Zahlmeister Deutschland vor einem heißen Herbst
22.06.2014 | Manfred Gburek
Kapital kostet nichts, so könnte man das Ergebnis der verhängnisvollen Entscheidung des EZB-Rats vom 5. Juni beschreiben, als er eine Art Strafzins für Banken einführte. Aber ist das wirklich so? Schließlich zahlen sogar Konzerne, deren Bonität außer Frage steht, nicht gerade niedrige Zinsen, um ihre Investitionen außer mit Eigen- auch mit Fremdkapital zu finanzieren. Wie etwa der Elektrokonzern Siemens mit einer bis 2018 laufenden Anleihe, die einen Zinskupon von 5 5/8 Prozent bietet. Dagegen braucht der Chemiekonzern BASF mit einer noch viel länger, nämlich bis 2024 laufenden Anleihe nur 2,5 Prozent Zinsen zu zahlen.
Finden Sie solche Zahlenspiele langweilig? Sollten Sie aber nicht, denn dahinter verbergen sich Signale an die Finanzmärkte und Antworten auf so manche Fragen, die in diesen Tagen hochkommen. Die Siemens-Anleihe wurde 2008 aufgelegt; man könnte auch sagen: mitten in der schlimmsten Finanzkrise der vergangenen Jahrzehnte. Dafür hat der Konzern ordentlich Federn gelassen, denn die 5 5/8 Prozent sind ihn teuer zu stehen gekommen.
Was daran zu erkennen ist, dass diese Anleihe aktuell nur noch zu 0,84 Prozent rentiert. So kann ein Konzern schief liegen. Hätte er mit der Kapitalaufnahme über die Anleihe gewartet, wäre er heute in einer angenehmen Position wie der Chemiekonzern, der seine Anleihe zu Beginn dieses Jahres emittiert hat. Sie wirft derzeit eine Rendite von 1,92 Prozent ab, also mehr als die Siemens-Anleihe, was der viel längeren Laufzeit geschuldet ist.
Das sagt uns: Kapital kostet zwar doch etwas, aber immer weniger. Die Finanzchefs nicht nur der Konzerne, sondern auch des Mittelstands, werden daraus ihre Konsequenzen ziehen. Und die Anleger? Ebenfalls. Dazu braucht man sich nur auf der Zunge zergehen zu lassen, dass sie im Fall Siemens vier Jahre lang mit einer Rendite vorlieb nehmen müssen, die möglicherweise noch lange unter 1 Prozent zu verharren droht. Und dass sie im Fall BASF fast zehn Jahre lang mit Kursrückschlägen der Anleihe rechnen müssen, falls das Zinsniveau irgendwann in dieser Zeit nach oben abheben sollte. Dafür liegt die Rendite hier über der von Siemens.
Nun könnte man auf die Idee kommen, Konzerne und Mittelständler würden das günstige Kreditzinsniveau zunehmend nutzen, um neues Kapital für produktive Investitionen einzusetzen. Doch das tun sie nur in Maßen. Mehr noch, nicht allein ihre Fremdkapital-, auch ihre Eigenkapitalnachfrage ist mäßig. Und das, obwohl das hohe Niveau der Aktienkurse Anreiz genug ist, das Eigenkapital zu erhöhen. Denn mit steigendem Kursniveau fallen die Kosten der Beschaffung von Eigenkapital.
Der zögerliche Kapitaleinsatz ist zum einen darauf zurückzuführen, dass viele Unternehmen aus der Vergangenheit gelernt haben und einfach abwarten, ob Kapital billiger wird. So dürfte Siemens nicht noch einmal einen so hohen Zinskupon wie anno 2008 anbieten. Und BASF hat zu Beginn dieses Jahres zwar einen Zins offeriert, der über dem heute erzielbaren liegt (was an der Differenz zwischen der Höhe des Kupons und der aktuellen Rendite abzulesen ist), sich dafür aber zehn Jahre Luft verschafft.
