Stark warnt, Draghi handelt
25.12.2011 | Manfred Gburek
Die Zeitschrift "Wirtschaftsjournalist" veröffentlichte in ihrer letzten Ausgabe eine aufschlussreiche Gegenüberstellung der Klicks für die am meisten gelesenen Internetbeiträge von handelsblatt.com und ftd.de (Financial Times Deutschland) in den Monaten Oktober und November. Sie zeugt von einem Stimmungsbild, das nur noch am Rand mit der Realität zu tun hat.
Als hätten die Leser eine ultimative Depression geradezu herbeigesehnt, lasen sie im ersten Fall am meisten ein Interview mit Börsenguru und Bestsellerautor Dirk Müller. Titel: "Wir sind in der Endphase". Müller landete außerdem noch auf Platz 3 der Handelsblatt-Hitliste mit einem weiteren Interview. Titel hier: "Die Schweinehunde bestimmen, wo es langgeht". Dazu vier weitere in den Top 10 gelandete Stimmungsverderber.
Alles noch harmlos im Vergleich zum deutschen Internetableger der britischen Financial Times: neun Mal die Schuldenkrise, ergänzt um einen Beitrag zum griechischen Schnaps Ouzo, den man wegen der Athener Misswirtschaft getrost auch dem Krisenthema zuordnen kann. Wobei Müller seinen ersten und dritten Platz bei handelsblatt.com um den zweiten bei ftd.de ergänzt. Überschrift hier: "Dirk Müller sieht das Finanzsystem am Ende".
Das dermaßen verbreitete Stimmungsbild hat sich inzwischen weit von der wirklichen Lage entfernt, einer Lage, die auf die Weltwirtschaft bezogen gar nicht so schlecht ist und auf die deutsche Wirtschaft bezogen sogar das Prädikat "ordentlich" verdient. Zur negativen Stimmung tragen auch die Ratingagenturen bei, deren Kommentare und Bewertungen sich zwar immer mehr abnutzen, aber von den Medien trotzdem weiter verbreitet werden. Manchmal habe ich den Eindruck, ihre Bosse und Angestellten würden nach der Medienpräsenz honoriert.
Was die Verbreitung von Botschaften über die Medien betrifft, hat sich in Deutschland mittlerweile die Unart eingebürgert, mithilfe von PR-Agenturen und Amigos möglichst oft in ARD, ZDF, weiteren Fernsehsendern, auflagenstarken Zeitungen und Zeitschriften Präsenz zu zeigen und die Bekanntheit - oder treffender formuliert: das eitle Ego - nach oben zu hebeln. Ehrlich gesagt, habe ich keine Lust mehr, Sendungen einzuschalten, in denen Hans-Olaf Henkel auf Oskar Lafontaine trifft. Oder mir zum so und so vielten Mal Hans-Werner Sinn anzuhören, zu dessen Ausführungen Folker Hellmeyer, Chefvolkswirt der Bremer Landesbank, neulich die ironische Bemerkung machte, das Wort Sinnlosigkeit bekomme durch den ifo-Chef eine neue Bedeutung.
Wer als Anleger antizyklisch denkt und handelt, kann aus all dem einen interessanten Schluss ziehen: Den Weltuntergang beschwörende Überschriften und Inhalte im Internet und in den Printmedien sowie entsprechende Diskussionsbeiträge im Fernsehen sind gute Kontraindikatoren. Das heißt, je mehr sie verbreitet werden, desto größer wächst die Wahrscheinlichkeit, dass sich wirtschaftlich immer mehr zum Guten wendet. Zwar ist es noch nicht ganz so weit, weil auch andere Indikatoren zu berücksichtigen sind, aber immerhin macht die Inflation der medialen Krisenindustrie Mut, konträr und damit positiv zu denken.
