Aktuelles vom Kapitalmarkt: US-M3-Daten und Bondmärkte
09.03.2006 | Dr. Dietmar Siebholz
Vorab einmal eine persönliche Anmerkung: Alles im Leben hat zwei Seiten, so auch das Alter. Einerseits spürt man den Zahn der Zeit an einem nagen (das Knie schmerzt - natürlich vom exzessiven Motorradfahren, die Beweglichkeit nimmt ab etc.), aber andererseits verfügt man, wenn man immer mit offenen Augen durch die Welt marschiert ist und sich für alles und jedes interessiert hat, über einen unschätzbaren Daten- und Erfahrungsspeicher, der einem zwar keine Einschätzung der Zukunft ermöglicht, aber eine enorme Hilfe für das Relativieren von Informationen darstellt.
Eine solche Erfahrung braucht man zum Beispiel, um sich ein Urteil über die heutigen Grundlagen für die Kapitalmärkte bilden zu können; ich meine hier den besonders umfassenden und wichtigen Teilmarktbereich, nämlich den Rentenmarkt oder wie er international bezeichnet wird, den Bondsmarkt. Dieser ist - vom Standpunkt der kumulierten Emissionsvolumen betrachtet - ein Mehrfaches größer als die mehr im Mittelpunkt des Interesses stehenden Aktienmärkte.
Was hat sich eigentlich in der Zeitspanne, in der ich diesen Markt beobachte, so wesentlich verändert? Die Antwort ist kurz und prägnant: Fast alles, das Volumen, die Qualität der Schuldner und deren Belastungsmöglichkeit sowie die Auswahl der Zwecke (und die Begründungen für diese), für die die Anleihen aufgenommen wurden und werden.
Fangen wir einmal mit dem Volumen an. "Jumbo-Pfandbriefe" und "Jumbo-Anleihen" sind zwei Stichworte, die zeigen, dass es sich um Rentenwerte mit einem Volumen von über eine Milliarde Euro handelt. Es gibt keine zuverlässigen Statistiken über die weltweit emittierten Rentenwerte, aber es ist zu vermuten, dass die seit Jahrzehnten praktizierte Geldschöpfung durch die Notenbanken immer mehr Liquidität freigesetzt hat, die nicht in die Finanzierung von Investitionen strömt, sondern in die Finanzierung von Staatverschuldungen. Darüber noch hinaus produzierte Liquidität sucht nun wiederum nach einer Anlage, und da bieten sich die ja ach so sicheren Rentenwerte an.
Was die Akteure in der Politik und bei den Notenbanken dabei aber vergessen, ist die Tatsache, dass Geld, das künstlich geschaffen - und nicht durch Arbeit, Produktion oder Dienstleistungen erwirtschaftet wird - quasi einen Liquiditätsüberhang produziert, der sich nach langem Marsch durch verschiedene Stationen der Wirtschaft bislang immer in Kosten- und Preissteigerungen niedergeschlagen hat, also in einer inflationären Tendenz. Nach der einfachen Regel: Etwas, was im Überfluss vorhanden ist, das hat keinen großen Wert. Diamanten, Kieselsteine oder Geld werden nach ihrem Vorkommen und dem daraus resultierenden Angebot bewertet. Diese Regel können weder Nobelpreisträger für Ökonomie noch unsere allwissenden Politiker abschaffen. Sie hat die gleiche Lebensberechtigung wie das Gesetz der Schwerkraft.
