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Warum Europa gegen die USA Federn lassen wird

06.07.2014  |  Manfred Gburek
In gut einer Woche treffen sich Vertreter der EU und der USA zur mittlerweile sechsten Verhandlungsrunde, um TTIP voranzubringen. Das Kürzel steht für: Transatlantic Trade and Investment Partnership, im deutschen Sprachgebrauch einfach nur Freihandelsabkommen genannt. "Von einem solchen Abkommen sind signifikante Wohlstandsgewinne zu erwarten", behauptet der BDI, Interessenverband deutscher Industriekonzerne. Aus der Bundesregierung sind ähnliche Sprüche zu vernehmen. Zu Recht? Lassen Sie mich diese Frage mal anders beantworten, als TTIP-Befürworter und -Gegner es derzeit tun.

Da gibt es zunächst einen tiefen Graben zwischen der EU und den USA: Während hüben zum Beispiel Wachstumshormone für Schlachtvieh oder bestimmte Desinfektionsmittel für Puten und Hühner verboten sind, geht man damit drüben recht freizügig um. Auch in Bezug auf die Gentechnik halten es die Amerikaner weniger streng: Während sie sie einsetzen, wo immer es geht, bleiben Felder in der EU überwiegend von ihr verschont. Die Diskussion über Pro und Kontra ist inzwischen von der Ideologie einerseits und von rein kommerziellen Interessen andererseits derart durchsetzt, dass die TTIP-Verhandler ständig in argumentativen Sackgassen landen.

Im Kern geht es darum: EU-Länder achten weitgehend darauf, dass Lebensmittel erst dann zugelassen werden, wenn feststeht, dass sie bei Menschen keine gesundheitlichen Schäden verursachen. Dagegen lassen die USA Lebensmittel zu, solange nicht klipp und klar bewiesen ist, dass sie der Gesundheit schaden. Im Endeffekt ließe sich von der Umkehr der Beweislast sprechen - eine harte Nuss, wenn man die Rolle der Verhandler berücksichtigt, die vor der an sich unlösbaren Aufgabe stehen, zwei von Grund auf verschiedene Rechtssysteme unter einen Hut zu bringen.

Wie geht es weiter? Auf den Kern fokussiert: Die Amerikaner werden sich in den entscheidenden Punkten durchsetzen. Wie ich darauf komme? Aus verschiedenen Gründen:
Wenn der deutsche Interessenverband BDI mit Wohlstandgewinnen argumentiert, zielt er gewiss nicht so sehr darauf ab, dass es den Durchschnittsdeutschen besser gehen soll, sondern dass die von ihm vertretenen deutschen Konzerne im internationalen Geschäft weiter an vorderster Front mitmischen. Dafür müssen sie Märkte erschließen und möglichst dauerhaft verteidigen. Das ist ihnen nur möglich, solange sie sich an dem Recht der Länder ihrer Märkte orientieren, in diesem Fall am amerikanischen Recht.

Nun kann man davon ausgehen, dass US-Konzerne sich ähnlich zu verhalten haben, falls sie den deutschen oder einen anderen europäischen Markt bearbeiten - wenngleich mit dem entscheidenden Unterschied, dass ihre Industrie- und sonstige Lobby anders als die der EU keine divergierenden Interessen einer kunterbunten Staatengemeinschaft berücksichtigen muss. Doch der entscheidende Unterschied besteht darin, dass diese Konzerne von Seiten ihrer Regierung viel mehr unterstützt werden als die europäischen, die auf den Behördenapparat namens EU angewiesen sind, der einfach nicht in der Lage ist, die verschiedenen Interessen unter einen Hut zu bringen. Derweil preschen die Amis mithilfe ihrer Regierung immer weiter vor.

