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Da braut sich was zusammen

09.11.2014  |  Manfred Gburek
Warum sind die derzeit extrem niedrigen Zinsen eigentlich kein Grund zur Freude, wie uns führende Volkswirte zunehmend glauben lassen? Sie könnten doch die Unternehmen zu Investitionen anregen und für mehr Konsum sorgen, so lautet ein gängiges Argument. Das würde dem Wirtschaftswachstum gut tun. Trotzdem ist das Lamento über das Zinsniveau nahe Null seit Wochen mehr zu hören und zu lesen als der Lobgesang.

Um die Antwort gleich vorwegzunehmen: Wahrscheinlich haben die Volkswirte recht. Beispiel Investitionen: Wenn die Chefs großer Konzerne das gemessen am Zins billige Geld lieber für Rückkäufe eigener Aktien und für Übernahmen anderer Konzerne statt zum Kauf von Maschinen und Anlagen verwenden, können sie ihre von den Aktienkursen abhängigen Boni elegant in die Höhe treiben. Volkswirtschaftlich betrachtet ist ein solches Verhalten kontraproduktiv. Beispiel Konsum: Wenn Sparer zugunsten von mehr Anschaffungen ihre Konten plündern, weil sie die Magerzinsen leid sind, kann man das zwar gut nachempfinden. Aber das ausgegebene Geld fehlt dann am Ende bei der Gesundheits- oder Altersvorsorge.

Claudio Borio, ein führender Volkswirt der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), ging neulich mit seiner Argumentation noch viel weiter: "Das Zinsniveau erscheint weltweit zu niedrig, um langfristig für Preis- und Finanzstabilität zu sorgen. Die jetzige Konstellation scheint nicht nachhaltig zu sein und hat bereits zu gewissen Übertreibungen geführt. In dieser Hinsicht ähnelt die Situation durchaus der Phase vor der Finanzkrise."

Und der BIZ-Chefvolkswirt Hyun Song Shin bestätigt Borio mit dem folgenden Warnschuss: "Der Spielraum der Politik und insbesondere der Geldpolitik ist heute sehr viel geringer, als er es 2008 war. Wenn es nun einen neuen Schock gäbe, wären die möglichen Gegenmittel viel limitierter als damals." Solche Warnungen aus der großen BIZ-Denkfabrik haben Tradition. Meistens haben sie sich mit etwas Verzögerung als berechtigt erwiesen.

Ein aktueller Krisenbeschleuniger besteht darin, dass europäische Banken wegen ihrer Kapitalschwäche - der Stresstest hat es einmal mehr bewiesen - die Finanzierung der Wirtschaft zunehmend den Kapitalmärkten überlassen müssen (in den USA dominiert diese Finanzierung schon längst). Das Risiko, dass Schuldner zahlungsunfähig werden, wandert also über Unternehmensanleihen in Richtung Anleger. Wobei ein Großteil solcher Anleihen auf Schwellenländer entfällt, was das Risiko noch erhöht.

Damit nicht genug, eine weitere Gefahr lauert bereits um die Ecke; sie ist auf die zunehmende Marktenge von Unternehmensanleihen zurückzuführen. Das bedeutet: Während die Zahl der Neuemissionen solcher Anleihen gewaltig steigt, lässt der Handel mit ihnen deutlich nach. Das ist deshalb gefährlich, weil daraus folgt, dass Anleger - in diesem Fall überwiegend Fonds aller Art - im Fall des Falles (wenn zum Beispiel eine Großpleite droht) ihre Anleihen nur mit hohen Abschlägen oder gar nicht verkaufen können. Sie werden dann zu Gefangenen ihrer mehr oder weniger illiquiden Engagements.

Wahrscheinlich fragen Sie sich spätestens jetzt, wie das alles enden wird. Grundsätzlich sind zwei Szenarien denkbar: Die Sache geht glimpflich aus, weil nur kleine Pleiten zu beklagen sind. Oder es kommt zu einem Anleihencrash mit unabsehbaren Folgen für die ganze Weltwirtschaft. Im ersten Fall ist Voraussetzung, dass das Zinsniveau niedrig bleibt und die Wirtschaft so zügig wächst, dass Unternehmen mit einem hohen Anleihenvolumen Zinsen und Tilgung bedienen können. Nur schließen sich dummerweise niedrige Zinsen und hohes Wirtschaftswachstum auf Dauer aus. Und ob Zentralbanken bereit sind, mehr Anleihen als ohnehin schon weiter aufzukaufen, um einen Anleihencrash zu verhindern, ist nicht in Stein gemeißelt. Folglich sollten wir alternativ auch das zweite Szenario in Betracht ziehen.