Nun zur Qualität der Schuldner: Unser eigenes Beispiel in Deutschland soll uns hier als Betrachtungsgegenstand dienen; die Staatsverschuldung steigt trotz aller Versuche, Schulden (die eigentlich Staatschulden wären) durch Ausgrenzung auf neu geschaffene halb-öffentliche oder öffentliche Institutionen zu reduzieren. Ich erinnere an eines der "Unworte" nach der deutschen Wiedervereinigung, nämlich an den "Fonds deutsche Einheit". Für mich als Entwickler und Verwalter von geschlossenen deutschen Immobilienfonds war bis zu diesem Zeitpunkt ein Fond ein Zusammenschluss von Menschen oder die Zusammenfassung von Vermögensteilen, die sich eine einheitliche Verwaltung wählten. Weit gefehlt: Die Politik machte aus diesem Wort mit positivem Vermögenshintergrund eine Schimäre: Der Fonds bestand aus Schulden, die die BRD aus der DDR-Periode übernommen hatte.
Mit der willkürlichen Definition von Verschuldungsgrenzen für Staaten haben die Verantwortlichen einen Rahmen geschaffen, der als Grundlage der Zukunftsberechnungen wegen der damit verbundenen Systematik der Zinseszinskurven auf einen letalen Endzustand zwingend hinweist. Wie sagt einer meiner Partner im "Konstanzer Kreis" so einfach und deutlich: "Adam Riese kann man nicht aus dem Wege gehen..." Die Folge: Immer neue Verschuldung, immer höhere Emissionsvolumen und das bei derzeit niedrigem Anleihezins. Die eine Grundlage für ein Chaos am Kapitalmarkt, nämlich das enorm gestiegene Volumen wäre damit definiert.
Weiter zur Qualität der Schuldner: Eine USA, die ein Budget unter Ausklammerung der Kosten für die Kriegsführung am Hindukusch und zwischen Euphrat und Tigris erstellt, die Einzahlungen der Bürger auf die Sozialversicherung als Budgeteinnahme verbucht, aber keine Rückstellungen für künftige Verpflichtungen aus eben dieser Sozialversicherung macht, ist kein Stück besser als das ENRONManagement. Bitte verurteilen Sie nicht die Politik in den USA; sie ist kein Stück schlechter oder besser als die unsrige. Beispiel gefällig? Ich schrieb darüber schon vor einigen Monaten, als ich die Veröffentlichung im HANDELSBLATT über eine Anleihe einer neu gegründeten deutschen Institution mit einem englischen Titel las, nämlich auf deutsch "Deutscher Postangestellten-Rentenfonds".
Wer mein Essay nicht gelesen hat, hier kurz zur Wiederholung: Als die Post privatisiert wurde, war eine Bilanz nach üblichen Regeln aufzustellen, vorher war die Post ja ein Staatsbetrieb mit abweichenden Bilanzmerkmalen. Jetzt aber mussten die Verbindlichkeiten der Post für ihre Pensionäre passiviert werden. Diese wären bei privatwirtschaftlicher Berechnung (Höhe, Laufzeit, Beihilfen etc.) so hoch gewesen, dass der Bund als Verkäufer mit der Verpflichtung zur Übernahme der Verbindlichkeiten keine Käufer gefunden hätte. Aber: Man brauchte das Geld aus der Privatisierung, um die leeren Kassen zu füllen. Was war die Lösung? Der Bund übernahm die Lasten aus den Pensionen der Postbeamten und der Altersversorgung für die Angestellten und legte den drei Post-Nachfolgern (Post AG, Postbank und Telekom) die Verpflichtung auf, einen Teil der jährlichen Versorgungsleistungen - man schätzt etwa ein Drittel der jährliche Lasten aus deren Überschüssen - an den Bund abzuführen. Kurz gesagt: Für eine begrenzte Sofortliquidität aus der Privatisierung der Postnachfolgeunternehmen übernahm der Bund unübersehbare Lasten für die Zukunft.
