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Die Rede von Dr. Kurt Richebächer anlässlich der Edelmetallmesse in München

20.12.2005  |  Dr. Kurt Richebächer
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Fakt ist, dass sich das Anlagegeschäft nie ganz erholt hat. Heute ist das Anlagegeschäft auf dem Niveau vom Jahr 2000. Andererseits ist der Immobiliensektor um 35% gestiegen und die Eurobonds sind um 35% gestiegen. Der Konsum macht einen immer größeren Anteil des BIP aus. Wenn man vergleicht, hat das BIP-Wachstum um 81% zugenommen (im Vergleich zu 67% in der Vergangenheit). So war die Entwicklung.

Aber das lässt immer noch die Frage offen: warum existiert dieses schwache Beschäftigungswachstum? Gemessen an der Entwicklung der Beschäftigungsquote war es eine Katastrophe. Amerika braucht jedes Jahr mehr als eine halbe Million neue Arbeitsplätze, weil es ein ansteigendes Arbeitskräftepotential hat. Die allgemeingültige Erklärung dafür ist, dass das Produktivitätswachstum der Grund für die schlechte Entwicklung am Arbeitsmarkt ist. Das hört sich plausibel an. Aber wenn Sie sich die strukturellen Veränderungen in der amerikanischen Wirtschaft ansehen, ist es schwer zu verstehen, warum es ein so eindrucksvolles Produktivitätswachstum gab, während die Kapitalentwicklung zusammenbrach. Wenn Sie sich alle Details anschauen, kommen Sie zum Ergebnis, dass der Hauptverlierer in der Wirtschaft der produzierende Sektor ist.

Der produzierende Sektor hat seit dem Jahr 2000 drei Millionen von insgesamt 70 Millionen Arbeitsplätzen verloren. Und der produzierende Sektor ist auch der Sektor mit den höchsten Investitionen. Die Investitionen in diesem Wirtschaftssektor wurden komplett gestoppt.
Einerseits haben Sie das Zurückgehen des produzierenden Sektors und andererseits ein Ansteigen des Wachstums bei anderen Sektoren. Der größte Arbeitsplatzschöpfer in den Vereinigten Staaten war der Immobiliensektor und die dazugehörigen Branchen - einschließlich der Asiaten - die sogenannten "Grundbesitz-Asiaten". Ungefähr 40% der schlechtbezahlten Arbeitsplätze entstanden im Zusammenhang mit der Immobilien-Blase. Sie haben eine Wirtschaft, in der der produzierende Sektor stark schrumpft. Und er hat noch nicht aufgehört zu schrumpfen. Jeden Monat verliert der produzierende Sektor weiter Arbeitsplätze. Andererseits haben Sie eine Zunahme an Arbeitsplätzen im Immobiliensektor und bei Dienstleistungen wie z.B. im Gesundheitssektor etc.. Das sind alles schlecht bezahlte Arbeitsplätze. Nicht alle, aber die meisten von ihnen sind schlecht bezahlte Arbeitsplätze im Vergleich zu den gut bezahlten Arbeitsplätzen im produzierenden Sektor.

Das lässt noch eine Frage offen: warum ist das Nettoergebnis bei der Beschäftigungsquote so schlecht? Ich würde sagen, der Grund ist, dass die BIP-Zahlen gefälscht sind. Sie sind überhöht durch eine untertriebene Inflationsrate. Ich schlage vor, dass man die BIP-Zahlen an die Arbeitslosenquote anpasst. Dann merkt man, dass es keine wirtschaftliche Erholung in den Vereinigten Staaten gab. Die BIP-Zahlen geben ein komplett falsches Bild von dem wahren Wachstum, welches in der US-Wirtschaft stattfand.

