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Der Fluch der niedrigen Niedrig- und Negativzinsen

05.04.2015  |  Manfred Gburek
Vor einigen Tagen haben mich vier Zinsstrukturen im Börsendienst wellenreiter-invest.de fasziniert. Demzufolge beginnen sich deutsche und dänische Staatsanleihen erst nach acht Jahren Laufzeit zu rentieren. Was zuvor kommt, heißt im Volksmund ein wenig irreführend negative Rendite. Schweizer Staatsanleihen rentieren sogar erst nach 15 Jahren. Dagegen tanzen die entsprechenden amerikanischen Renditen aus der Reihe: Bereits vom dritten Monat an sind sie positiv.

Was mich daran so fasziniert, ist nicht allein die Tatsache als solche, sondern auch, mit welcher Gelassenheit sie in der breiten Öffentlichkeit, selbst unter Anlageprofis, wahrgenommen wird. Nach dem Motto: Niedrige Zinsen heizen die Konjunktur an. Oder auch: Die Dividendenrenditen der im Dax vertretenen Konzerne liegen trotz des starken Kursanstiegs über 2 Prozent. Wobei hinzuzufügen wäre: Fiele der Dax, könnten sie rechnerisch je nach Falltiefe auf 3 oder sogar 4 Prozent steigen. Nur entstünde dann unter dem Strich ein dicker Verlust, der nicht mal eben durch Dividenden auszugleichen wäre, die in der Regel bekanntlich nur ein Mal jährlich ausgeschüttet werden wie in der jetzigen Dividendensaison.

Wellenreiter-Herausgeber Robert Rethfeld geht in seinen Überlegungen noch weiter: Die niedrigen Zinsen bzw. Renditen "dürften mit steigenden Reallöhnen und einer sich abzeichnenden deutlichen Konjunkturerholung dafür sorgen, dass sich die Inflationsraten in den kommenden Monaten aus dem Minusbereich herausbewegen. Wir nehmen an, dass sie sich gegen Jahresende hin normalisieren, das heißt, in Richtung 2 Prozent laufen."

Ich wage mir kaum vorzustellen, wie tief dann die Kurse langlaufender Staatsanleihen fallen könnten. Für deren Besitzer wäre es ein Desaster. Aber es gibt ja inflationsgeschützte Bundesanleihen, deren Kurse in diesem Fall kräftig steigen würden. Auf zwei von ihnen, die ich auch schon anderweitig empfohlen habe, möchte ich Sie besonders hinweisen: die mit den Wertpapier-Kennnummern 103052 (Laufzeit bis 2020) und 103054 (Laufzeit bis 2023). So spannend können Zinsen sein.

Noch spannender wird es, wenn man weitere Konsequenzen in Betracht zieht. Zum Beispiel drängt sich die Frage auf, warum das große Geld nicht noch mehr über den Atlantik fließt, weil die Staatsanleihen dort viel höher rentieren als in Deutschland und die Renditen schon bei kurzen Laufzeiten im Plus liegen. Zumal viele Auguren davon ausgehen, dass der Dollar gegenüber dem Euro noch weiter steigen werde.

Aber da kommt ein zu Unrecht vernachlässigtes Argument ins Spiel: Anders als deutsche Konzerne ziehen die amerikanischen nur vereinzelt Konsequenzen aus der durch den steigenden Dollar bedingten abnehmenden Wettbewerbsfähigkeit. Das heißt, sie rationalisieren zu wenig. Stattdessen werden sie bei ihrer Zentralbank Fed und bei der Regierung vorstellig, um beide zu bitten, etwas gegen den hohen Dollarkurs zu unternehmen. Das funktioniert dann auch fast immer. Insofern habe ich Verständnis für alle Anleger, die jetzt nicht massiv in den Dollar einsteigen.

Sieht man von fremden Währungen und den mit ihnen erzielbaren höheren Renditen ab, bleiben grundsätzlich zwei Möglichkeiten übrig, Geld rentierlicher anzulegen: Laufzeiten verlängern und geringere Anleihenbonität in Kauf nehmen. Im ersten Fall drohen, wie beschrieben, bei einem Zinsanstieg hohe Verlust. Im zweiten Fall könnten sie sogar noch höher ausfallen, vor allem dann, wenn die Bonität durch Ratingagenturen herabgestuft würde. Wie leicht einzusehen ist, handelt es sich allemal um faule Kompromisse.