Das war aber nicht alles: Als es Herrn Eichel besonders schlecht ging (das war kurz vor seiner Abwahl), fiel ihm eine noch bessere Variante ein, für die sich unsere Kinder und Enkel noch bei ihm bedanken sollten. (Ich finde die Sparkassenwerbung, in der sich der Rentner bei sich selbst für die Fehler bei der Alterversorgung durch einen Tritt bedankt, herrlich. Das sollten wir auch einmal bei den Verantwortlichen aus der Politik tun). Eichel ließ diese englischnamige Gesellschaft gründen, an die die drei Nachfolgeunternehmen der Post ihre künftigen Zahlungsverpflichtungen abzutreten hatten. Diese - mit den Abtretungen ausgestattet - war aber im internationalen Kontext immer noch nicht besonders bonitätsfähig. Nun gab der Bund auch noch eine Garantie ab und siehe da: Die obskure Anleihe (ich meine, so belief sich so an die 5,0 Mrd. €) hatte Qualität AAA und wurde ihm förmlich aus der Hand gerissen.
Was ist wirklich geschehen? Die Schulden vom Bund sind nicht gestiegen, weil Garantien ja nicht zählen. Der Bund zahlt jetzt alle Pensions- und Altersversorgungslasten "from here to the eternity", er erhält keine Zuschüsse der drei Post-Nachfolgeunternehmen mehr und das Geld aus der Anleihe half, die fatale Liquiditätsklemme des Bundes kurzfristig zu überbrücken. Es ist wohl anscheinend wirklich kurz vor Zwölf...
Das stärkste Stück in diesem Tollhause liefern uns unsere französischen Nachbarn. So wie bei uns gibt es dort Fehlbeträge bei der Gesundheitsversorgung. Diese werden jedoch nicht über den Haushalt finanziert, nein, die Franzosen gründeten für die Finanzierung der Deckungslücken eine eigene Organisation, CADES genannt, also eine Agentur (nicht vollstaatlich, daher außerhalb der Verschuldungsgrenzenberechnungen), die sich am Rentenmarkt durch Anleihen Liquidität verschafft für die Deckungslücken. Nachzulesen unter HANDELSBLATT vom 02.03.06 Seite 56 - Titel: "Neuer Bond der französischen CADES gefragt".
Das Ganze erinnert an die US-amerikanischen "Hypothekenagenturen" "Fannie Mae" und "Freddie Mac", die nach der Pleite bei den Sparkassen in den USA als staatliche Agenturen gegründet, die Finanzierung und Verbriefung von Hypothekendarlehen koordinieren. Viele glauben, dass diese staatlich organisierte Agentur eine Staatsdeckung hat. Nein, seit dem Bekanntwerden von großen Bilanzproblemen wiederholt die Regierung der USA den Hinweis, beide Institute seien Agenturen, aber ohne Staatsgarantien. Die Verantwortlichen werden schon wissen, warum sie darauf explizit verweisen, nehme ich an. Unter dem Siegel von staatlichen Organisationen werden Anleiheschuldner geschaffen, für die der Staat den Ruf, aber nicht die Garantien stellt; sie dienen lediglich zur Ausgrenzung von Haftung und Verminderung der Schuldenzurechnung bei den Staaten. Bestehen bei Ihnen noch irgendwelche Fragen zur Qualität dieser Schuldner?
Ich komme zurück auf meine Historie: Als ich Anfang der 60-er Jahre bei der Dresdner Bank das Handwerk des Bankkaufmanns lernen durfte, erklärten mir meine Ausbilder, dass Anleihen zur Langfristfinanzierung von Investitionen für die Gebietskörperschaften aufgenommen werden; ich verstehe darunter Investitionen in Strassen, Gebäude, staatliche Unternehmen, Brücken etc. Heute werden Anleihen zur Deckung von Lücken, zur Kriegsfinanzierung, zur Tilgung früherer Schulden und deren steigender Zinslasten verwendet, aber auch - und das ist aus meiner Sicht schon das Ende der Vorstellungskraft - zur Finanzierung von bereits erfolgtem Konsum, der nach überlieferten Regeln aber nicht mehr finanzierbar wäre.