Ein weiteres Indiz für die Wende zum Guten war in der vorweihnachtlichen Woche die Entscheidung der Europäischen Zentralbank unter ihrem neuen Chef Mario Draghi, den Banken des Euro-Raums für drei Jahre beliebig viel Geld zur Verfügung zu stellen. Sie machten von dem Angebot auf Anhieb mit fast einer halben Billion Euro Gebrauch. Durch die Draghi-Aktion wurde endlich klar, dass von den im Vorfeld heiß diskutierten zig Möglichkeiten, die Banken- und Staatsschuldenkrise zu bekämpfen, einer bestimmten Alternative als Initialzündung der Vorzug gegeben wurde - und Klarheit wirkt sich auf die Entscheidungen von Anlegern immer positiv aus.
Viel wird davon abhängen, was die Banken mit dem Geld machen. Die meisten brauchen es ja dringend, um ihre Bilanzen in Ordnung zu bringen. Daraus folgt, dass die zu Recht befürchtete Kreditklemme noch nicht aus der Welt ist. Ob sie ernste Verwerfungen an den Finanzmärkten nach sich ziehen wird, dürfte erst im Lauf der kommenden Monate zu erkennen sein.
Jemand hat Draghis Mission einmal treffend als Ritt auf der Rasierklinge bezeichnet. So ist es. Das bedeutet im übertragenden Sinn: Verletzungen sind möglich. Oder um es ohne Bildersprache zu formulieren: Das viele aus dem Nichts neu geschaffene Geld kann von weiteren Schuldenexzessen bis zu steigenden Inflationsraten so ziemlich alles auslösen, was Europa und speziell der Euro-Raum am wenigsten braucht. Es kann aber auch positiv wirken, indem die Banker endlich ihre Hausaufgaben erledigen und die hoch verschuldeten Staaten eine vernünftige Fiskalpolitik betreiben. Wobei in beiden Fällen der Zeitfaktor eine große Rolle spielt.
Was werden die Politiker unternehmen? Ich habe eine interessante Antwort bei jemandem gefunden, der nicht gerade als ultralinker Sozi verdächtig ist: Jürgen Stark, noch Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, im Interview mit der Süddeutschen Zeitung am 12. Dezember. Er sagte: "Angesichts der Notlage ist es auch gerechtfertigt, einen Teil der hohen privaten Vermögen durch Steuern abzuschöpfen." Das Interview war in einer Hinsicht wegweisend: Seit etwa zwei Monaten zeichnet sich ab, dass reiche Deutsche ihr Vermögen wieder zunehmend ins Ausland verlagern. Das habe ich von einem guten Freund erfahren, der die Vermögensströme seit Jahrzehnten verfolgt.
Stark hat seine Aussage zu mehr Steuern auf Vermögen im selben Interview von der Möglichkeit abgegrenzt, Staatsschulden durch Inflation aus der Welt zu schaffen. Eine höhere Inflation "schließe ich für Europa aus", betonte er und legte nach: "Aus einem bisschen Inflation wird immer ein bisschen mehr und dann noch ein bisschen mehr."
Ob Draghi sich das zu Herzen nimmt? Da habe ich meine Zweifel. Denn für ihn steht die Euro-Rettung mitsamt der Bankenhilfe und der sogenannten Konsolidierung der Staatshaushalte auf der Agenda ganz oben, die Sorge um die Inflation dagegen ziemlich unten. Stark hat zwar recht mit seiner Warnung, dass aus wenig Inflation viel Inflation werden kann, aber zurzeit verpuffen solche Warnungen.
Für Sie als Anleger mag das ganze Hickhack um die von den Medien aufgeblasene Krise, um die Bankenrettung und Inflationsangst zwar nervig sein, aber Sie können Ihre Nerven schonen, indem Sie das meiste davon ausblenden und ganz bewusst keine überstürzten Anlageentscheidungen treffen. Behalten Sie also all Ihr Gold und Silber, verfolgen Sie jedoch die Preise beider Edelmetalle intensiv weiter, denn sie sind unter anderem Seismographen für Inflation und Deflation. Vergessen Sie nicht, genug Cash vorzuhalten, um gegebenenfalls schon in den kommenden Monaten auf Schnäppchenjagd bei Aktien zu gehen. Und vor allem: Nutzen Sie die - für Sie hoffentlich ruhige - Weihnachtszeit, um ganz viel über Ihre Finanzen nachzudenken. In diesem Sinn ein frohes Fest!
