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Was die Charts verraten

08.12.2013  |  Manfred Gburek
Haben Sie sich nicht schon oft gefragt, warum Kurse steigen und fallen? Warum Käufer von VW-Vorzugsaktien vor fünf Jahren nur 30 Euro pro Stück bezahlt haben, zuletzt aber mehr als 190 Euro? Und warum umgekehrt Verkäufer vor fünf Jahren bereit waren, ihre Aktien für schlappe 30 Euro herzugeben, wo doch dieselben Aktien jetzt mehr als das Sechsfache wert sind? Oder warum Gold vor fünf Jahren zu 750 Dollar je Feinunze (31,1 Gramm, die international übliche Messlatte) zu haben war, dann im Sommer 2011 über 1900 Dollar kostete, am vergangenen Freitag aber bloß noch zu 1230 Dollar gehandelt wurde? Diese und ähnliche Fragen, die mir auch immer wieder aus Leserkreisen gestellt werden, haben mich veranlasst, die hier in der vergangenen Woche angestellten Überlegungen zu vertiefen.

Sogar nachträglich fällt es schwer, alle oder zumindest die wichtigsten Ursachen zu ergründen, warum der VW-Kurs sich in der fraglichen Zeit versechsfacht hat. Viele Anleger tippen sicher auf den Autoboom der vergangenen Jahre. Doch wer hat vor fünf Jahren, mitten in der Finanz- und Wirtschaftskrise, wirklich ernsthaft einen solchen Boom erwartet und geglaubt, der VW-Aktienkurs könnte derartig zulegen? Ich behaupte: niemand.

Und woran denken die meisten Anleger, wenn sie die Entwicklung des Goldpreises während der vergangenen fünf Jahre Revue passieren lassen? Dass sie seinerzeit bestimmt nicht erwartet hatten, sein Preis werde eine so rasante Achterbahnfahrt hinlegen, gilt das edle Metall doch traditionell als Synonym für Wertstabilität und Schutz vor zerbröselnden Währungen, mit denen sein Preis gemessen wird. Heute kreisen die Anlegergedanken im Zuge der Ursachenforschung sicher um die stattgefundenen ETF- und ETC-Käufe und -Verkäufe, um die anfänglichen Unter- und später Überkapazitäten der Minen, um die Dispositionen der Schmuckindustrie als größtem Weiterverarbeiter und wahrscheinlich auch um die eine oder andere Preismanipulation.

Nachträglich lässt sich also einiges erklären. Aber im Voraus? Schwierig. Was nicht bedeutet, dass Sie sich von der Börse verabschieden sollten. Im Gegenteil, machen Sie weiter, aber kalkulieren Sie ein, dass Ihnen Fehler unterlaufen; die dürfen am Ende halt nicht schwerer wiegen als Ihre Erfolge. Um noch einmal auf VW zurückzukommen: Aus verschiedenen Statistiken und seriösen Hochrechnungen geht hervor, dass die wettbewerbsintensive Autoindustrie unter Führung von Toyota, General Motors und VW, bedrängt durch aggressive Anbieter wie Hyundai und chinesische Hersteller, mit rückläufigen Gewinnen rechnen muss. Folglich lässt man VW-Aktien im Zweifel links liegen.

Was Gold betrifft: Solange die westlichen Zentralbanken einschließlich der japanischen alles unternehmen, um ihre Währungen kaputt zu kriegen, indem sie mit Geld nur so um sich werfen und ganz offiziell höhere Inflationsraten anstreben, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis Gold seine Funktion als international anerkannter Wertstabilisator zurückgewinnt. Oder auf einen Nenner gebracht: Wenn es auf der Welt immer mehr Geld bei nachweislich nicht beliebig vermehrbarem Gold aus der Minenproduktion und begrenzten Altgoldverkäufen gibt, muss der in Geldeinheiten (Währungen) gemessene Goldpreis über kurz oder lang steigen. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil die Schmuckindustrie für eine stetige Nachfrage sorgt und die Chinesen derzeit Gold in großen Mengen kaufen.

