Maastricht und der Euro: "Versailler Vertrag ohne Krieg"
01.03.2015 | Manfred Gburek
Der Euro in seiner jetzigen Form ist ein gescheitertes Experiment, so viel wissen wir. Alternativen? Schwer vorherzusagen, deshalb die vielen schon seit Jahren geführten Diskussionen über einen Nord-, Süd- und Kern-Euro, über den Austritt Deutschlands aus der Eurozone allein oder zusammen mit vermeintlich anderen starken Ländern, wie Benelux und Finnland, zuletzt angefacht durch Vorschläge, wie man den Grexit vermeidet, ohne dass uns der ganze Euro um die Ohren fliegt.
Jede Währung braucht Vertrauen, aber das lässt sich nicht immer so einfach anhand einer Skala messen. Noch ist es vorhanden, sonst gäbe es den Euro nicht mehr. Aber genaugenommen konzentriert sich dieses Vertrauen auf den Euro als Tauschmittel und Recheneinheit, nicht dagegen auf den Euro als Mittel zur Wertaufbewahrung - kein Wunder in Anbetracht der niedrigen Zinsen und der Schau, die Griechenlands Regierung gerade abzieht.
Das Euro-Experiment basiert auf einem Traum, der Zeit braucht, um irgendwann so in Erfüllung zu gehen, wie es sich seine Konstrukteure vorgestellt haben. Der Inhalt des Traums besteht aus einer Gemeinschaft von souveränen Ländern, die lieb zueinander sind, unabhängig von verschiedenen Sprachen und Kulturen das gemeinsame Ideal Europa im Sinn haben und jeweils über ein Wohlstandsniveau ohne allzu große Unterschiede verfügen.
Da das Erreichen des Wohlstands in dem einen oder anderen Land noch viel Zeit braucht, nimmt man eine gewisse Warteperiode in Kauf. Nur lässt die sich leider ebenso wenig festlegen wie das dazu erforderliche Maßnahmenpaket, üblicherweise mit dem schwammigen Begriff Strukturreformen umschrieben.
Der ursprüngliche Traum ist längst geplatzt; er ist einfach an der Realität gescheitert. Das hat mehrere Ursachen, beginnend bei Politikern, die bar ökonomischer Kenntnisse über die Ökonomie bestimmen, bis zur ätzenden Brüsseler Bürokratie mit ihrer Überregulierung und bis zu den riesigen Schuldenbergen, die sich die Euroländer am liebsten gegenseitig zuschieben möchten. Einen neuen Traum gibt es nicht. Wenn schon das kleine Griechenland halb Europa zum Narren halten kann, mag man sich nicht ausmalen, was geschähe, falls auf einmal Frankreich oder Italien einen Anti-Euro-Kurs einschlagen würden.
Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl, in dessen Amtszeit die Gemeinschaftswährung eingeführt wurde, hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er den Euro in erster Linie als politische und weniger als ökonomische Größe betrachtet. Das geht aus dem folgenden Satz in seinen Memoiren besonders deutlich hervor: „Die Sehnsucht nach Frieden und Freiheit hat mein Denken und Handeln und damit auch meinen unbedingten Einsatz für Europa als Friedensprojekt zeit meines Lebens ganz wesentlich bestimmt.“
Ob der Euro am Ende ein Friedensobjekt sein wird, das mögen Historiker in Jahrzehnten entscheiden. Heute ist er eine durch den Maastricht-Vertrag vom 7. Februar 1992 konzipierte und in zwei Schüben am 1. Januar 1999 und 1. Januar 2002 eingeführte Währung. Der Vertrag quoll über vor Details, die kaum jemand verstand. Auch seine Autoren hatten mit ihm ihre liebe Mühe und Not. In der Fassung als Entwurf umfasste er 45 Basisseiten, was auf den ersten Blick harmlos erscheinen mag. Doch ihm zugeordnet waren 17 Protokolle, 33 Erklärungen und weitere Anhängsel, sodass der Umfang sich alles in allem auf 115 Seiten erhöhte.
