation. Ist dieser Prozess erst einmal in Gang gekommen, lässt sich weder der Zeitpunkt bestimmen, zu dem die EZB oder irgendeine andere Notenbank den Preisanstieg idealerweise bremsen sollte, noch die Geldmenge so steuern, dass die Inflationserwartungen aus den Köpfen verschwinden. Auf die aktuelle Entwicklung und auf den Streit zwischen Befürwortern und Gegnern der Anleihenkäufe durch die EZB bezogen, bedeutet das: Diese Käufe können jetzt noch keinen Inflationsschub auslösen, schlimmstenfalls später. Also wird die Geldpolitik der EZB allen Dementis zum Trotz expansiv bleiben.

Wie sollen Anleger sich in Anbetracht des ganzen Euro-Länder- und EZB-Dramas mitsamt unruhigen Börsen als zwangsläufiger Begleiterscheinung verhalten? Ganz einfach, indem sie mindestens so lange nichts Neues unternehmen, bis die EZB die nächsten Entscheidungen trifft. Das kann in wenigen Tagen, aber auch erst in mehreren Monaten geschehen. Je länger die Wartezeit, desto unruhiger werden die Börsen hin und her pendeln. Dies gilt für Gold und Silber ebenso wie für Aktien und Währungen. Umso mehr Zeit bleibt Anlegern, die Preis- und Kursausschläge zu beobachten, was in solchen Phasen eine sehr sinnvolle Beschäftigung ist.

Abschließend noch einige Bemerkungen zum Gold. Es wird zurzeit von den Zentralbanken in einem Umfang gekauft, als gelte es, die irrsinnigen Verkäufe vor gut einem Jahrzehnt - damals zu einem Bruchteil des heutigen Preisniveaus - wieder wettzumachen. Dennoch verpufft die Wirkung auf den Goldpreis. Das hat nichts anderes zu bedeuten, als dass dieser die jetzigen Zentralbankkäufe schon vorweggenommen hat - ein typisches Börsenphänomen. Es bedarf also neuer Impulse für den Goldpreis, damit er wieder in die Nähe des diesjährigen Höchststands steigt. Ein wichtiger Impuls wird der Schwenk der EZB zu mehr Anleihenkäufen sein.


© Manfred Gburek
www.gburek.eu

Herr Gburek ist Fachjournalist und Buchautor. Seine letzten Werke waren: "Das Goldbuch" (2005), das Wörterbuch "Geld und Gold klipp und klar von A bis Z" (2007) und "Die 382 dümmsten Sprüche der Banker" (2008).




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