© Manfred Gburek
www.gburek.eu
Herr Gburek ist Fachjournalist und Buchautor. Seine letzten Werke waren: "Das Goldbuch" (2005), das Wörterbuch "Geld und Gold klipp und klar von A bis Z" (2007) und "Die 382 dümmsten Sprüche der Banker" (2008).
Als hätten die Leser eine ultimative Depression geradezu herbeigesehnt, lasen sie im ersten Fall am meisten ein Interview mit Börsenguru und Bestsellerautor Dirk Müller. Titel: "Wir sind in der Endphase". Müller landete außerdem noch auf Platz 3 der Handelsblatt-Hitliste mit einem weiteren Interview. Titel hier: "Die Schweinehunde bestimmen, wo es langgeht". Dazu vier weitere in den Top 10 gelandete Stimmungsverderber.
Alles noch harmlos im Vergleich zum deutschen Internetableger der britischen Financial Times: neun Mal die Schuldenkrise, ergänzt um einen Beitrag zum griechischen Schnaps Ouzo, den man wegen der Athener Misswirtschaft getrost auch dem Krisenthema zuordnen kann. Wobei Müller seinen ersten und dritten Platz bei handelsblatt.com um den zweiten bei ftd.de ergänzt. Überschrift hier: "Dirk Müller sieht das Finanzsystem am Ende".
Das dermaßen verbreitete Stimmungsbild hat sich inzwischen weit von der wirklichen Lage entfernt, einer Lage, die auf die Weltwirtschaft bezogen gar nicht so schlecht ist und auf die deutsche Wirtschaft bezogen sogar das Prädikat "ordentlich" verdient. Zur negativen Stimmung tragen auch die Ratingagenturen bei, deren Kommentare und Bewertungen sich zwar immer mehr abnutzen, aber von den Medien trotzdem weiter verbreitet werden. Manchmal habe ich den Eindruck, ihre Bosse und Angestellten würden nach der Medienpräsenz honoriert.
Was die Verbreitung von Botschaften über die Medien betrifft, hat sich in Deutschland mittlerweile die Unart eingebürgert, mithilfe von PR-Agenturen und Amigos möglichst oft in ARD, ZDF, weiteren Fernsehsendern, auflagenstarken Zeitungen und Zeitschriften Präsenz zu zeigen und die Bekanntheit - oder treffender formuliert: das eitle Ego - nach oben zu hebeln. Ehrlich gesagt, habe ich keine Lust mehr, Sendungen einzuschalten, in denen Hans-Olaf Henkel auf Oskar Lafontaine trifft. Oder mir zum so und so vielten Mal Hans-Werner Sinn anzuhören, zu dessen Ausführungen Folker Hellmeyer, Chefvolkswirt der Bremer Landesbank, neulich die ironische Bemerkung machte, das Wort Sinnlosigkeit bekomme durch den ifo-Chef eine neue Bedeutung.
Wer als Anleger antizyklisch denkt und handelt, kann aus all dem einen interessanten Schluss ziehen: Den Weltuntergang beschwörende Überschriften und Inhalte im Internet und in den Printmedien sowie entsprechende Diskussionsbeiträge im Fernsehen sind gute Kontraindikatoren. Das heißt, je mehr sie verbreitet werden, desto größer wächst die Wahrscheinlichkeit, dass sich wirtschaftlich immer mehr zum Guten wendet. Zwar ist es noch nicht ganz so weit, weil auch andere Indikatoren zu berücksichtigen sind, aber immerhin macht die Inflation der medialen Krisenindustrie Mut, konträr und damit positiv zu denken.
Ein weiteres Indiz für die Wende zum Guten war in der vorweihnachtlichen Woche die Entscheidung der Europäischen Zentralbank unter ihrem neuen Chef Mario Draghi, den Banken des Euro-Raums für drei Jahre beliebig viel Geld zur Verfügung zu stellen. Sie machten von dem Angebot auf Anhieb mit fast einer halben Billion Euro Gebrauch. Durch die Draghi-Aktion wurde endlich klar, dass von den im Vorfeld heiß diskutierten zig Möglichkeiten, die Banken- und Staatsschuldenkrise zu bekämpfen, einer bestimmten Alternative als Initialzündung der Vorzug gegeben wurde - und Klarheit wirkt sich auf die Entscheidungen von Anlegern immer positiv aus.