Später urteilte der Währungs- und Edelmetallexperte Bruno Bandulet über den Maastricht-Vertrag wie folgt: "In der Tat sind die Beschlüsse von Maastricht derart verworren und kompliziert, dass man - nach Meinung des britischen Wirtschaftsmagazins "Economist" - Masochist sein muss, um den Text von A bis Z zu lesen. Ganz gelesen hat ihn wohl keiner der in Maastricht versammelten Staatsmänner, sonst wäre ihnen aufgefallen, dass sich einige Artikel widersprachen. Der Text wurde später in aller Heimlichkeit bereinigt und am 7. Februar 1992 offiziell unterzeichnet."
Bleibt noch hinzuzufügen, dass Bandulet auch die französische Zeitung "Le Figaro" zitierte, und zwar mit einem Satz, den man sich gerade jetzt wieder ganz bewusst einprägen sollte: "Maastricht, das ist der Versailler Vertrag ohne Krieg." Dieser Knebelvertrag aus dem Jahr 1919, der dem Deutschen Reich unbezahlbare Reparationszahlungen auferlegte, war bekanntlich Ausgangspunkt für die danach folgende Hyperinflation. Diese deutete sich bereits ein Jahr nach der Vertragsunterzeichnung an, als der Geldumlauf 1920 um nicht weniger als 60 Prozent stieg.
Es erscheint nicht opportun, weitere Parallelen zur Zeit vor der deutschen Hyperinflation zu ziehen, dafür unterscheidet sich das heutige Umfeld vom damaligen doch zu sehr. Aber ist es, durch die ökonomische Brille betrachtet, wirklich viel besser? Zweifel kommen auf, und das nicht allein wegen der aufmüpfigen Griechen. Zum Beispiel sind die derzeitigen Schuldenberge in der Eurozone so unübersichtlich, dass niemand ihr wahres Ausmaß wirklich kennt. Das geht allein schon daraus hervor, dass wir täglich mit neuen Milliarden und zunehmend auch Billionen konfrontiert werden.
Eine der Ursachen lässt sich bis 1998 zurückverfolgen, also ins Jahr vor der ersten Staffel der Euro-Einführung. Damals fürchteten doch tatsächlich viele Politiker, für den Euro könnten sich zu wenige Länder erwärmen und das ganze Projekt müsste abgebrochen werden. So weit kam es dann bekanntlich nicht, im Gegenteil, der Euro startete schon Anfang 1999 in elf Ländern - womit das Chaos begann, denn einige von ihnen führten die neue Währung unvorbereitet ein. Dass die Griechen sich ihnen am 1. Januar 2001 anschlossen, war denn auch kaum noch verwunderlich.
Sie nutzten die neue Währung aus dem Stand, indem sie Schulden in bis dahin unvorstellbarem Umfang machten. Zeitweise rentierten ihre Anleihen sogar auf dem Niveau deutscher Bundesanleihen. Erst später stellte sich heraus, dass die Griechen nicht einmal über ein Kataster zu ihren Liegenschaften verfügten und dass sie Agrarflächen zwecks höherer Subventionen mit dem Dreifachen ihrer wahren Größe angegeben hatten. Die Liste weiterer Schummeleien ist zu umfangreich, als dass sie hier wiedergegeben werden könnte.
Heute schiebt in der Eurozone einer die Schuld auf den anderen. Der Fall Griechenland deckt auf, wie anfällig der Euro wirklich ist. Als Traum wird er mit der Realität konfrontiert, und aus ist der Traum. Als großes, in seiner jetzigen Form gescheitertes Experiment wird er uns zunächst so lange weiter begleiten, bis er eine andere Form annimmt. Welche, wird sich wahrscheinlich schon in den kommenden Monaten andeuten.
Den Termin 30. Juni sollten Sie sich vormerken. Dann sind die anderen Euroländer angeblich mit ihrer Geduld am Ende. Ganz sicher ist das allerdings nicht. Rechnen Sie vorsorglich mit Unruhen nicht nur auf den Straßen in Athen, sondern auch an der Börse. Und halten Sie an Ihren Gold- und Silberbeständen fest, denn sie werden Sie vor allzu viel Unbill schützen.