Nun hat mich schon vor Jahren - es war so in den 80-ern - ein Artikel im Spiegel geschockt, nach dem eine Analyse der Anleihen des Stadtstaats Hamburg schon damals ergeben hatte, dass die Anleihen nicht zur Finanzierung von langfristigen Investitionen, sondern auch zur Finanzierung von Bürogegenständen, Polizeifahrzeugen etc. verwendet wurden. Kurz gesagt: Die angeschafften Güter waren schon längst verbraucht, verschrottet oder untergegangen, die für die Finanzierung aufgenommenen Anleihen liefen aber immer noch durchschnittlich weiter 5 bis 7 Jahre.
Der Schock heute sitzt tiefer: Anleihen haben nur noch einen Sinn, nämlich die Finanzierung von Tilgungen alter Schulden, deren Zinslasten und die Finanzierung von neuen Schulden zur Haushaltssicherung, ein klassisches Schneeballsystem. Damit wäre auch das Thema "Prüfung der sinnvollen Verwendung der aus Anleihen beschafften Mittel" wohl umfassend beschrieben, meine ich.
Zusammenfassung
Die Anleihen sind heute nur noch das Medium der Staaten, sich von Finanzierungslücke zu Finanzierungslücke (die ja durch die diversen Finanzierungslücken auch von Sonderhaushalten entstehen) durchzuhangeln; meine US-Partner nennen dies "muddle through", also "Durchwurschteln". Die Qualität der Schuldner nimmt im gleichen Masse ab, wie das Volumen der Anleihen zunimmt. Das Ganze erscheint mir wie ein riesiges Pyramidenspiel, (da es ja von der Politik kommt, ist es ja legitim), das dann sein Ende finden wird, wenn die letzte noch nicht diskutierte Komponente eintreten wird: Die Zinssteigerung wegen der gestiegenen Inflation. Nachdem sich die Staaten und die Unternehmen immer mehr kurzfristig finanzieren (die Zinssätze waren ja dank der heldenhaften Leistung des Herrn Greenspan so niedrig und lagen weitaus unter der realen Inflation), fehlt nur noch der Funke, der dieses gefährliche Gebräu entzündet.
Meine Meinung dazu: Wenn sich die zwei Glieder der Multiplikation nach oben verändern, dann steigt das Produkt in fast quadratischer Funktion. Ein Rechenbeispiel: Bei Schulden von 100 € - kurzfristiger Mischzinssatz = 4,25% ergibt sich eine Zinslast von 4,25 € - Bei Schulden von 150 € - kurzfristiger Mischzinssatz = 6,375% (das ist das langjährige Mittel und kein Extremwert) steigt die Zinslast auf 9,56 €. und löst damit einen Zinslastanstieg pro Jahr von 125% aus. Wenn also Schulden und Zinssätze um jeweils 50% steigen, dann erhöhen sich die Zinslasten um 125%. Denken Sie darüber nach, solange Sie noch vor einem Zinsanstieg am Rentenmarkt handeln können; die Inflation ist selbst durch Rechenkunststücke wie in den USA (hedonische Klauseln etc.) nicht mehr wegzureden. Handeln Sie bald…
© Dietmar Siebholz
NS: Vielleicht verstehen Sie nun, warum die US-Notenbank (FED) die bisher veröffentlichten monatlichen Daten über die M3-Werte (damit wird der Umfang aller liquiden Mittel, die in einer Volkswirtschaft wirken, erfasst) ab Ende März 2006 einstellen wird: Vielleicht will die FED diese Erkenntnisse über den wirklichen Stand der neu geschaffenen Liquidität im Hinblick auf die Staatsverschuldung und die Überversorgung der Finanzmärkte verhindern? Ich bin sicher, dass dies das alleinige Motiv ist, diese Information künftig zu unterdrücken.
