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Staatsverschuldung

20.04.2000  |  dottore
Der folgende Text wurde im Board von Elliottwaves.de gepostet. Nachträglich wurden vom Autor noch ein paar Anmerkungen (Punkt 8, 9, 10) ergänzt.


1. Immer zwischen Staatsschulden (die laufend gemacht werden) und Staatsverschuldung (Gesamtbestand) trennen.

2. Bei der Staatsverschuldung sind Gläubiger und Schuldner ein und dieselben Personen, eben die Bürger des betreffenden Landes. Banken, die den Spareren "Bundeswertpapiere" andrehen, verkaufen ihnen also Forderungen an sich selbst.

3. Staatsschulden wirken zunächst ankurbelnd ("inflationär") wie alle Kredite, die zu mehr Nachfrage führen.

4. Bei Privatkrediten muss der Schuldner aber mehr leisten, um den Kredit bedienen zu können. Diese Mehrleistung wirkt "deflationär", sorgt also für ein zusätzliches Angebot an Gütern und Diensten, was das Preisniveau wieder senkt. Hätten wir nur Privatkredite, käme es zu (kaum merklichen) Preiserhöhungen, die alsbald wieder durch (ebenso kleine) Preissenkungen wieder ausgeglichen würden. Der Indealzustand einer freien Wirtschaft ohne Staat.

5. Der Staat, der Schulden macht, unternimmt aber keine zusätzlichen Anstrengungen (d.h. er leistet nichts), so dass es zu einer permanenten Inflationierung kommt (z.B. das "Ankurbelungsprogramm" von Wirtschaftsminister Schiller - ca. 12 Mrd DM - 1967 ff., das sich in einem ersten starken Inflationsschub (Preise rauf, Kosten rauf) eingangs der 70er Jahre entlud).

6. Langsam kommen nun die Zinsen auf die Staatsverschuldung ins Spiel. Die schlägt der Staat zur vorhandenen Schuld (inzwischen sind die Zinsen in der BRD um die 25 % der gesamten öffentlichen Haushalte). Zinsen immer wieder zur Schuld schlagen darf nur der Staat, weil er - im Gegensatz zu seinen Bürgern - als "infallibler" Schuldner gilt ("kann nicht pleite gehen", usw.).

7. Mit den steigenden und immer wieder zur vorhandenen Schuld geschlagenenen Zinsen aber nimmt der "Ankurbelungseffekt" immer stärker ab. Ich nenne das den "Tsatsiki-Effekt":

Junger Mann geht zur Bank, leiht sich 1.000 Mark für ein Wochenende mit der Freundin. Auf geht's nach Paris. Ein Jahr später: Junger Mann leiht sich wieder 1.000 Mark, kriegt aber nur 900 ausgezahlt, denn 100 Mark Zinsen behält die Bank ein. Auf geht's nach Reims. Fünf Jahre später: Junger Mann leiht sich wieder 1.000 Mark, kriegt aber nur noch 400 ausgezahlt, 600 Mark Zinsen. Auf geht's in die Lüneburger Heide. Und so weiter. Schluß: Junger Mann leiht sich 1.000 Mark, kriegt aber nur 10 Mark ausgezahlt, 990 Mark sind Zinsen auf die inzwischen sehr hohe Verschuldung, die er vor sich hergeschoben hat. Mit den zehn Mark geht er zur nächsten Gyros-Bude und kauft sich und seiner Freundin eine Portion Pommes mit Tzatsiki.
Moral von der Geschichte: Obwohl die Verschuldung jedes Jahr um den gleichen Betrag gestiegen ist, kann der Mann statt der 1.000 Mark (1. Jahr) nur noch mit 10 Mark die Wirtschaft "ankurbeln".


8. Obwohl viele Staaten riesige neue Schulden machen, geht von ihnen kein "realwirtschaftlicher" Effekt mehr aus. Die Schulden sind nur noch hochgebuchte Zinsen. Bestes Beispiel z.Z.: Japan: Die Staatsverschuldung hat inzwischen fast 200% des BIP erreicht (das rasant fällt, die Preise ebenso) und obwohl ununterbrochen neue "Konjunkturprogramme" aufgelegt werden, tut sich in der realen Wirtschaft nichts mehr.

Japans BIP nimmt derzeit mit einer Jahresate von 5,5% ab (!), die Konsumentenpreise fallen mit einer Jahresrate von 3,3% (Quelle: The Economist).
Das japanische BIP liegt derzeit umgerechnet bei knapp unter 3 Billionen USD. Die Staatsverschuldung (inklusive abgezinste Pensionszusagen und öffentliche Betriebe, wie Post) liegt bei etwa 6 Billionen USD. Die Zinsen auf die Staatsverschuldung werden nicht offiziell ausgewiesen, sind z.T. in Schattenhaushalten bzw. per Überkreuz-Verbuchung mit der Notenbank versteckt. Da Japans Langfrist-Zinssätze seit 1990, dem Beginn der Baisse, zwischen 8 und etwas über 1 Prozent schwankten, sind die Experten auf Schätzungen angewiesen. Sie liegen bei 320 bis 420 Milliarden p.a. (Quelle: Nachfrage beim IWF).