Zum anderen warten deutsche Unternehmen derzeit ab, wie die Konjunktur im Euroraum sich weiterentwickelt, vor allem in den angeschlagenen Ländern. Gibt es außer Deutschland eigentlich noch große Euroländer mit vergleichsweise geringen Problemen? Nein (die kleinen spielen, wirtschaftlich betrachtet, nur eine Nebenrolle). Folglich warten deutsche Unternehmen mit der Kapitalbeschaffung ab, bis die Konjunktur in Frankreich, Italien, Spanien und weiteren Euroländern wirklich und nicht nur in der offiziellen Statistik anspringt.
Bis hierher lassen sich die Probleme mit einer gewissen ökonomischen Logik analysieren. Doch danach wird es schwierig. Der Grund: Die Banken des Euroraums als klassische Vermittler von Krediten und als Begleiter von Anleihenemissionen fallen zu einem erheblichen Teil weg. Man bezeichnet sie zu Recht als Zombiebanken, die ohne Hilfe von Seiten der EZB nicht überlebensfähig sind. Im Gegenzug wird die EZB mit einem erheblichen Teil ihrer Aktivitäten zu einer Bad Bank, also zu einer Bank, die den Schrott der Geschäftsbanken bunkert. Der nächste Stresstest in diesem unschönen Gewerbe dürfte noch mehr Schrott zutage fördern. Unter solchen Vorzeichen nimmt es nicht wunder, dass alle erst einmal abwarten, was da noch kommen könnte.
An dieser Stelle sei einmal mehr darauf hingewiesen, dass es außer den hier genannten Problemen ein weiteres gibt, das in der aktuellen Diskussion unter Bankern wie insbesondere auch unter Politikern gern zur Seite gewischt wird, das Problem mit dem symbolischen Namen: Zahlmeister Deutschland. Es ist ruhig darum geworden. Zu ruhig, denn Franzosen, Italiener, Spanier usw. haben Angela Merkel schon längst um Hilfe gebeten, das heißt, de facto Erpressungsversuche unternommen. Und sie ist sich dessen bewusst, dass ihr der Euro um die Ohren fliegen würde, falls sie nicht nachgibt.
Addieren wir zur Verweigerung der Annahme von Kapital durch Unternehmen, zu Zombiebanken einschließlich Stresstest und zur anschwellenden Bad Bank-Abteilung der EZB die Erpressungsversuche anderer Euroländer gegenüber der deutschen Kanzlerin, ist immer noch nicht alles aufgezählt, was uns im kommenden heißen Herbst droht. Denn Flamen, Katalanen und Schotten könnten sich von der EU verabschieden. Das dürfte die EU-Länder mitsamt ihrem Kern, dem Euroraum, tief spalten.
Es mag sein, dass Sie diese Betrachtungen für zu pessimistisch halten, denn am Ende geht das Leben ja weiter. Ich würde eher sagen: realistisch. Und zwar auch deshalb, weil ein Großteil der Teilnehmer am großen Spiel ums Geld etwas verdrängt und zum Teil sogar vergessen hat, was eine Krise nach sich zieht. Immerhin ist es sechs Jahre her, dass die Vorkommnisse von 2008 mit ihrem Tiefpunkt, der Pleite der Bank Lehman Brothers mitsamt Folgen, die meisten von uns kalt erwischt haben - einschließlich Notenbanken, Geschäfts- und speziell Investmentbanken, Industrie- und andere Konzerne, Groß- und Kleinanleger, Politiker so wie so.
Was kommt auf den Zahlmeister Deutschland zu? Zunächst nichts, was normale Bürger sofort erkennen könnten. Das heißt, in Frankfurt - seitens der EZB - und in Berlin - seitens der Bundesregierung - werden zurzeit von mehr oder weniger geheimen Zirkeln in Absprache mit der EU-Kommission und dem Internationalen Währungsfonds Hilfspakete geschnürt, zur Seite gelegt, wieder geöffnet, neu bestückt und in anderer Zusammensetzung noch einmal geschnürt.
Danach wird es eher eines äußeren Ereignisses als einer Initiative der hier genannten Entscheidungsträger bedürfen, bis die Pakete zum Einsatz kommen. Ein solches Ereignis kann alles Mögliche sein, etwa die Verschärfung der Ukraine-Krise, das Desaster im Irak, eine überraschende Entscheidung der EZB oder eine neue Eurokrise, jeweils verbunden mit einem kurzen, aber heftigen Crash. Seien Sie darauf mit einem möglichst hohen Kontostand für spätere Anlageschnäppchen und mit einer gehörigen Portion Gold vorbereitet.