© Manfred Gburek
www.gburek.eu
Herr Gburek ist Fachjournalist und Buchautor. Seine letzten Werke waren: Außer diversen Börsenbüchern schrieb er: "Das Goldbuch", das Wörterbuch "Geld und Gold klipp und klar von A bis Z", "Die 382 dümmsten Sprüche der Banker" und zuletzt das Ebook "Ach du liebes Geld!".
Jede Währung braucht Vertrauen, aber das lässt sich nicht immer so einfach anhand einer Skala messen. Noch ist es vorhanden, sonst gäbe es den Euro nicht mehr. Aber genaugenommen konzentriert sich dieses Vertrauen auf den Euro als Tauschmittel und Recheneinheit, nicht dagegen auf den Euro als Mittel zur Wertaufbewahrung - kein Wunder in Anbetracht der niedrigen Zinsen und der Schau, die Griechenlands Regierung gerade abzieht.
Das Euro-Experiment basiert auf einem Traum, der Zeit braucht, um irgendwann so in Erfüllung zu gehen, wie es sich seine Konstrukteure vorgestellt haben. Der Inhalt des Traums besteht aus einer Gemeinschaft von souveränen Ländern, die lieb zueinander sind, unabhängig von verschiedenen Sprachen und Kulturen das gemeinsame Ideal Europa im Sinn haben und jeweils über ein Wohlstandsniveau ohne allzu große Unterschiede verfügen.
Da das Erreichen des Wohlstands in dem einen oder anderen Land noch viel Zeit braucht, nimmt man eine gewisse Warteperiode in Kauf. Nur lässt die sich leider ebenso wenig festlegen wie das dazu erforderliche Maßnahmenpaket, üblicherweise mit dem schwammigen Begriff Strukturreformen umschrieben.
Der ursprüngliche Traum ist längst geplatzt; er ist einfach an der Realität gescheitert. Das hat mehrere Ursachen, beginnend bei Politikern, die bar ökonomischer Kenntnisse über die Ökonomie bestimmen, bis zur ätzenden Brüsseler Bürokratie mit ihrer Überregulierung und bis zu den riesigen Schuldenbergen, die sich die Euroländer am liebsten gegenseitig zuschieben möchten. Einen neuen Traum gibt es nicht. Wenn schon das kleine Griechenland halb Europa zum Narren halten kann, mag man sich nicht ausmalen, was geschähe, falls auf einmal Frankreich oder Italien einen Anti-Euro-Kurs einschlagen würden.
Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl, in dessen Amtszeit die Gemeinschaftswährung eingeführt wurde, hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er den Euro in erster Linie als politische und weniger als ökonomische Größe betrachtet. Das geht aus dem folgenden Satz in seinen Memoiren besonders deutlich hervor: „Die Sehnsucht nach Frieden und Freiheit hat mein Denken und Handeln und damit auch meinen unbedingten Einsatz für Europa als Friedensprojekt zeit meines Lebens ganz wesentlich bestimmt.“
Ob der Euro am Ende ein Friedensobjekt sein wird, das mögen Historiker in Jahrzehnten entscheiden. Heute ist er eine durch den Maastricht-Vertrag vom 7. Februar 1992 konzipierte und in zwei Schüben am 1. Januar 1999 und 1. Januar 2002 eingeführte Währung. Der Vertrag quoll über vor Details, die kaum jemand verstand. Auch seine Autoren hatten mit ihm ihre liebe Mühe und Not. In der Fassung als Entwurf umfasste er 45 Basisseiten, was auf den ersten Blick harmlos erscheinen mag. Doch ihm zugeordnet waren 17 Protokolle, 33 Erklärungen und weitere Anhängsel, sodass der Umfang sich alles in allem auf 115 Seiten erhöhte.
Später urteilte der Währungs- und Edelmetallexperte Bruno Bandulet über den Maastricht-Vertrag wie folgt: "In der Tat sind die Beschlüsse von Maastricht derart verworren und kompliziert, dass man - nach Meinung des britischen Wirtschaftsmagazins "Economist" - Masochist sein muss, um den Text von A bis Z zu lesen. Ganz gelesen hat ihn wohl keiner der in Maastricht versammelten Staatsmänner, sonst wäre ihnen aufgefallen, dass sich einige Artikel widersprachen. Der Text wurde später in aller Heimlichkeit bereinigt und am 7. Februar 1992 offiziell unterzeichnet."