9. DAS ENDE: Nach einer von Walter Lüftl entwickelten Formel gilt: Steigt die Verschuldung schneller als das woraus sie bedient werden kann, kommt es in berechenbar endlicher Zeit zum Bankrott (vgl. sein Buch "Formeln für den Staatsbankrott"). Die Staatsschulden steigen weltweit schneller als das Welt-BSP - also ist alles leicht zu berechnen.

Bei juristischen Personen, und jeder Staat ist auch eine jursitische Person, liegt Insolvenz vor, sobald eine "Überschldung" eingetreten ist. Da Staaten keine Bilanzen vorlegen, sondern noch immer der sog. "kameralistischen Buchhaltung" (= einfache Einzahlungs/Auszahlungs-Rechnung) anhängen, ist eine Überschuldung nicht so einfach zu erkennen wie z.B. bei einer AG.

Da die japanischen Staatseinnahmen aber nur um die 400 Mrd. USD liegen (mit ebenfalls stark fallender Tendenz wg. Rezession und einer massiven Steuersenkung im Frühjahr 1999) kann grosso modo festgestellt werden, dass die ordentlichen Staatseinnahmen gerade noch ausreichen, um den Zinsendienst auf die aufgelaufene Staatsverschuldug zu decken. Sämtliche sonstigen Staatsausgaben werden also durch die Aufnahme zusätzlicher Staatsschulden "gedeckt". Damit ist der Point of No Return längst überschritten.

Formell bleibt jeder Staat liquide, solange er sich noch durch Kreditaufnahme bei der (ihm gehörenden) Notenbank "refinanzieren" kann, also mit Hilfe von frisch gedrucktem Geld, das die Notenbank gegen die Hereinnahme weiterer Staatstitel ausgibt. Insofern kann der Tag der ultimativen Pleite noch hinausgezögert werden. Das Desaster wird dadurch nur umso grösser.


10. Hinzu kommt: Da es zur Staatsverschuldung eine Gegenbuchung gibt (= Guthaben der Bevölkerung), "verrenten" sich die Bürger selbst. Gegen Ende hin leben immer mehr direkt oder indirekt von den Zinsen aus der Staatsverschuldung und legen ihr Geld logischerweise eher in diesen "sicheren" Staatstiteln an als in "riskanten" unternehmerischen Aktivitäten. Man werfe nur mal einen Blick in die Bilanz von SIEMENS: Das ist der Grund für die rätselhafte "Wachstumsschwäche" von Staaten, der Verschuldung entsprechend hoch geschossen ist. Und weil gegen die flaue Lage "angekurbelt" werden soll, verschlechtert sich die Lage immer weiter.

Das theoretische Ende des Lüftl-Szenarios: Die Zinsen aus der Staatsverschuldung sind so hoch wie das BIP. Dann muss niemand mehr arbeiten, weil ja alle von ihren Zinsen leben können und dann wird auch nicht mehr gearbeitet. Und dann merken endlich alle, was für einem Schwindel sie aufgesessen sind. Und dass man Geld nicht essen kann (übrigens auch Aktien oder andere "Wertpapiere" nicht).

In den Bilanzen von Siemens konnte man in den letzten Jahren auf der Aktivseite die Position "Finanzanlagen" in Höhe von 20 bis 30 Mrd. DM entdecken. Das Unternehmen ist also eine Bank mit angeschlossenem Industriebetrieb. Die gerade veröffentlichte Gewinnzahl von Siemens (1,4 Mrd. Euro) enthält also ca. 40 Prozent Zinsgewinne.

Das Problem ist also: Warum verkauft Siemens nicht seine gigantischen Wertpapierbestände und investiert den Erlös in der Realwirtschaft? Oder anders: Gäbe es keine "Wertpapiere" (im wesentlichen Staatstitel), müssten solche Unternehmen ihr Geld, das ja ursprünglich aus realwirtschaftlichen Anstrengungen stammt, wieder "richtig" investieren statt es risikolos anzulegen. Das würde Abeitsplätze schaffen. Siemens z.B. - wie auch viele andere Unternehmen dieses Kalibers - aber bauen seit Jahren Arbeitsplätze ab.



Tut mir leid, dass der Exkurs nicht knapper wurde. Aber der Schwindel mit der Staatsverschuldung ist nicht so leicht zu durchschauen. Ich hoffe, es hat geklappt.

Weiterführende Lektüre: P.C. Martin, Die Krisenschaukel, München 1998.


© dottore



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