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Varianten der kommenden Inflation

18.05.2014  |  Manfred Gburek
Ein Satz von EZB-Chef Mario Draghi, den er im April aussprach, hallt gewaltig nach: "Der EZB-Rat hat sich einstimmig verpflichtet, sowohl konventionelle als auch unkonventionelle Instrumente einzusetzen, um den Risiken einer zu lange anhaltenden Phase niedriger Inflation wirksam entgegenzutreten." Der Nachhall besteht in verschiedenen Deutungsversuchen der Börsianer, der Unternehmer, Investment- und sonstigen Banker, Chefanalysten und -volkswirte, der auf die Ukraine-Krise konzentrierten und deshalb viel zu wenig mit der Finanzpolitik beschäftigten Politiker sowie der immer mehr um ihre Ersparnisse bangenden Anleger.

Die Inflation, wie Draghi sie versteht, ist ein künstliches Gebilde, das mit dem Anstieg der Preise für Güter und Dienstleistungen zwar irgendwie verwandt ist, aber eben nur irgendwie. Künstlich bedeutet: unabhängig von der alle Menschen mehr oder weniger betreffenden - je nach Land und Leuten schleichenden, trabenden, galoppierenden - tatsächlichen oder gefühlten Inflation. Ganz zu schweigen von der Asset Inflation (jetzt Anstieg der Aktienkurse und Immobilienpreise, früher auch Anstieg der Anleihenkurse, der Edelmetall- und Rohstoffpreise).

Im Grunde leben wir alle mit einer individuellen Inflationsrate fernab der offiziellen, die Monat für Monat von den statistischen Ämtern für Deutschland und für die Eurozone verkündet wird: Wer den Löwenanteil des laufenden Einkommens für Lebensmittel, für die Miete mitsamt Nebenkosten, Versicherungen, Benzin und öffentliche Dienste ausgibt, wird von der Inflation viel härter getroffen als all die Spitzenmanager und sonstigen Vielverdiener, für die solche Ausgaben nur einen geringen Bruchteil ihres Salärs ausmachen.

Draghis künstliche Steuerungsgröße verdient folglich gar nicht die Bezeichnung Inflation im Sinn von Teuerungsrate für jedermann, sondern nur für diejenigen, deren Warenkorb gerade beispielsweise adäquat zu den am Tag x bekanntgegebenen 0,7 Prozent Inflation ebenfalls um genau 0,7 Prozent teurer geworden ist. Obendrein kann sie mithilfe hedonistischer Methoden - was in diesem Fall sinngemäß bedeutet: Preise passend machen - manipuliert werden. So halten es nahezu alle statistischen Ämter weltweit.

Aber wozu dann der ganze Aufwand? Eine berechtigte Frage. Die passende Antwort: Wie in der ganzen Ökonomie einschließlich Geld- und Finanzpolitik, so handelt es sich auch hier um einen verzweifelten Versuch von Volkswirten. Denen geht es darum, ein rational nur bedingt erfassbares Phänomen rational zu steuern, nämlich die nicht messbaren Verhaltensweisen von vielen ganz und gar verschiedenen Wirtschaftssubjekten in Zahlen zu zwingen und diese Zahlen als Zielgrößen vorzugeben, um mit ihnen einen Mentalitätswandel zu erzeugen.

Draghi ist viel zu sehr Praktiker, um sich nur auf seine Volkswirte mit ihren Zahlenwerken zu verlassen. Wenn er öffentlich über unkonventionelle Instrumente laut nachdenkt, schlüpft er in die Haut des Psychologen. Das hat dann gar nichts mehr mit Zahlen zu tun, sondern ist Ausdruck des absoluten Willens, Inflationsmentalität zu erzeugen. Gelingt ihm das ähnlich wie die Euro-Rettung - allein mit Worten - wie im Juli 2012, hat er sein Ziel erreicht.

Bereiten Sie sich darauf vor - am besten, während Sie diese Zeilen lesen -, weil Draghi schon im Juni entsprechende Duftmarken setzen wird. Das bedeutet: So, wie Börsianer in den vergangenen Tagen die zu erwartende zusätzliche Expansion der Geldpolitik mit steigenden Aktienkursen vorweggenommen haben, werden sie in den nächsten Monaten und Jahren die Auswirkung dieser Geldpolitik auf die Preise von Waren und Dienstleistungen vorwegnehmen. Also Grund genug, sich näher mit der Inflation und ihren Folgen zu beschäftigen.

