Schulden, Schulden, Schulden und kein Ende
19.12.2011 | Prof. Dr. Max Otte
Die Welt ist überschuldet. Kenneth Rogoff, Ex-Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds, und Carmen Reinhard haben 2009 in ihrem Buch "Dieses Mal ist alles anders" die Finanzkrisen der letzten 400 Jahren ausgewertet. Sie haben herausgefunden, dass eine Volkswirtschaft ab einem Schuldenstand von ca. 80 Prozent ernsthafte Probleme bekommt. Die Industrienationen haben gerade diese Schwelle überschritten. Zudem haben die Industrienationen viele "unfunded liabilities" - Verbindlichkeiten ohne Rückstellungen für Ausgaben wie Sozialversicherung und Gesundheitsfürsorge.
Die Schulden MÜSSEN zurückgeführt werden, daran besteht kein Zweifel. Aber wie? Theoretisch gibt es folgende Möglichkeiten:
Als ich Volkswirtschaftslehre studierte, gab es zwar auch schon viele Formeln, aber wir machten uns noch grundsätzliche Gedanken. Dazu gehörte, dass wirtschaftspolitische Maßnahmen immer dreierlei Wirkungen haben - erstens auf die Konjunktur, zweitens auf das Wachstum (allokativ) und drittens auf die Verteilung (distributiv). Lassen Sie uns 1. und 2. kurz abhandeln und uns 3. etwas genauer widmen: Die hohen Schulden wurden teilweise gemacht, um die Konjunktur am Laufen zu halten. Das fällt uns jetzt auf die Füße. Wenn - die dritte Wirkung - Schulden gemacht werden, um in Infrastruktur, Bildung und Wissenschaft zu investieren, kann das positive Wirkungen haben. Es steht aber wohl außer Frage, dass das jetzige Schuldenniveau nicht förderlich für das Wirtschaftswachstum ist.
Also sollten wir die Verteilungswirkungen der Schulden etwas genauer ansehen. Mein Kollege Hans-Werner Sinn spricht in diesem Zusammenhang von einem "gigantischen Vermögenspoker", der stattfindet.
Rechnerisch steht jeder Bundesbürger mit 25.000 Euro in der Kreide. ABER: Die Schulden des einen sind IMMER die Guthaben des anderen. Das kann gar nicht anders sein. Wenn die Staaten also zu viele Staatsanleihen ausgeben und wenn sie sich überschulden, hält jemand anderes diese Anleihen.
Anleihen halten in der jetzigen Weltwirtschaft die Nationen und Sparer mit Geldvermögen: Deutschland und einige andere europäische Nationen, China und Japan. Schulden haben eher die Südländer und vor allem die USA. Hier wird also die erste Dimension des Vermögenspokers sichtbar.
Die deutschen Sparerinnen und Sparer halten Geldvermögen in Form von Termingeldern, Lebensversicherungen und Rentenansprüchen. Und die Lebensversicherer halten - auch - viele Anleihen. Durch Inflation und Schuldenschnitte werden also diejenigen entschuldet, die relativ gesehen überschuldet sind - es wird Vermögen und Kaufkraft ohne Gegenleistung in die USA und nach Südeuropa geschoben. Generell werden sich auch die Staaten insgesamt zu Lasten der Sparer entschulden.
Auch jetzt kann es noch topsichere Anleihen geben, die AAA oder zumindest AA verdienen. Aber in diese Anleihen flieht derzeit alles, sodass die Zinsen bei zwei Prozent und weniger liegen. Die Investoren werden hier über (zu) niedrige Renditen und Inflation zur Kasse gebeten.
Auf der anderen Seite werden aber die Schulden, die Sie als Privatperson machen, etwa um ein Haus zu finanzieren, wohl in der einen oder anderen Form erhalten bleiben. Auch in der Währungsreform nach 1948 wurden die Hypothekenschulden nur 2:1 reduziert, die Geldvermögen aber drastisch um 10:1 geschrumpft.
Ich kann nur immer wiederholen: Sachvermögen in Form von Edelmetallen, hochwertigen Immobilien, Agrar- und Forstland sowie Aktien sind die Basis für einen gesunden Vermögensaufbau, nicht Papierforderungen oder Bankprodukte.
Der Anthropologe David Graeber hat ein hervorragendes Buch zum Thema Schulden geschrieben. Debt: the first 5000 Years. Ich werde sicher noch oft darauf zurückkommen, aber ein zentraler Punkt ist, dass es bereits in Assyrien regelmäßig Schuldenerlasse gab. Graeber zeigt brillant, dass nicht Geld zuerst da war (das entstand als Münzgeld erst ca. 600 v. Chr.) sondern Schuldverhältnisse. In den ersten menschlichen Ansammlungen gab es also nicht anonyme Tauschverhältnisse wie auf dem Markt, sondern Schuldverhältnisse und Systeme gegenseitiger Verpflichtungen. Logisch, oder? Unsere Urahnen konnten ja nicht immer, wenn sie etwas Bestimmtes vom Nachbar brauchten, sofort etwas Passendes dafür eintauschen.
Gesellschaftlich unerträglich wird es, wenn es zweierlei Systeme von Regeln gibt - eines für Gläubiger und eines für Schuldner. Das ist wieder so: Wenn heute von Privatpersonen Schulden gemacht werden, müssen diese auf jeden Fall zurückgezahlt werden. Staaten, Banken und Superreiche können aber oftmals sehr billig Schulden aufnehmen, um Ausgaben zu finanzieren oder mit den Schulden Geld zu verdienen. Und wenn sie dann nicht zurückzahlen können, erhalten sie einen Schuldenerlass oder öffentliche Unterstützung wie im Fall der Banken und hoch verschuldeten Länder (wo wir eigentlich wieder nur die Banken und Superreichen retten).