© Manfred Gburek
www.gburek.eu
Herr Gburek ist Fachjournalist und Buchautor. Seine letzten Werke waren: "Das Goldbuch" (2005), das Wörterbuch "Geld und Gold klipp und klar von A bis Z" (2007) und "Die 382 dümmsten Sprüche der Banker" (2008).
Finden Sie solche Zahlenspiele langweilig? Sollten Sie aber nicht, denn dahinter verbergen sich Signale an die Finanzmärkte und Antworten auf so manche Fragen, die in diesen Tagen hochkommen. Die Siemens-Anleihe wurde 2008 aufgelegt; man könnte auch sagen: mitten in der schlimmsten Finanzkrise der vergangenen Jahrzehnte. Dafür hat der Konzern ordentlich Federn gelassen, denn die 5 5/8 Prozent sind ihn teuer zu stehen gekommen.
Was daran zu erkennen ist, dass diese Anleihe aktuell nur noch zu 0,84 Prozent rentiert. So kann ein Konzern schief liegen. Hätte er mit der Kapitalaufnahme über die Anleihe gewartet, wäre er heute in einer angenehmen Position wie der Chemiekonzern, der seine Anleihe zu Beginn dieses Jahres emittiert hat. Sie wirft derzeit eine Rendite von 1,92 Prozent ab, also mehr als die Siemens-Anleihe, was der viel längeren Laufzeit geschuldet ist.
Das sagt uns: Kapital kostet zwar doch etwas, aber immer weniger. Die Finanzchefs nicht nur der Konzerne, sondern auch des Mittelstands, werden daraus ihre Konsequenzen ziehen. Und die Anleger? Ebenfalls. Dazu braucht man sich nur auf der Zunge zergehen zu lassen, dass sie im Fall Siemens vier Jahre lang mit einer Rendite vorlieb nehmen müssen, die möglicherweise noch lange unter 1 Prozent zu verharren droht. Und dass sie im Fall BASF fast zehn Jahre lang mit Kursrückschlägen der Anleihe rechnen müssen, falls das Zinsniveau irgendwann in dieser Zeit nach oben abheben sollte. Dafür liegt die Rendite hier über der von Siemens.
Nun könnte man auf die Idee kommen, Konzerne und Mittelständler würden das günstige Kreditzinsniveau zunehmend nutzen, um neues Kapital für produktive Investitionen einzusetzen. Doch das tun sie nur in Maßen. Mehr noch, nicht allein ihre Fremdkapital-, auch ihre Eigenkapitalnachfrage ist mäßig. Und das, obwohl das hohe Niveau der Aktienkurse Anreiz genug ist, das Eigenkapital zu erhöhen. Denn mit steigendem Kursniveau fallen die Kosten der Beschaffung von Eigenkapital.
Der zögerliche Kapitaleinsatz ist zum einen darauf zurückzuführen, dass viele Unternehmen aus der Vergangenheit gelernt haben und einfach abwarten, ob Kapital billiger wird. So dürfte Siemens nicht noch einmal einen so hohen Zinskupon wie anno 2008 anbieten. Und BASF hat zu Beginn dieses Jahres zwar einen Zins offeriert, der über dem heute erzielbaren liegt (was an der Differenz zwischen der Höhe des Kupons und der aktuellen Rendite abzulesen ist), sich dafür aber zehn Jahre Luft verschafft.
Zum anderen warten deutsche Unternehmen derzeit ab, wie die Konjunktur im Euroraum sich weiterentwickelt, vor allem in den angeschlagenen Ländern. Gibt es außer Deutschland eigentlich noch große Euroländer mit vergleichsweise geringen Problemen? Nein (die kleinen spielen, wirtschaftlich betrachtet, nur eine Nebenrolle). Folglich warten deutsche Unternehmen mit der Kapitalbeschaffung ab, bis die Konjunktur in Frankreich, Italien, Spanien und weiteren Euroländern wirklich und nicht nur in der offiziellen Statistik anspringt.