Die Frage ist nun: wie weiter? Ich sagte Ihnen, dass die Konsumausgaben sehr wichtig sind. Was passiert dort? Die Federal Reserve sagt: "Unsere Geldpolitik ist immer noch versorgend, sie ist immer noch locker." Wenn Sie auf die Inflationsrate schauen im Vergleich zur Federal Fund Rate und im Vergleich zum Zinssatz, dann ist die Geldpolitik wirklich noch immer locker. Die realen Zinssätze sind nahe bei Null. Aber der entscheidende Punkt ist, dass ab diesem Zeitpunkt die Wirtschaft zu wachsen beginnen könnte oder sollte und offensichtlich ist das auch die Annahme der Federal Reserve.

Aber es gibt noch ein anderes Problem. Und das ist die Asset-Blase und die Carry Trade Blase. Während seiner Amtszeit hat Greenspan (seit 18 Jahren im Amt) zweimal die Carry Trade Blase bzw. eine positive Zinsstrukturkurve für seine Politik benutzt. Er hatte eine schrecklich positive Zinsstrukturkurve in der ersten Hälfte der 1990er Jahre und er senkte die Zinsen von 10% auf 3% in Verbindung mit der Rezession von 1991. Aber die Wirtschaft boomte 1994 und er entschloss sich, die Zinsen zu erhöhen. Er erhöhte sie, aber zum allgemeinen Erstaunen gingen die langfristigen Zinsen gleichmäßig mit den kurzfristigen Zinsen in die Höhe. Am Ende hatte er den kurzfristigen Zinssatz um 3 Prozentpunkte erhöht und die langfristigen Zinsen taten das Gleiche. Heute ist es genau das Gegenteil.

Ich denke, die Leute nahmen Greenspan damals noch immer ernst. Sie sahen seine restriktive Politik und sie liquidierten ihren Handel mit Bonds, welche die Zinssätze gesenkt hatten. Aber dieses mal verweigerten sie das. Sie nehmen Greenspan nicht mehr ernst. Die langfristigen Zinsen liegen bei 4,5% und das ist sogar noch etwas tiefer, als die kurzfristigen Zinsen damals bei 1% lagen. Das Problem ist, dass die Zinsstrukturkurve das wichtigste Geldaggregat ist. Dem ist so, weil die Vereinigten Staaten ein Land ohne Ersparnisse sind. Ein Land ohne Ersparnisse muss Finanzmärkte haben, die auf nichts anderem basieren als auf Carry Trades. Und das komplette US-Finanzsystem ist auf nichts anderem aufgebaut, als auf Carry Trades. Und das ist Teil der großen Kreditexplosion, die stattgefunden hat.

Jetzt haben wir das Problem, dass Greenspan offensichtlich ein gewisses Ansteigen der langfristigen Zinsen wollte. Er wollte ein Ansteigen auf vielleicht 5% in der Hoffnung, dass dies schrittweise die Konsumausgaben und die Immobilienblase verlangsamt. Aber der Markt folgte nicht. Der Markt beließ die langfristigen Zinsen bei 4,5%. Und jetzt wird jede weitere Steigerung nicht geradezu flach ausfallen. Bei jedem weiteren Anstieg bedeutet dies, dass die Zinsstrukturkurve invertiert wird. Und das ist das schlimmste, was der US-Wirtschaft passieren kann. Weil dies die Spekulanten bei den Zinsstrukturkurven und auch die Carry Trade Spekulanten zwingt, ihre Bonds zu verkaufen. Nach meiner Ansicht hatte die Schwäche des Euro und des Yen mit dem Umstand zu tun, dass diese Spekulanten zu einem gewissen Teil in Euro und Yen gingen, um ihre Carry Trades zu finanzieren. Aber auf lange Sicht wird dies schwierig. Für mich ist es ein Rätsel, warum diese Leute weiter auf ihren großen Carry Trade Positionen sitzen und immerzu abwarten.