Bleibt noch hinzuzufügen, dass Bandulet auch die französische Zeitung "Le Figaro" zitierte, und zwar mit einem Satz, den man sich gerade jetzt wieder ganz bewusst einprägen sollte: "Maastricht, das ist der Versailler Vertrag ohne Krieg." Dieser Knebelvertrag aus dem Jahr 1919, der dem Deutschen Reich unbezahlbare Reparationszahlungen auferlegte, war bekanntlich Ausgangspunkt für die danach folgende Hyperinflation. Diese deutete sich bereits ein Jahr nach der Vertragsunterzeichnung an, als der Geldumlauf 1920 um nicht weniger als 60 Prozent stieg.
Es erscheint nicht opportun, weitere Parallelen zur Zeit vor der deutschen Hyperinflation zu ziehen, dafür unterscheidet sich das heutige Umfeld vom damaligen doch zu sehr. Aber ist es, durch die ökonomische Brille betrachtet, wirklich viel besser? Zweifel kommen auf, und das nicht allein wegen der aufmüpfigen Griechen. Zum Beispiel sind die derzeitigen Schuldenberge in der Eurozone so unübersichtlich, dass niemand ihr wahres Ausmaß wirklich kennt. Das geht allein schon daraus hervor, dass wir täglich mit neuen Milliarden und zunehmend auch Billionen konfrontiert werden.
Eine der Ursachen lässt sich bis 1998 zurückverfolgen, also ins Jahr vor der ersten Staffel der Euro-Einführung. Damals fürchteten doch tatsächlich viele Politiker, für den Euro könnten sich zu wenige Länder erwärmen und das ganze Projekt müsste abgebrochen werden. So weit kam es dann bekanntlich nicht, im Gegenteil, der Euro startete schon Anfang 1999 in elf Ländern - womit das Chaos begann, denn einige von ihnen führten die neue Währung unvorbereitet ein. Dass die Griechen sich ihnen am 1. Januar 2001 anschlossen, war denn auch kaum noch verwunderlich.
Sie nutzten die neue Währung aus dem Stand, indem sie Schulden in bis dahin unvorstellbarem Umfang machten. Zeitweise rentierten ihre Anleihen sogar auf dem Niveau deutscher Bundesanleihen. Erst später stellte sich heraus, dass die Griechen nicht einmal über ein Kataster zu ihren Liegenschaften verfügten und dass sie Agrarflächen zwecks höherer Subventionen mit dem Dreifachen ihrer wahren Größe angegeben hatten. Die Liste weiterer Schummeleien ist zu umfangreich, als dass sie hier wiedergegeben werden könnte.
Heute schiebt in der Eurozone einer die Schuld auf den anderen. Der Fall Griechenland deckt auf, wie anfällig der Euro wirklich ist. Als Traum wird er mit der Realität konfrontiert, und aus ist der Traum. Als großes, in seiner jetzigen Form gescheitertes Experiment wird er uns zunächst so lange weiter begleiten, bis er eine andere Form annimmt. Welche, wird sich wahrscheinlich schon in den kommenden Monaten andeuten.
Den Termin 30. Juni sollten Sie sich vormerken. Dann sind die anderen Euroländer angeblich mit ihrer Geduld am Ende. Ganz sicher ist das allerdings nicht. Rechnen Sie vorsorglich mit Unruhen nicht nur auf den Straßen in Athen, sondern auch an der Börse. Und halten Sie an Ihren Gold- und Silberbeständen fest, denn sie werden Sie vor allzu viel Unbill schützen.
© Manfred Gburek
www.gburek.eu
Herr Gburek ist Fachjournalist und Buchautor. Seine letzten Werke waren: Außer diversen Börsenbüchern schrieb er: "Das Goldbuch", das Wörterbuch "Geld und Gold klipp und klar von A bis Z", "Die 382 dümmsten Sprüche der Banker" und zuletzt das Ebook "Ach du liebes Geld!".