Übrigens: Die aktuelle Zahl der M3-Werte: Mein US-Partner Dr. McHugh schreibt dazu: "The answer lies in the monetary inflation. M3 was reported by the FED to be up an unbelievable 54,1 $ billion (das sind deutsche Milliarden) in the latest reporting week, which annualizes to a 27,4% rate of growth". Wenn ein Notenbank-System in einer Woche zusätzlich neue Liquidität von 54 Mrd. US$ in Umlauf bringt, dann sollte man sich darüber wohl Gedanken machen.
Eine solche Erfahrung braucht man zum Beispiel, um sich ein Urteil über die heutigen Grundlagen für die Kapitalmärkte bilden zu können; ich meine hier den besonders umfassenden und wichtigen Teilmarktbereich, nämlich den Rentenmarkt oder wie er international bezeichnet wird, den Bondsmarkt. Dieser ist - vom Standpunkt der kumulierten Emissionsvolumen betrachtet - ein Mehrfaches größer als die mehr im Mittelpunkt des Interesses stehenden Aktienmärkte.
Was hat sich eigentlich in der Zeitspanne, in der ich diesen Markt beobachte, so wesentlich verändert? Die Antwort ist kurz und prägnant: Fast alles, das Volumen, die Qualität der Schuldner und deren Belastungsmöglichkeit sowie die Auswahl der Zwecke (und die Begründungen für diese), für die die Anleihen aufgenommen wurden und werden.
Fangen wir einmal mit dem Volumen an. "Jumbo-Pfandbriefe" und "Jumbo-Anleihen" sind zwei Stichworte, die zeigen, dass es sich um Rentenwerte mit einem Volumen von über eine Milliarde Euro handelt. Es gibt keine zuverlässigen Statistiken über die weltweit emittierten Rentenwerte, aber es ist zu vermuten, dass die seit Jahrzehnten praktizierte Geldschöpfung durch die Notenbanken immer mehr Liquidität freigesetzt hat, die nicht in die Finanzierung von Investitionen strömt, sondern in die Finanzierung von Staatverschuldungen. Darüber noch hinaus produzierte Liquidität sucht nun wiederum nach einer Anlage, und da bieten sich die ja ach so sicheren Rentenwerte an.
Was die Akteure in der Politik und bei den Notenbanken dabei aber vergessen, ist die Tatsache, dass Geld, das künstlich geschaffen - und nicht durch Arbeit, Produktion oder Dienstleistungen erwirtschaftet wird - quasi einen Liquiditätsüberhang produziert, der sich nach langem Marsch durch verschiedene Stationen der Wirtschaft bislang immer in Kosten- und Preissteigerungen niedergeschlagen hat, also in einer inflationären Tendenz. Nach der einfachen Regel: Etwas, was im Überfluss vorhanden ist, das hat keinen großen Wert. Diamanten, Kieselsteine oder Geld werden nach ihrem Vorkommen und dem daraus resultierenden Angebot bewertet. Diese Regel können weder Nobelpreisträger für Ökonomie noch unsere allwissenden Politiker abschaffen. Sie hat die gleiche Lebensberechtigung wie das Gesetz der Schwerkraft.
Nun zur Qualität der Schuldner: Unser eigenes Beispiel in Deutschland soll uns hier als Betrachtungsgegenstand dienen; die Staatsverschuldung steigt trotz aller Versuche, Schulden (die eigentlich Staatschulden wären) durch Ausgrenzung auf neu geschaffene halb-öffentliche oder öffentliche Institutionen zu reduzieren. Ich erinnere an eines der "Unworte" nach der deutschen Wiedervereinigung, nämlich an den "Fonds deutsche Einheit". Für mich als Entwickler und Verwalter von geschlossenen deutschen Immobilienfonds war bis zu diesem Zeitpunkt ein Fond ein Zusammenschluss von Menschen oder die Zusammenfassung von Vermögensteilen, die sich eine einheitliche Verwaltung wählten. Weit gefehlt: Die Politik machte aus diesem Wort mit positivem Vermögenshintergrund eine Schimäre: Der Fonds bestand aus Schulden, die die BRD aus der DDR-Periode übernommen hatte.