Meiner Meinung nach liegt das Problem darin, dass die FED annimmt, dass die Wirtschaft sehr stark ist. Ich sage: sie sind Opfer ihrer eigenen Propaganda. Zum anderen zwingt sie die abgeschwächte Inflationsrate von mehr als 4% dazu, die Zinsen zu erhöhen. Sie können nicht erlauben, die kurzfristigen Zinsen unter die Inflationsrate sinken zu lassen. Sie sind dazu gezwungen, die Zinsen erhöhen. Aber jetzt lautet meine Frage: was werden sie weiter tun? Sie haben gesagt, wenn die Wirtschaft schwach ist, werden sie die Zinsen senken. Aber ich habe meine Zweifel, dass eine Senkung der Zinsen den gleichen Effekt haben wird, wie in der Vergangenheit. Sie haben ein sehr kompliziertes Bubble-System entwickelt mit ihren kurzfristigen Zinsen und der Propaganda, um Wachstum zu bekommen. Es ist unmöglich, das System wieder zu etablieren. Aber die Federal Reserve ist sich sicher, dass, wenn es Schwierigkeiten gibt, sie die Zinsen senken können und alles wieder in Ordnung ist. Nur aufgrund des blinden Glaubens in die Fähigkeit der Geldpolitik, die Wirtschaft zu steuern.

Und dieser blinde Glaube existiert auch unter den Carry Trade Spekulanten. Sie glauben: "Greenspan wird helfen und wir machen weiter." Es ist wirklich ein Rätsel. Ich würde sagen, dass eine weitere Abschwächung Kräfte entfesseln würde, die zu Rissen im ganzen System führen würden. Ich würde einen Dollar Crash erwarten. Der Dollar ist auch ein Teil der Carry Trade Blase. Wenn diese Carry Trade Blase platzt, würde ich nicht annehmen, dass sie die Zinsen senken und alles wieder in Ordnung ist. Ich kann das nicht glauben. Nein, ich würde sagen, dass es zu einem Wahrnehmungswandel kommt. Wir haben zur Zeit eine Wahrnehmung, dass die US-Wirtschaft in großartiger Form ist. Und die Amerikaner haben die Wahrnehmung, dass Zinsen nichts machen und bedenken Sie den Optimismus für den Aktienmarkt. Ich denke, dass die amerikanische Wirtschaft in ihrer kritischsten Situation innerhalb der Nachkriegszeit ist. Dies vor allem, weil sich die Exzesse kumuliert haben. Es gab nie eine Pause und die Sparraten sind jetzt negativ.

Zudem noch ein paar Worte zu den Einkommen, die auch nicht bekannt sind. Die Amerikaner haben ein Wort, es nennt sich ‚kalkulatorisches Einkommen’. Die Statistiker sagen, dass die Konsumenten und die Firmen eine Anzahl von Leistungen bekommen, für die sie nicht zahlen. Dies wird als Einkommen gezählt. Sehen wir uns zum Beispiel einen Hausbesitzer in den USA an. Die Statistiker sagen: "Er hat ein Haus, er zahlt nicht dafür, darum schreiben wir ihm eine Miete zu." Wie haben ca. 600 bis 700 Milliarden Dollar, die ‚kalkulatorische Mieten’ genannt werden. Die FED publiziert dies im Detail. Sie sagen: "Das ist ‚kalkulatorisches Einkommen’, welches wir berechnen müssen, weil der Konsument etwas bekommt, für das er nicht bezahlt." Er bekommt zum Beispiel ein ‚kalkulatorisches Einkommen’, weil er nicht für Überweisungen zahlen muss. Die Banken in Amerika berechnen keine Überweisungsgebühren. Darum sagen die Statistiker, dass dies ein Geschenk der Bank an den Konsumenten ist und werten es als Einkommen. Übrigens berechnen die Statistiker die Sparrate ohne die ‚kalkulatorischen Einkommen’. Und das ergibt minus 500 Milliarden.

Es ist Fakt, dass sie alles genau beschreiben, aber niemand dies liest. Das ist der Punkt. In Amerika gibt es keine Diskussion über all diese Ungleichgewichte. Warum nicht? Nun gut, weil der Amerikaner nicht trainiert ist, über diese Dinge nachzudenken. Grundsätzlich ist die Theorie in Amerika nicht existent. Die Amerikaner sagen: „Wir brauchen keine Theorie, wir haben Statistiken.“ Und das hat Geschichte. Der führende Wirtschaftswissenschaftler Amerikas ist ein Mann mit Namen Wesley Mitchell. Er wurde 1874 geboren und lebte bis 1948. Er sagte: "Wir wissen zu wenig, um eine Theorie zu entwickeln. Alles, was wir tun können, ist Statistiken zu entwickeln. Wir müssen so viele Statistiken wie möglich haben, um beurteilen zu können, was passiert."