Bleiben wir zuerst noch kurz bei Nummer eins. Für die jetzige Entwicklung an den Kapitalmärkten, geprägt durch niedrige Zinsen und wenig Wachstum bei minimaler Inflation, hat sich unter Anlageprofis ein Begriff durchgesetzt: säkulare Stagnation. Das klingt zu Recht bedrohlich. Der Feri-Anlagestratege Heinz-Werner Rapp kommentiert: "Auch der Wirtschaftsmotor Deutschland stottert. Deutschland hat nicht mehr die Umdrehungszahl, um die Eurozone am Laufen zu halten. Draghi hält den Laden zusammen." Und welche Schlüsse zieht daraus ein anderer Anlagestratege, Ralf Ahrens von der Fondsgesellschaft Frankfurt-Trust?

"Spreads werden auch künftig einen sehr hohen Anteil an der Gesamtverzinsung haben." Konkret: Unternehmensanleihen, Staatsanleihen außerhalb Kerneuropas und globale Anleihen bieten nach Ahrens „einen strategischen Mehrertrag“. Fassen wir zusammen: Wachstum ade, EZB-Chef Mario Draghi bleibt die letzte Instanz, und wer mehr als nur Minizinsen kassieren will, muss über Spreads, also Zinsdifferenzen, höhere Risiken in Kauf nehmen.

In Anlehnung an den Gangsterfilm "No country for old men" kann man auch so formulieren: kein Spielfeld für private Anleger. Oder um es mit den Worten von Rapp auszudrücken: Käme es zu Zweifeln an Draghis Geldpolitik, gäbe es erhebliche Erschütterungen an den Kapitalmärkten. Damit sind wir auf Umwegen bei Szenario Nummer zwei angelangt: drohender Anleihencrash, bezogen auf Anleihen minderer Qualität. Am Anfang dieses Beitrags habe ich dazu bewusst zwei BIZ-Volkswirte zitiert, deren Thesen belegen, wie ernst die Lage bei solchen Anleihen wirklich ist. Doch wann, mit welcher Intensität und wodurch ausgelöst der Crash kommt, kann niemand beantworten. Es gibt allerdings einige Indikatoren, die Sie verfolgen sollten, um nicht kalt erwischt zu werden. Dazu gehören an vorderster Stelle:

  • VDax und VIX. Das sind Indizes für die Volatilität, das heißt Schwankungsintensität, von Aktienkursen an der deutschen und amerikanischen Börse. Die entsprechenden Grafiken lassen sich auf Internetseiten von Direktbanken und sonstigen Finanzdienstleistern anklicken. Je höher sie steigen, desto näher rückt der Crash von Aktien, aber auch von Anleihen minderer Qualität.

  • Indizes, die etwas über den kommenden Konjunkturverlauf aussagen, wie der ifo-Geschäftsklima- oder der US-Einkaufsmanager-Index, fallen immer weiter.

  • In einem größeren Land, zum Beispiel Deutschland oder China, brechen die Immobilienpreise ein.

  • Bedrohliche Zwischentöne aus der US-Notenbank Fed und ihre Interpretation in den Medien

  • EZB-Chef Draghi sagt ein falsches Wort.

  • Irgendein überraschendes Ereignis mit Wirkung auf die Kapitalmärkte. Der Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt.

  • Der Goldpreis schießt in die Höhe - was einmal mehr dafür spricht, dass Gold in den Händen geduldiger Anleger eine vernünftige Investition mit Versicherungsfunktion ist, allen Preiseskapaden in jüngster Zeit zum Trotz.


© Manfred Gburek
www.gburek.eu

Herr Gburek ist Fachjournalist und Buchautor. Seine letzten Werke waren: "Das Goldbuch" (2005), das Wörterbuch "Geld und Gold klipp und klar von A bis Z" (2007) und "Die 382 dümmsten Sprüche der Banker" (2008).



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