Mit der willkürlichen Definition von Verschuldungsgrenzen für Staaten haben die Verantwortlichen einen Rahmen geschaffen, der als Grundlage der Zukunftsberechnungen wegen der damit verbundenen Systematik der Zinseszinskurven auf einen letalen Endzustand zwingend hinweist. Wie sagt einer meiner Partner im "Konstanzer Kreis" so einfach und deutlich: "Adam Riese kann man nicht aus dem Wege gehen..." Die Folge: Immer neue Verschuldung, immer höhere Emissionsvolumen und das bei derzeit niedrigem Anleihezins. Die eine Grundlage für ein Chaos am Kapitalmarkt, nämlich das enorm gestiegene Volumen wäre damit definiert.
Weiter zur Qualität der Schuldner: Eine USA, die ein Budget unter Ausklammerung der Kosten für die Kriegsführung am Hindukusch und zwischen Euphrat und Tigris erstellt, die Einzahlungen der Bürger auf die Sozialversicherung als Budgeteinnahme verbucht, aber keine Rückstellungen für künftige Verpflichtungen aus eben dieser Sozialversicherung macht, ist kein Stück besser als das ENRONManagement. Bitte verurteilen Sie nicht die Politik in den USA; sie ist kein Stück schlechter oder besser als die unsrige. Beispiel gefällig? Ich schrieb darüber schon vor einigen Monaten, als ich die Veröffentlichung im HANDELSBLATT über eine Anleihe einer neu gegründeten deutschen Institution mit einem englischen Titel las, nämlich auf deutsch "Deutscher Postangestellten-Rentenfonds".
Wer mein Essay nicht gelesen hat, hier kurz zur Wiederholung: Als die Post privatisiert wurde, war eine Bilanz nach üblichen Regeln aufzustellen, vorher war die Post ja ein Staatsbetrieb mit abweichenden Bilanzmerkmalen. Jetzt aber mussten die Verbindlichkeiten der Post für ihre Pensionäre passiviert werden. Diese wären bei privatwirtschaftlicher Berechnung (Höhe, Laufzeit, Beihilfen etc.) so hoch gewesen, dass der Bund als Verkäufer mit der Verpflichtung zur Übernahme der Verbindlichkeiten keine Käufer gefunden hätte. Aber: Man brauchte das Geld aus der Privatisierung, um die leeren Kassen zu füllen. Was war die Lösung? Der Bund übernahm die Lasten aus den Pensionen der Postbeamten und der Altersversorgung für die Angestellten und legte den drei Post-Nachfolgern (Post AG, Postbank und Telekom) die Verpflichtung auf, einen Teil der jährlichen Versorgungsleistungen - man schätzt etwa ein Drittel der jährliche Lasten aus deren Überschüssen - an den Bund abzuführen. Kurz gesagt: Für eine begrenzte Sofortliquidität aus der Privatisierung der Postnachfolgeunternehmen übernahm der Bund unübersehbare Lasten für die Zukunft.
Das war aber nicht alles: Als es Herrn Eichel besonders schlecht ging (das war kurz vor seiner Abwahl), fiel ihm eine noch bessere Variante ein, für die sich unsere Kinder und Enkel noch bei ihm bedanken sollten. (Ich finde die Sparkassenwerbung, in der sich der Rentner bei sich selbst für die Fehler bei der Alterversorgung durch einen Tritt bedankt, herrlich. Das sollten wir auch einmal bei den Verantwortlichen aus der Politik tun). Eichel ließ diese englischnamige Gesellschaft gründen, an die die drei Nachfolgeunternehmen der Post ihre künftigen Zahlungsverpflichtungen abzutreten hatten. Diese - mit den Abtretungen ausgestattet - war aber im internationalen Kontext immer noch nicht besonders bonitätsfähig. Nun gab der Bund auch noch eine Garantie ab und siehe da: Die obskure Anleihe (ich meine, so belief sich so an die 5,0 Mrd. €) hatte Qualität AAA und wurde ihm förmlich aus der Hand gerissen.