Angenommen, die europäische Konjunktur mit Deutschland als Lokomotive beginnt zu brummen. Dann bestünde die erste Konsequenz darin, dass Franzosen, Italiener, Griechen so wie so, aber möglicherweise auch die bisher diszipliniert aufgetretenen Iren, Spanier und Portugiesen zum alten Schlendrian zurückkehren würden. Wetten dass?

Diese Konsequenz dürfte von einer anderen begleitet werden: Zinsanstieg und damit unweigerlich verbunden Rückgang der Anleihenkurse - je länger die Laufzeit, desto dramatischer: bei einem Zinsanstieg um nur 1 Prozent nahezu 5 Prozent Verlust für Anleihen mit fünf Jahren Laufzeit, über 8 Prozent Verlust für Anleihen mit zehn Jahren Laufzeit und mehr als 22 Prozent Verlust für Anleihen mit 30 Jahren Laufzeit. Ich hoffe, Sie mit diesen Zahlen nicht zu verwirren. Wichtig erscheint mir, Sie für dieses Thema zu sensibilisieren, und dazu sind Zahlen nun mal nützlich.

Bis hierher habe ich erst die direkte Geldanlage in Anleihen abgehandelt. Es gibt indes auch verschiedene indirekte Varianten, von denen die kapitalgedeckten Versicherungen, deren Erträge den Anlegern einmalig oder als Rente zugute kommen, den Löwenanteil ausmachen. Der entscheidende Unterschied zwischen direkten und indirekten: Im ersten Fall können Sie sich quasi auf Knopfdruck von Ihren Anleihen trennen; dagegen befinden sich Ihre Anleihen im zweiten Fall für Sie verborgen im Portfolio eines Versicherers, sodass Sie sie nicht mal eben verkaufen können. Und falls Sie gleich den ganzen Versicherungsvertrag kündigen, verlieren Sie viel Geld.

Die schlimmste Phase für Inhaber kapitalgedeckter Versicherungen wird kommen, wenn das Zinsniveau weiterhin niedrig bleiben sollte. Dann müssten Versicherer die nach und nach auslaufenden Hochprozenter unter den Anleihen durch Niedrigprozenter ersetzen. Die Folge: weniger Geld für Anleger, Altersvorsorge in Gefahr, zusätzliches Sparen nötig. Nicht auszudenken, falls auch noch der eine oder andere Versicherer zu wackeln beginnen sollte: im schlimmsten Fall Stopp der Auszahlungen.

Man mag es drehen und wenden, wie man will, sowohl hohe als auch niedrige Zinsen können gefährlich werden. Und das ist noch nicht alles, denn berufsständische Versorgungswerke, Pensionskassen und ähnliche Einrichtungen werden ebenso betroffen sein wie die Versicherer. Darüber hinaus gibt es beachtliche Volumina in Betriebsrenten, die von den Unternehmen zu stemmen sind, was wiederum zu Konflikten zwischen den Ansprüchen der Angestellten und der Aktionäre führen wird. Für Spannung ist also gesorgt.

Es grenzt an ein Wunder, dass die Börsianer angesichts der hier aufgezeigten Probleme immer wieder zur Tagesordnung übergehen, indem sie die Aktienkurse weiter hochtreiben. Das ist ein typisches Massenphänomen: Bloß nicht aus der Bullenherde ausscheren, denn dadurch könnte ja Performance verloren gehen, falls die Kurse weiter steigen.

Mir sagen inzwischen sogar im Aktiengeschäft erfolgreiche Profis, dass sie das alles immer weniger verstehen - aber dass sie wegen der Performance dabei sein müssen. Ich selbst bin seit längerer Zeit mit kleinem Einsatz dabei. Aber ehrlich gesagt, mit meinem Tagesgeld, das weniger als 1 Prozent Zinsen abwirft, und mit meinen Edelmetallanlagen fühle ich mich wohler. Einfach so, antizyklisch. Dazu gehört allerdings viel Geduld.


© Manfred Gburek
www.gburek.eu

Herr Gburek ist Fachjournalist und Buchautor. Seine letzten Werke waren: Außer diversen Börsenbüchern schrieb er: "Das Goldbuch", das Wörterbuch "Geld und Gold klipp und klar von A bis Z", "Die 382 dümmsten Sprüche der Banker" und zuletzt das Ebook "Ach du liebes Geld!".



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