Damit wird aus dem TTIP-Verhandlungsmarathon ein ungleiches Rennen zugunsten der USA und zulasten Europas. Bereits heute lässt sich erkennen, wohin es führt. Dazu nur ein ganz einfaches Beispiel: Die Deutschen werden im Durchschnitt immer dicker. Das haben sie zu einem Großteil den in Getränken, in Hamburgern und sonstigen Lebensmitteln versteckten Kalorien zu verdanken. Beobachtet man die Amerikaner vor Ort, wird erkennbar, wohin die Kalorienbomben führen: zu fettleibigen Menschen, die kaum noch richtig gehen können. Dieses Schicksal droht auch immer mehr Deutschen.

Gestatten Sie mir nun noch einige Anmerkungen zu dem, was ich zuletzt in den USA beobachten konnte. Beginnen wir mit der Hauptstadt Washington. Dort befindet sich in der Nähe einer Gedenkstätte für die südkoreanische Armee ein Schrein mit der Inschrift „Freedom is not free“, also Frieden gibt es nicht umsonst - nachdenkenswert, denn Amerikaner interpretieren diesen Satz bestimmt anders als Europäer, nämlich im Sinn von: Im Zweifel lassen wir die Waffen sprechen.

Unweit der Südkorea-Gedenkstätte windet sich ein extrem langer Schrein mit den Namen unzähliger in Vietnam gefallener US-Soldaten, Durchschnittsalter 19 Jahre. Er ist das in Stein verewigte Symbol für das amerikanische Vietnam-Trauma und in der Regel so stark besucht, dass man Mühe hat, all die Namen zu lesen. Auch das gehört dazu: lebend davongekommene Vietnam-Veteranen, die Poloshirts mit Aufschriften der Namen ihrer gefallenen Kameraden tragen und vor dem Schrein salutieren.

Ein weiteres amerikanisches Trauma ist Nine Eleven, der 11. September 2001, als das World Trade Center in New York nach Terroranschlägen zusammenstürzte. An dessen Stelle befindet sich heute in riesigen Dimensionen ein zweistöckiger viereckiger Wasserfall. Direkt nebenan: ein 541 Meter hoher, längst noch nicht vollständig vermieteter Wolkenkratzer mit Namen "One World Trade Center - Freedom Tower". Ihm sollen noch drei in Planung befindliche weitere Wolkenkratzer mit etwas geringeren Höhen folgen. Das realisierte bzw. geplante Ensemble zeugt davon, wie Amerikaner mit erlittenen Niederlagen umgehen: Erinnern, aber auch nach vorn blicken statt zu verzagen.

Dazu passt, dass am Hafenpier in San Francisco unmittelbar neben einer Flaniermeile einschließlich Glücksspielhalle ein U-Boot aus dem 2. Weltkrieg und ein Kriegsschiff der Liberty-Serie zu bewundern sind, Überbleibsel aus der Schlacht im Pazifik, als die USA empfindliche Niederlagen gegen Japan einstecken mussten, bevor sie Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki abwarfen. Heute sind beide Länder Partner, um China in Schach zu halten.

Diese Art von Pragmatismus dürfte auch die kommenden TTIP-Verhandlungen beherrschen - nur dass es dabei nicht um die Bewältigung der Vergangenheit, sondern um die Weichenstellung für die Zukunft gehen wird. Machen Sie sich jedenfalls darauf gefasst, dass Europa Federn lassen wird. An den Börsen hat sich das schon ausgewirkt: Die führenden amerikanischen Aktienindizes konnten in den vergangenen Monaten etwas mehr zulegen als die europäischen. Wegen der allgemeinen Überbewertung der Aktien aus beiden Sphären sind Sie allerdings gut beraten, wenn Sie Ihr Geld bis auf Weiteres weder hier noch da investieren, sondern auf niedrigere Einstiegskurse warten.


© Manfred Gburek
www.gburek.eu

Herr Gburek ist Fachjournalist und Buchautor. Seine letzten Werke waren: "Das Goldbuch" (2005), das Wörterbuch "Geld und Gold klipp und klar von A bis Z" (2007) und "Die 382 dümmsten Sprüche der Banker" (2008).



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