Viel wird davon abhängen, was die Banken mit dem Geld machen. Die meisten brauchen es ja dringend, um ihre Bilanzen in Ordnung zu bringen. Daraus folgt, dass die zu Recht befürchtete Kreditklemme noch nicht aus der Welt ist. Ob sie ernste Verwerfungen an den Finanzmärkten nach sich ziehen wird, dürfte erst im Lauf der kommenden Monate zu erkennen sein.
Jemand hat Draghis Mission einmal treffend als Ritt auf der Rasierklinge bezeichnet. So ist es. Das bedeutet im übertragenden Sinn: Verletzungen sind möglich. Oder um es ohne Bildersprache zu formulieren: Das viele aus dem Nichts neu geschaffene Geld kann von weiteren Schuldenexzessen bis zu steigenden Inflationsraten so ziemlich alles auslösen, was Europa und speziell der Euro-Raum am wenigsten braucht. Es kann aber auch positiv wirken, indem die Banker endlich ihre Hausaufgaben erledigen und die hoch verschuldeten Staaten eine vernünftige Fiskalpolitik betreiben. Wobei in beiden Fällen der Zeitfaktor eine große Rolle spielt.
Was werden die Politiker unternehmen? Ich habe eine interessante Antwort bei jemandem gefunden, der nicht gerade als ultralinker Sozi verdächtig ist: Jürgen Stark, noch Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, im Interview mit der Süddeutschen Zeitung am 12. Dezember. Er sagte: "Angesichts der Notlage ist es auch gerechtfertigt, einen Teil der hohen privaten Vermögen durch Steuern abzuschöpfen." Das Interview war in einer Hinsicht wegweisend: Seit etwa zwei Monaten zeichnet sich ab, dass reiche Deutsche ihr Vermögen wieder zunehmend ins Ausland verlagern. Das habe ich von einem guten Freund erfahren, der die Vermögensströme seit Jahrzehnten verfolgt.
Stark hat seine Aussage zu mehr Steuern auf Vermögen im selben Interview von der Möglichkeit abgegrenzt, Staatsschulden durch Inflation aus der Welt zu schaffen. Eine höhere Inflation "schließe ich für Europa aus", betonte er und legte nach: "Aus einem bisschen Inflation wird immer ein bisschen mehr und dann noch ein bisschen mehr."
Ob Draghi sich das zu Herzen nimmt? Da habe ich meine Zweifel. Denn für ihn steht die Euro-Rettung mitsamt der Bankenhilfe und der sogenannten Konsolidierung der Staatshaushalte auf der Agenda ganz oben, die Sorge um die Inflation dagegen ziemlich unten. Stark hat zwar recht mit seiner Warnung, dass aus wenig Inflation viel Inflation werden kann, aber zurzeit verpuffen solche Warnungen.
Für Sie als Anleger mag das ganze Hickhack um die von den Medien aufgeblasene Krise, um die Bankenrettung und Inflationsangst zwar nervig sein, aber Sie können Ihre Nerven schonen, indem Sie das meiste davon ausblenden und ganz bewusst keine überstürzten Anlageentscheidungen treffen. Behalten Sie also all Ihr Gold und Silber, verfolgen Sie jedoch die Preise beider Edelmetalle intensiv weiter, denn sie sind unter anderem Seismographen für Inflation und Deflation. Vergessen Sie nicht, genug Cash vorzuhalten, um gegebenenfalls schon in den kommenden Monaten auf Schnäppchenjagd bei Aktien zu gehen. Und vor allem: Nutzen Sie die - für Sie hoffentlich ruhige - Weihnachtszeit, um ganz viel über Ihre Finanzen nachzudenken. In diesem Sinn ein frohes Fest!
© Manfred Gburek
www.gburek.eu
Herr Gburek ist Fachjournalist und Buchautor. Seine letzten Werke waren: "Das Goldbuch" (2005), das Wörterbuch "Geld und Gold klipp und klar von A bis Z" (2007) und "Die 382 dümmsten Sprüche der Banker" (2008).