So haben in der Geschichte meistens Revolutionen angefangen!
© Prof. Dr. Max Otte
Die Schulden MÜSSEN zurückgeführt werden, daran besteht kein Zweifel. Aber wie? Theoretisch gibt es folgende Möglichkeiten:
- 1. hohes Wirtschaftswachstum
- 2. Inflation
- 3. Schuldenschnitte und Insolvenzen, auch Staatsinsolvenzen und Währungsreformen
Als ich Volkswirtschaftslehre studierte, gab es zwar auch schon viele Formeln, aber wir machten uns noch grundsätzliche Gedanken. Dazu gehörte, dass wirtschaftspolitische Maßnahmen immer dreierlei Wirkungen haben - erstens auf die Konjunktur, zweitens auf das Wachstum (allokativ) und drittens auf die Verteilung (distributiv). Lassen Sie uns 1. und 2. kurz abhandeln und uns 3. etwas genauer widmen: Die hohen Schulden wurden teilweise gemacht, um die Konjunktur am Laufen zu halten. Das fällt uns jetzt auf die Füße. Wenn - die dritte Wirkung - Schulden gemacht werden, um in Infrastruktur, Bildung und Wissenschaft zu investieren, kann das positive Wirkungen haben. Es steht aber wohl außer Frage, dass das jetzige Schuldenniveau nicht förderlich für das Wirtschaftswachstum ist.
Also sollten wir die Verteilungswirkungen der Schulden etwas genauer ansehen. Mein Kollege Hans-Werner Sinn spricht in diesem Zusammenhang von einem "gigantischen Vermögenspoker", der stattfindet.
Rechnerisch steht jeder Bundesbürger mit 25.000 Euro in der Kreide. ABER: Die Schulden des einen sind IMMER die Guthaben des anderen. Das kann gar nicht anders sein. Wenn die Staaten also zu viele Staatsanleihen ausgeben und wenn sie sich überschulden, hält jemand anderes diese Anleihen.
Anleihen halten in der jetzigen Weltwirtschaft die Nationen und Sparer mit Geldvermögen: Deutschland und einige andere europäische Nationen, China und Japan. Schulden haben eher die Südländer und vor allem die USA. Hier wird also die erste Dimension des Vermögenspokers sichtbar.
Die deutschen Sparerinnen und Sparer halten Geldvermögen in Form von Termingeldern, Lebensversicherungen und Rentenansprüchen. Und die Lebensversicherer halten - auch - viele Anleihen. Durch Inflation und Schuldenschnitte werden also diejenigen entschuldet, die relativ gesehen überschuldet sind - es wird Vermögen und Kaufkraft ohne Gegenleistung in die USA und nach Südeuropa geschoben. Generell werden sich auch die Staaten insgesamt zu Lasten der Sparer entschulden.
Auch jetzt kann es noch topsichere Anleihen geben, die AAA oder zumindest AA verdienen. Aber in diese Anleihen flieht derzeit alles, sodass die Zinsen bei zwei Prozent und weniger liegen. Die Investoren werden hier über (zu) niedrige Renditen und Inflation zur Kasse gebeten.
Auf der anderen Seite werden aber die Schulden, die Sie als Privatperson machen, etwa um ein Haus zu finanzieren, wohl in der einen oder anderen Form erhalten bleiben. Auch in der Währungsreform nach 1948 wurden die Hypothekenschulden nur 2:1 reduziert, die Geldvermögen aber drastisch um 10:1 geschrumpft.
Ich kann nur immer wiederholen: Sachvermögen in Form von Edelmetallen, hochwertigen Immobilien, Agrar- und Forstland sowie Aktien sind die Basis für einen gesunden Vermögensaufbau, nicht Papierforderungen oder Bankprodukte.
Der Anthropologe David Graeber hat ein hervorragendes Buch zum Thema Schulden geschrieben. Debt: the first 5000 Years. Ich werde sicher noch oft darauf zurückkommen, aber ein zentraler Punkt ist, dass es bereits in Assyrien regelmäßig Schuldenerlasse gab. Graeber zeigt brillant, dass nicht Geld zuerst da war (das entstand als Münzgeld erst ca. 600 v. Chr.) sondern Schuldverhältnisse. In den ersten menschlichen Ansammlungen gab es also nicht anonyme Tauschverhältnisse wie auf dem Markt, sondern Schuldverhältnisse und Systeme gegenseitiger Verpflichtungen. Logisch, oder? Unsere Urahnen konnten ja nicht immer, wenn sie etwas Bestimmtes vom Nachbar brauchten, sofort etwas Passendes dafür eintauschen.
Gesellschaftlich unerträglich wird es, wenn es zweierlei Systeme von Regeln gibt - eines für Gläubiger und eines für Schuldner. Das ist wieder so: Wenn heute von Privatpersonen Schulden gemacht werden, müssen diese auf jeden Fall zurückgezahlt werden. Staaten, Banken und Superreiche können aber oftmals sehr billig Schulden aufnehmen, um Ausgaben zu finanzieren oder mit den Schulden Geld zu verdienen. Und wenn sie dann nicht zurückzahlen können, erhalten sie einen Schuldenerlass oder öffentliche Unterstützung wie im Fall der Banken und hoch verschuldeten Länder (wo wir eigentlich wieder nur die Banken und Superreichen retten).
So haben in der Geschichte meistens Revolutionen angefangen!
© Prof. Dr. Max Otte