Die Amerikaner haben mehr Statistiken als jeder andere und im speziellen lieben sie es, Leute zu befragen. Das ist das Substitut für Theorie. Hayek nahm davon Notiz, als er 1927 seine erste Reise nach Amerika unternahm und er schrieb darüber. Er sprach mit Mitchell, und er sagte ihm: "Sie lehnen jedwedes, auf Wahrnehmung beruhendes Denken ab. Sie glauben nur an ihre Statistiken." Und er sagte weiter: "Wie können Sie Statistiken auswerten, wenn Sie keine Theorie haben, die Ihnen die Fähigkeit gibt, zwischen wichtigen und unwichtigen Zahlen zu unterscheiden?" Das ist der Grund, warum Amerikaner unfähig sind, zwischen wichtigen und unwichtigen Zahlen zu unterscheiden. Ich persönlich glaube, dass alle diese Umfragen absoluter Nonsens sind. Was geben Ihnen diese Leute für Informationen? Indem man 5.000 Konsumenten befragt, ist das kein Ersatz für Ihre Hausaufgaben durch Analyse! Ich meine, was sagen Ihnen diese Leute? Sie sagen Ihnen, was sie in der Zeitung gelesen haben - und das ist wertlos! Hinter all dem steckt der Glaube, dass Erwartungen der Schlüsselfaktor für die Ausgaben sind. Wenn Ihnen jeder das Gleiche erzählt, sind Sie optimistisch und das bedeutet: wir bekommen eine stärker werdende Wirtschaft.

Aber ich glaube, dass die Amerikaner nicht wissen, was wichtig ist zwischen Konsumausgaben und Investitionen. Für die Amerikaner sind die Konsumausgaben der Schlüssel zu allem, weil diese den größten Anteil des BIP ausmachen. Und dann sagen sie: "Firmen investieren nur, wenn sie Konsumausgaben sehen." Das denken sogar führende Wirtschaftswissenschafter, die ich sehr schätze. Stephen Roach schreibt über Investitionen und abgeleitete Nachfrage. Ich denke, dass die Konsumenten eben nur die Einkommen ausgeben können, die ihnen die Firmen gegeben haben. Der Beginn der Erholung und des Wirtschaftswachstums ist es, dass es Unternehmer gibt, die Geld aufwenden und Konsumenten, die Geld erhalten.

Aber selbst so einfache Dinge sind für die amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler nicht verständlich. Grundsätzlich würde ich sagen: ökonomische Theorie und makro-ökonomisches Wissen fehlt vollkommen! Und das schlimmste ist, dass die wirtschaftliche Diskussion in den Vereinigten Staaten heute durch die Wall Street Ökonomen dominiert wird. Sie wissen nichts über Makro-Ökonomie, sie sind alle trainiert auf eine Einzelwirtschaft zu sehen, auf eine Mikro-Ökonomie. Mit dieser Sichtweise sind Fusionen und Akquisitionen der beste Ersatz für Investitionen. Aber das ist natürlich Mikro-Ökonomie, es zerstört die Makro-Ökonomie. Ich würde also sagen, dass die Wall Street Ökonomen korrupt sind. Korrupt in dem Sinne, dass sie nicht kritische Dinge sagen dürfen. Ich weiß, dass manche der Makro-Ökonomen darüber schreiben, aber das wird stark unterdrückt. Einer schrieb, dass die Produktion viel schwächer als das BIP ist. Sie nehmen es wahr, aber sie würden nie sagen, wofür diese Statistik gut ist.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


© Dr. Kurt Richebächer

Mitschnitt und Übersetzung von Richard H. Mayr, www.argentuminvest.com



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