Ein einfaches Beispiel: Die EZB steuert eine Inflationsrate leicht unter 2 Prozent an (die US-Notenbank Fed 2 Prozent). Würde dieses Ziel erreicht, wäre ein Euro Erspartes nach fünf Jahren etwas über 90 Cent wert, nach zehn Jahren nur noch 82 Cent. So weit die Theorie. Doch wie verhält sich ein Sparer in der Praxis, wenn er beobachtet, wie aus der aktuellen Inflationsrate von 0,7 Prozent Monat für Monat immer mehr wird, bis zirka 2 Prozent erreicht sind? Er wird ebenso wie Millionen anderer Sparer von der Inflationsmentalität erfasst. Das nutzen die Anbieter von Waren und Dienstleistungen aus, indem sie ihre Preise nach oben anpassen. So wird aus der schleichenden eine trabende Inflation.

Angenommen, diese bewegt sich im Lauf der Zeit auf 5 Prozent zu. (Die Älteren unter Ihnen erinnern sich jetzt bestimmt noch an den Spruch von Altkanzler Helmut Schmidt, wonach 5 Prozent Inflation besser sind als 5 Prozent Arbeitslosigkeit.) Dann ist ein Euro nach fünf Jahren gerade mal etwas über 78 Cent wert, nach zehn Jahren nur noch gut 61 Cent. Keine EZB, keine Fed und auch sonst niemand kann eine solche Geldentwertung verhindern, sobald sie erst einmal in Gang gekommen ist. Oder um nochmals auf die Zeit in den 70er Jahren zurückzukommen, als Helmut Schmidt den etwas seltsamen Vergleich von Inflation und Arbeitslosigkeit anstellte: Erst in den 80er Jahren gelang es zunächst den Amerikanern, danach auch den Europäern, mit radikalen Zinserhöhungen der Inflation Herr zu werden.

Stellen Sie sich nun vor, nach Erreichen von 2 Prozent Inflation würde die EZB oder die Fed - und mit ihnen auch andere Notenbanken - die Zinsen erhöhen. Undenkbar, denn prompt dürfte eine Finanzkatastrophe über uns alle hereinbrechen. Worin besteht die Alternative? Niemand weiß es. Im Zweifel wird man sich wohl erst zusammensetzen, nachdem es zu spät ist, und an einer Währungsreform basteln, die ähnlich wie jene von Bretton Woods aus dem Jahr 1944 wenige Gewinner und viele Verlierer nach sich zieht.

Ob der Weg dorthin direkt über die schleichende und danach galoppierende Inflation oder indirekt über eine zunächst stattfindende Deflation führen wird, sorgt derzeit in bestimmten Führungskreisen der Geldaristokratie für heißen Diskussionsstoff. Lassen Sie sich dadurch nicht irritieren. Denn zum einen bedeuten 0,7 - oder wie zuvor 0,5 - Prozent Inflation noch nicht Deflation, und zum anderen warnen besonders Notenbanker nur allzu gern vor dem Deflationsgespenst, um sobald wie möglich neue Geldschleusen zu öffnen.

Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Den besten Schutz vor der drohenden Inflation - egal, ob sie schon in einem Jahr kommt oder erst später - bieten Gold und Silber (unter Bevorzugung von Gold in Form von Anlagemünzen), nach einem stärkeren Kurseinbruch auch Aktien (aber erst dann). Zusätzlich kommen selbst genutzte Immobilien infrage, falls man mit ihnen kein Klumpenrisiko eingeht, und das Ganze sollte von einem ordentlichen Batzen Bargeld (auf dem Tagesgeldkonto wie auch zu Hause) flankiert werden.


© Manfred Gburek
www.gburek.eu

Herr Gburek ist Fachjournalist und Buchautor. Seine letzten Werke waren: "Das Goldbuch" (2005), das Wörterbuch "Geld und Gold klipp und klar von A bis Z" (2007) und "Die 382 dümmsten Sprüche der Banker" (2008).



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