Was ist wirklich geschehen? Die Schulden vom Bund sind nicht gestiegen, weil Garantien ja nicht zählen. Der Bund zahlt jetzt alle Pensions- und Altersversorgungslasten "from here to the eternity", er erhält keine Zuschüsse der drei Post-Nachfolgeunternehmen mehr und das Geld aus der Anleihe half, die fatale Liquiditätsklemme des Bundes kurzfristig zu überbrücken. Es ist wohl anscheinend wirklich kurz vor Zwölf...
Das stärkste Stück in diesem Tollhause liefern uns unsere französischen Nachbarn. So wie bei uns gibt es dort Fehlbeträge bei der Gesundheitsversorgung. Diese werden jedoch nicht über den Haushalt finanziert, nein, die Franzosen gründeten für die Finanzierung der Deckungslücken eine eigene Organisation, CADES genannt, also eine Agentur (nicht vollstaatlich, daher außerhalb der Verschuldungsgrenzenberechnungen), die sich am Rentenmarkt durch Anleihen Liquidität verschafft für die Deckungslücken. Nachzulesen unter HANDELSBLATT vom 02.03.06 Seite 56 - Titel: "Neuer Bond der französischen CADES gefragt".
Das Ganze erinnert an die US-amerikanischen "Hypothekenagenturen" "Fannie Mae" und "Freddie Mac", die nach der Pleite bei den Sparkassen in den USA als staatliche Agenturen gegründet, die Finanzierung und Verbriefung von Hypothekendarlehen koordinieren. Viele glauben, dass diese staatlich organisierte Agentur eine Staatsdeckung hat. Nein, seit dem Bekanntwerden von großen Bilanzproblemen wiederholt die Regierung der USA den Hinweis, beide Institute seien Agenturen, aber ohne Staatsgarantien. Die Verantwortlichen werden schon wissen, warum sie darauf explizit verweisen, nehme ich an. Unter dem Siegel von staatlichen Organisationen werden Anleiheschuldner geschaffen, für die der Staat den Ruf, aber nicht die Garantien stellt; sie dienen lediglich zur Ausgrenzung von Haftung und Verminderung der Schuldenzurechnung bei den Staaten. Bestehen bei Ihnen noch irgendwelche Fragen zur Qualität dieser Schuldner?
Ich komme zurück auf meine Historie: Als ich Anfang der 60-er Jahre bei der Dresdner Bank das Handwerk des Bankkaufmanns lernen durfte, erklärten mir meine Ausbilder, dass Anleihen zur Langfristfinanzierung von Investitionen für die Gebietskörperschaften aufgenommen werden; ich verstehe darunter Investitionen in Strassen, Gebäude, staatliche Unternehmen, Brücken etc. Heute werden Anleihen zur Deckung von Lücken, zur Kriegsfinanzierung, zur Tilgung früherer Schulden und deren steigender Zinslasten verwendet, aber auch - und das ist aus meiner Sicht schon das Ende der Vorstellungskraft - zur Finanzierung von bereits erfolgtem Konsum, der nach überlieferten Regeln aber nicht mehr finanzierbar wäre.
Nun hat mich schon vor Jahren - es war so in den 80-ern - ein Artikel im Spiegel geschockt, nach dem eine Analyse der Anleihen des Stadtstaats Hamburg schon damals ergeben hatte, dass die Anleihen nicht zur Finanzierung von langfristigen Investitionen, sondern auch zur Finanzierung von Bürogegenständen, Polizeifahrzeugen etc. verwendet wurden. Kurz gesagt: Die angeschafften Güter waren schon längst verbraucht, verschrottet oder untergegangen, die für die Finanzierung aufgenommenen Anleihen liefen aber immer noch durchschnittlich weiter 5 bis 7 Jahre.