Es sind solche einfachen Überlegungen, die man zweckmäßigerweise früh anstellen sollte, um Trends nicht zu verpassen. Das auf den Punkt genaue Timing ist dann eher Glückssache. Hier schließt sich der Kreis zur Ausgangsfrage, warum Kurse steigen und fallen. Weil die Nachfrage höher ist als das Angebot, lautet eine häufig gegebene Antwort. Sie bringt uns indes nicht viel weiter. Plausibler, weil differenzierter sind die Ursachen, die ich in der vorwöchigen Kolumne aufgezählt habe. Davon hier nur sechs Beispiele: Geld- und Fiskalpolitik, Konjunktur, Verhalten von Großanlegern, politische Trends, Technologiesprünge. Den Rest lesen Sie am besten noch einmal auf goldseiten.de nach. Die Ursachen bilden ein komplexes Bündel mit gegenseitigen Abhängigkeiten; deshalb ist das genaue Timing so schwierig.

Als hilfreich fürs Timing erweisen sich Charts, wie die Kurs- und sonstigen Grafiken unter Börsianern bezeichnet werden. Um von vornherein ein Missverständnis auszuräumen: Charts geben in bestimmten Fällen Signale, wohin sich Kurse entwickeln könnten, aber aus ihnen allein lässt sich weder ableiten, welcher genaue Zeitpunkt für einen Kauf oder Verkauf am besten geeignet ist, noch welches Kursziel erreicht werden kann. Kurzum, Charts spiegeln die Vergangenheit und die Gegenwart wider. Wer sich ihrer bedient, muss grundsätzliche Überlegungen wie zum Beispiel die zu VW und Gold voranstellen, um nicht von einer Chartfalle zur nächsten zu tappen. Das heißt, idealerweise bilden Charts und Fundamentaldaten eine Symbiose.

Einer, der beide professionell miteinander verbindet, ist Robert Rethfeld mit seiner Internetseite wellenreiter-invest.de. Im Beitrag vom Freitag macht er seine Leser unter anderem auf die überaus bullischen amerikanischen Börsenbriefschreiber aufmerksam, was nichts Gutes für US-Aktien ahnen lässt. Darüber hinaus wartet er mit interessanten Chartvergleichen auf, die frappierende Ähnlichkeiten der jüngsten Entwicklung des US-Aktienindex Dow Jones zum einen mit der in den Jahren 1937/38 zeigen, zum anderen mit der von 2003 bis 2009. Wer mit der Börsengeschichte vertraut ist, weiß: Da war noch etwas, und zwar ein starker Kurseinbruch 1937/38 und ein noch stärkerer 2008/09.

Rethfeld ist – das weiß ich aus einer Reihe von Gesprächen mit ihm - Profi genug, um seine Analysen ins rechte Licht zu rücken. Deshalb folgt hier sein O-Ton: "Wenn man möchte, kann man fast zu jedem Zeitpunkt Analogien finden. Betrachtet man allerdings die Marktstrukturdaten in Verbindung mit dem Sentiment und den zyklischen Aspekten, so müsste man zumindest zu dem Schluss kommen, dass das Potenzial für eine mehrmonatige Korrektur vorhanden ist."

Wahrscheinlich werden jetzt die Goldanleger unter Ihnen fragen: Ist 2008/09 wie der Dow Jones nicht auch der Goldpreis gefallen, sodass er jetzt ebenfalls vor einer Korrektur zu stehen droht? In der Tat ist er damals auch gefallen, und zwar um rund 25 Prozent - aber von seinem damaligen vorübergehenden Gipfel bei 1000 Dollar, während er jetzt schon 35 Prozent unter seinem Gipfel von gut 1900 Dollar vom Sommer 2011 liegt. Dagegen hat der Dow Jones vor Kurzem ein Rekordhoch erreicht. US-Aktien sind also durch Gewinnmitnehmen gefährdet, Gold jedoch nur insoweit, als die jetzt darin engagierten Anleger zu den Tradern gehören, die auf Gewinnen sitzen. Das dürften nicht allzu viele sein. Fazit: Entwarnung.


© Manfred Gburek
www.gburek.eu

Herr Gburek ist Fachjournalist und Buchautor. Seine letzten Werke waren: "Das Goldbuch" (2005), das Wörterbuch "Geld und Gold klipp und klar von A bis Z" (2007) und "Die 382 dümmsten Sprüche der Banker" (2008).



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