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Negativer Realzins - und seine Folgen

08.02.2015  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Der Zins in der 'gehemmten Marktwirtschaft‘

Im heutigen ungedeckten Papiergeldwesen liegen die Dinge jedoch anders. Denn es handelt sich hier um kein freies, sondern um ein gehemmtes, ein staatlich-interventionistisches Kredit- und Geldsystem. Zentralbanken sorgen dafür, dass der Marktzins künstlich abgesenkt wird und unter den Urzins fällt. Das liegt daran, dass Bankkredite vergeben werden, die nicht durch "echte Ersparnis" gedeckt sind, dass eine Geldschöpfung "ex nihilo" durch Kreditvergabe erfolgt. Der künstlich gesenkte Marktzins verleitet Unternehmen zu Investitionen, die sich in der Summe früher oder später als undurchführbar erweisen. Anfänglich sorgt die Geldmengenvermehrung "aus dem Nichts" zwar für einen künstlichen Aufschwung ("Boom"). Er muss jedoch früher oder später in sich zusammenfallen und in einer Rezession ("Bust") enden.(9)

Vor allem steigt in einem ungedeckten Papiergeldsystem die Verschuldung von Privaten, Unternehmen, Banken und Staaten immer weiter an relativ zur Wirtschaftsleistung. Früher oder später kommt es zur Überschuldung. Kreditgeber sind nicht mehr bereit, fällige Kredite zu erneuern, die Dauerschuldnerei weiter zu finanzieren. Kreditnehmer, deren Verbindlichkeiten fällig werden und die auf eine Anschlussfinanzierung angewiesen sind, geraten in Bedrängnis. Ihnen droht die Zahlungsunfähigkeit, und ihren Gläubigern stehen Forderungsausfälle ins Haus. Genau diese Situation zeigte sich im Prinzip weltweit in der sogenannten Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009.

Die Eingriffe der Zentralbanken, die darauf folgten - in Form von Zinssenkungen und unbegrenzter Ausweitung der Basisgeldmengen -, haben die Zahlungsunfähigkeit des Bankenapparates und damit auch der Staaten zwar zunächst abgewehrt. Ungelöst sind jedoch nach wie vor die hohe Verschuldung in vielen Währungsräumen, verbunden mit einer Wachstumsschwäche - wie etwa in Japan und im Euroraum. Eine Möglichkeit, die Verschuldung von Staaten und insbesondere auch von Banken abzubauen, besteht nun darin, die Zinsen auf deren Schulden negativ werden zu lassen. Doch wie lässt sich das bewerkstelligen? Besonders die schlechten Schuldner würden von einem negativen Realzins profitieren. Aber gerade ihnen leihen die Sparer - soweit sie bei Sinnen sind - ihr Geld, wenn überhaupt, nur bei hohen Zinsen, beziehungsweise sie werden ihnen ganz bestimmt kein Geld zu einem negativen Realzins leihen.

Wie gesagt: Weder in einem freien noch in einem gehemmten Marktsystem kann es einen gleichgewichtigen Urzins geben, der null oder gar negativ ist.(10) In einem gehemmten Marktsystem kann die Zentralbank allerdings einen negativen Marktzins erzwingen oder durch Täuschung auf den Weg bringen. Beispielsweise können Regierungen und ihre Zentralbanken negative Einlagenzinsen "anordnen". Damit die Menschen den Folgen nicht entkommen können, müsste das Bargeld abschaffen. Oder den gutgläubigen Bankkunden und Wertpapierinvestoren muss vorgegaukelt werden, die oktroyierten negativen Realzinsen seien nur vorübergehend und es lohne sich daher nicht, dass die Bankkunden an ihrer gegebenen Portfoliozusammensetzung etwas änderten.


Bittere Konsequenzen

Mit ihrer Tiefzinspolitik und ihrem negativen Einlagenzins drängt die EZB die nominale und auch reale Verzinsung für Bankeinlagen in den Negativbereich. Dadurch kommt es zu einem Passivtausch in den Bankbilanzen: In dem Maße, in dem Sicht-, Termin- und Spareinlagen sich aufgrund der negativen Einlagenzinsen verringern, steigt der Gewinn der Banken: Die Verluste der Bankkunden erscheinen als neues Eigenkapital in den Bilanzen der Banken.

Sollten die Bankkunden jedoch verstehen, was da geschieht, werden sie sich zumindest die Einlagen, die sie nicht für tagtägliche Zahlungen benötigen, in Bargeld auszahlen lassen und es im Schließfach lagern. Ziehen die Kunden ihre Einlagen ab, verteuert sich die Refinanzierungsbasis der Banken: Kunden müssen nun höhere Zinsen geboten werden, um den Einlagenabzug zu verhindern beziehungsweise neue Refinanzierungsmittel zu erhalten.

Sollten die Geschäftsbanken nicht willens oder in der Lage sein, ihren Kunden höhere Zinsen zu zahlen, werden sie verstärkt EZB-Kredite aufnehmen (müssen). Dadurch werden die Banken zunehmend abhängig von EZB-Krediten - beziehungsweise die Euro-Steuerzahler werden zusehends für die geschäftspolitischen Risiken der privaten Banken in Haftung genommen - zur Freude der Gläubiger und Angestellten der Banken.

Bei negativen Einlagenzinsen nimmt die Bereitschaft zu sparen ab beziehungsweise sie kommt zum Erliegen - im Vergleich zu einer Situation, in der der Zins sich im freien Markt bilden kann. Die Konsumausgaben steigen, und es werden weniger Ressourcen aus dem laufenden Einkommen für Investitionszwecke bereitgestellt. Der Aufbau des Kapitalstocks fällt gering(er) aus, und damit verschlechtern sich die Aussichten für die realen Einkommenszuwächse in der Zukunft. Die Volkswirtschaft betreibt Kapitalverzehr: Der Gegenwartskonsum geht zusehends auf Kosten der künftigen Wohlstandes.

Wenn die Zinsen negativ sind und das Sparen schwindet, müssen neue Investitionen verstärkt mit Bankkrediten, die aus dem Nichts geschöpft werden, finanziert werden. Die Investitionsfinanzierung wird also zusehends inflationär: Ein immer größerer Anteil wird durch ungedeckte Bankkredite finanziert, die mit einer Geldmengenausweitung einhergeht.

Um dem Strafzins zu entkommen, werden Bankkunden verstärkt Finanztitel nachfragen, die noch eine positive Rendite in Aussicht stellen. Die Nachfrage nach beispielsweise Staats- und Unternehmensanleihen nimmt zu, aber auch die nach Unternehmensbeteiligungen. Die Preise dieser Finanztitel werden aufgebläht. Eine Spekulationsblase kommt in Gang, durch die knappe Ressourcen vergeudet werden.



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