Der Schock heute sitzt tiefer: Anleihen haben nur noch einen Sinn, nämlich die Finanzierung von Tilgungen alter Schulden, deren Zinslasten und die Finanzierung von neuen Schulden zur Haushaltssicherung, ein klassisches Schneeballsystem. Damit wäre auch das Thema "Prüfung der sinnvollen Verwendung der aus Anleihen beschafften Mittel" wohl umfassend beschrieben, meine ich.
Zusammenfassung
Die Anleihen sind heute nur noch das Medium der Staaten, sich von Finanzierungslücke zu Finanzierungslücke (die ja durch die diversen Finanzierungslücken auch von Sonderhaushalten entstehen) durchzuhangeln; meine US-Partner nennen dies "muddle through", also "Durchwurschteln". Die Qualität der Schuldner nimmt im gleichen Masse ab, wie das Volumen der Anleihen zunimmt. Das Ganze erscheint mir wie ein riesiges Pyramidenspiel, (da es ja von der Politik kommt, ist es ja legitim), das dann sein Ende finden wird, wenn die letzte noch nicht diskutierte Komponente eintreten wird: Die Zinssteigerung wegen der gestiegenen Inflation. Nachdem sich die Staaten und die Unternehmen immer mehr kurzfristig finanzieren (die Zinssätze waren ja dank der heldenhaften Leistung des Herrn Greenspan so niedrig und lagen weitaus unter der realen Inflation), fehlt nur noch der Funke, der dieses gefährliche Gebräu entzündet.
Meine Meinung dazu: Wenn sich die zwei Glieder der Multiplikation nach oben verändern, dann steigt das Produkt in fast quadratischer Funktion. Ein Rechenbeispiel: Bei Schulden von 100 € - kurzfristiger Mischzinssatz = 4,25% ergibt sich eine Zinslast von 4,25 € - Bei Schulden von 150 € - kurzfristiger Mischzinssatz = 6,375% (das ist das langjährige Mittel und kein Extremwert) steigt die Zinslast auf 9,56 €. und löst damit einen Zinslastanstieg pro Jahr von 125% aus. Wenn also Schulden und Zinssätze um jeweils 50% steigen, dann erhöhen sich die Zinslasten um 125%. Denken Sie darüber nach, solange Sie noch vor einem Zinsanstieg am Rentenmarkt handeln können; die Inflation ist selbst durch Rechenkunststücke wie in den USA (hedonische Klauseln etc.) nicht mehr wegzureden. Handeln Sie bald…
© Dietmar Siebholz
NS: Vielleicht verstehen Sie nun, warum die US-Notenbank (FED) die bisher veröffentlichten monatlichen Daten über die M3-Werte (damit wird der Umfang aller liquiden Mittel, die in einer Volkswirtschaft wirken, erfasst) ab Ende März 2006 einstellen wird: Vielleicht will die FED diese Erkenntnisse über den wirklichen Stand der neu geschaffenen Liquidität im Hinblick auf die Staatsverschuldung und die Überversorgung der Finanzmärkte verhindern? Ich bin sicher, dass dies das alleinige Motiv ist, diese Information künftig zu unterdrücken.
Übrigens: Die aktuelle Zahl der M3-Werte: Mein US-Partner Dr. McHugh schreibt dazu: "The answer lies in the monetary inflation. M3 was reported by the FED to be up an unbelievable 54,1 $ billion (das sind deutsche Milliarden) in the latest reporting week, which annualizes to a 27,4% rate of growth". Wenn ein Notenbank-System in einer Woche zusätzlich neue Liquidität von 54 Mrd. US$ in Umlauf bringt, dann sollte man sich darüber wohl Gedanken machen.