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Wirtschaftssanktionen

31.03.2014  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
Die westliche Welt, vor allem auch die Europäische Union, stellt Wirtschaftssanktionen gegen Russland in Aussicht. Daraus ergibt sich nicht nur eine Reihe von politischen, sondern auch ökonomischen Fragestellungen. Letzteren soll nachfolgend Aufmerksamkeit geschenkt werden.


Grundsätzliches

Unter Wirtschaftssanktionen sind politisch motivierte Eingriffe und Einflussnahmen auf den Freihandel zu verstehen. Wirtschaftssanktionen können unterschiedliche Formen annehmen.

Bei umfassenden Wirtschaftssanktionen werden die Handelsbeziehungen vollständig abgebrochen. Partielle Wirtschaftssanktionen greifen in beschränktem Ausmaß in den Handel ein, etwa in Form von Aus- und Einfuhrverboten für bestimmte Güter oder Wirtschaftssektoren. Im Falle von gezielten Wirtschaftssanktionen werden bestimmte Personen oder Personengruppen getroffen (Einfrieren privater Konten oder Ein- und Ausreiseverbote und Exportbann für Spitzentechnik).

Eingriffe in den Freihandel sind grundsätzlich problematisch. Denn der Freihandel ist per se Frieden stiftend. Freier Handel ist für alle Beteiligten vorteilhaft. Er fördert dadurch die Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit: Die Handelspartner erkennen ihr Gegenüber als hilfreich an für das Erreichen der eigenen Ziele. Das Unterbinden des Freihandels zertrennt hingegen die gemeinsame Interessenlage der Handelspartner und leistet Konflikten Vorschub.

Wenn der Handel als Brücke der Verständigung gesperrt oder gar eingerissen wird, steigt die Gefahr, dass es zu gegenseitigen Vergeltungsmaßnahmen kommt. Hierzu zählt zum Beispiel das gegenseitige Konfiszieren von Vermögen, dass Ausländer im Inland investiert haben. So hat Russland auch bereits angedroht, die Bedienung von Auslandsschulden möglicherweise auszusetzen.

Handel findet zwischen Unternehmen statt. Wirtschaftssanktionen bedeuten daher stets Einschränkungen der unternehmerischen Freiheiten, sie sind schwerwiegende Eingriffe in das Privateigentum: Unternehmerkapital wird nicht mehr nach betriebswirtschaftlicher, sondern nach politischer Maßgabe eingesetzt. Wirtschaftssanktionen schwächen den Güteraustausch oder lassen ihn ganz zum Erliegen kommen. Die negativen Folgen haben nicht nur die Unternehmen, sondern auch deren Beschäftigte und Kunden zu tragen - in Form von geringeren Löhnen, Arbeitsplatzverlusten und einer verschlechterten Versorgungslage.

Wirtschaftssanktionen treffen in der Regel die breite Bevölkerung in den Ländern, die bisher ungestört Handel betreiben konnten. Gerade ihre wirtschaftliche Lage verschlechtert sich - im Vergleich zu einer Situation, in der es keine Sanktionen gibt. Marktakteure werden versuchen, die störenden Wirtschaftssanktionen zu umgehen. Bei wichtigen Produktions- und Konsumgütern wird dann versucht, die Versorgung durch Schmuggel oder ähnliche Umgehungsstrategien aufrechtzuerhalten. Korruption und anderen nicht marktkonformen Handlungen wird Vorschub geleistet. Wirtschaftssanktionen eröffnen denjenigen, die sie umgehen können, zusätzliche Gewinne, und sie verteuern die Güterversorgung für die Mehrheit der Nachfrager.


Folgen

Wirtschaftssanktionen stellen nicht nur für Russland, sondern auch für den Euroraum und andere Wirtschafts- und Währungsräume ein Risiko für die Konjunktur dar. Zum einen ist Russland bekanntlich für viele Länder des Euroraums der wichtigste Lieferant für Primärenergie, etwa für Erdgas, Erdöl und auch Steinkohle. Käme es hier zur Angebotsverknappung, könnte das nur allzu leicht die Versorgungslage verschlechtern, von der vor allem die produzierenden Unternehmen und deren Beschäftigte getroffen würden.

Die Aussicht auf Wirtschaftssanktionen erhöht die allgemeine Unsicherheit. Sie mahnt Investoren zur Vorsicht und Zurückhaltung. Eine damit möglicherweise verbundene Dämpfung der Konjunkturen birgt Gefahren für den Bankensektor: Kreditausfälle drohen, auch könnten weitere Verluste bei Wertpapieren das Eigenkapital der Geldhäuser, gerade auch im Euroraum, belasten. Allein die Euro-Banken haben Forderungen von mehr als 190 Mrd. Euro gegenüber Russland in ihren Büchern, die deutschen Banken knapp 17 Mrd. Euro (9,6 Mrd. Euro gegenüber russischen Banken und 6,7 Mrd. Euro gegenüber Unternehmen und Privaten).


Selbstbestimmungsrecht

Neben den rein ökonomischen Erwägungen ist nicht zuletzt die Frage zu stellen, ob Wirtschaftssanktionen überhaupt Aussicht haben, die angestrebten politischen Ziele zu erreichen. Die zentrale Frage lautet: Was verbirgt sich hinter der Krim-Krise? Wird sie als Auseinandersetzung um das Selbst-bestimmungsrecht von Volksgruppen und Nationen gedeutet, erscheinen die politische Reaktion der westlichen Welt und die angedrohten Wirtschaftssanktionen unangemessen. Sie würden das Selbstbestimmungsrecht, das Recht auf Sezession sanktionieren und würden damit nicht den Zielen der unmittelbar Betroffenen dienen.

In Zeiten, in der die politischen Kräfte, gerade und vor allem in Europa, nach großen Einheiten streben ("Zentralismus"), sind Eigenständigkeitsbestrebungen - und die Präzedenzfälle, die sie setzen - störend und unerwünscht. Die Entwicklung auf der Krim steht jedoch nicht allein da. Nicht nur scheinen die Krim-Tataren nun auch ein Referendum zur Selbstbestimmung anzustreben. Auch in Kerneuropa gibt es derartige Sezessionsbestrebungen. Man denke nur an Schottland, Katalonien, Südtirol oder Belgien; oder auch an Grönland, das die Unabhängigkeit von Dänemark anstrebt.

Wirtschaftssanktionen, wenn sie sich gegen die Freiheitsrechte und Freiheitsbestrebungen von Volksgruppen richten, wären nicht nur aus ökonomischen, sondern auch aus moralischen Erwägungen abzulehnen.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Quelle: Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH



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