Bis hierher lassen sich die Probleme mit einer gewissen ökonomischen Logik analysieren. Doch danach wird es schwierig. Der Grund: Die Banken des Euroraums als klassische Vermittler von Krediten und als Begleiter von Anleihenemissionen fallen zu einem erheblichen Teil weg. Man bezeichnet sie zu Recht als Zombiebanken, die ohne Hilfe von Seiten der EZB nicht überlebensfähig sind. Im Gegenzug wird die EZB mit einem erheblichen Teil ihrer Aktivitäten zu einer Bad Bank, also zu einer Bank, die den Schrott der Geschäftsbanken bunkert. Der nächste Stresstest in diesem unschönen Gewerbe dürfte noch mehr Schrott zutage fördern. Unter solchen Vorzeichen nimmt es nicht wunder, dass alle erst einmal abwarten, was da noch kommen könnte.
An dieser Stelle sei einmal mehr darauf hingewiesen, dass es außer den hier genannten Problemen ein weiteres gibt, das in der aktuellen Diskussion unter Bankern wie insbesondere auch unter Politikern gern zur Seite gewischt wird, das Problem mit dem symbolischen Namen: Zahlmeister Deutschland. Es ist ruhig darum geworden. Zu ruhig, denn Franzosen, Italiener, Spanier usw. haben Angela Merkel schon längst um Hilfe gebeten, das heißt, de facto Erpressungsversuche unternommen. Und sie ist sich dessen bewusst, dass ihr der Euro um die Ohren fliegen würde, falls sie nicht nachgibt.
Addieren wir zur Verweigerung der Annahme von Kapital durch Unternehmen, zu Zombiebanken einschließlich Stresstest und zur anschwellenden Bad Bank-Abteilung der EZB die Erpressungsversuche anderer Euroländer gegenüber der deutschen Kanzlerin, ist immer noch nicht alles aufgezählt, was uns im kommenden heißen Herbst droht. Denn Flamen, Katalanen und Schotten könnten sich von der EU verabschieden. Das dürfte die EU-Länder mitsamt ihrem Kern, dem Euroraum, tief spalten.
Es mag sein, dass Sie diese Betrachtungen für zu pessimistisch halten, denn am Ende geht das Leben ja weiter. Ich würde eher sagen: realistisch. Und zwar auch deshalb, weil ein Großteil der Teilnehmer am großen Spiel ums Geld etwas verdrängt und zum Teil sogar vergessen hat, was eine Krise nach sich zieht. Immerhin ist es sechs Jahre her, dass die Vorkommnisse von 2008 mit ihrem Tiefpunkt, der Pleite der Bank Lehman Brothers mitsamt Folgen, die meisten von uns kalt erwischt haben - einschließlich Notenbanken, Geschäfts- und speziell Investmentbanken, Industrie- und andere Konzerne, Groß- und Kleinanleger, Politiker so wie so.
Was kommt auf den Zahlmeister Deutschland zu? Zunächst nichts, was normale Bürger sofort erkennen könnten. Das heißt, in Frankfurt - seitens der EZB - und in Berlin - seitens der Bundesregierung - werden zurzeit von mehr oder weniger geheimen Zirkeln in Absprache mit der EU-Kommission und dem Internationalen Währungsfonds Hilfspakete geschnürt, zur Seite gelegt, wieder geöffnet, neu bestückt und in anderer Zusammensetzung noch einmal geschnürt.
Danach wird es eher eines äußeren Ereignisses als einer Initiative der hier genannten Entscheidungsträger bedürfen, bis die Pakete zum Einsatz kommen. Ein solches Ereignis kann alles Mögliche sein, etwa die Verschärfung der Ukraine-Krise, das Desaster im Irak, eine überraschende Entscheidung der EZB oder eine neue Eurokrise, jeweils verbunden mit einem kurzen, aber heftigen Crash. Seien Sie darauf mit einem möglichst hohen Kontostand für spätere Anlageschnäppchen und mit einer gehörigen Portion Gold vorbereitet.
© Manfred Gburek
www.gburek.eu
Herr Gburek ist Fachjournalist und Buchautor. Seine letzten Werke waren: "Das Goldbuch" (2005), das Wörterbuch "Geld und Gold klipp und klar von A bis Z" (2007) und "Die 382 dümmsten Sprüche der Banker" (2008).