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"Carry Trades" und ihren Folgen

24.03.2006  |  Dr. Dietmar Siebholz
Immer wieder erscheint dieses obskure Wort "Carry Trade(s)" in der Presse, aber offenbar hat sich noch niemand so richtig Gedanken über deren Entstehen, aber sicherlich noch nicht über deren Auswirkungen gemacht. Angesichts des Umfanges dieser scheinbar so ertragreichen Geschäfte ist es an der Zeit, hier ein wenig Licht in das Dunkel zu bringen.

Ein wenig zur Vorgeschichte: Früher, als die Banken noch Einlagen entgegennahmen, Kredite ausreichten und als Außenhandelspartner und Depotbanken zur Verfügung standen, war die Finanzwelt noch einfach zu verstehen. In den 90-er Jahren aber schossen die Novitäten in der Finanzindustrie wie Pilze aus dem Boden, man kürte neue Kreationen wie Zertifikate, Derivate, Sekurisationen etc. Das Banken- und insbesondere das Investment-Bank-Profil wurde umfassender, aber auch risikoreicher. Spötter wie z.B. "der Siebholz" behaupten, die Banken hätten als Konkurrent der staatlichen Spiel- und Wettmonopole sich ein eigenes neues Spielfeld aufgebaut. Das ist natürlich überzogen, denn alle diese neuen Kunst-Finanzformen haben ja ihren Sinn, auch wenn der in der Mehrzahl der Geschäfte wohl darin besteht, der Finanzindustrie außerordentlich hohe zusätzliche Einnahmen zu verschaffen und das bisher gepflegte umständliche und margenarme Geschäft bald zu meiden.

Eine Folge dieser Ausweitung der Finanzindustrie waren steigende Erlöse; im Wettkampf der Finanzgiganten mussten - um diese Ertragsströme gegen die große Konkurrenz verteidigen zu können - immer neue Ideen geboren werden. Das zur Vorgeschichte der "Carry Trades".


Zurück zur alten Volkswirtschaftslehre. Dort wird kurz gefasst ein erfolgreiches Finanzgeschäft mit folgenden Fakten beschrieben:

Kongruenz (= Übereinstimmung) der Termine - Kongruenz der Basiswährung - Kongruenz des Vollzugs - Kongruenz des Vertragsmediums für Käufer und Verkäufer

Ein Geschäft, das auf den oben genannten Grundlagen zustande kommt, ist für Käufer und Verkäufer als abgeschlossen zu betrachten, seine Erlöse können in die Buchhaltungen der Vertragspartner ohne weitere Bedingungen übernommen werden. Diese Erlöse sind real erwirtschaftet und daher wirklich.

Beispiel: Ich verkaufte am 24.02.2006 1000 Siemens-Aktien an der Börse oder ein anderes Beispiel: Ich verkaufe per Stichtag 01.04.2006 auf US$-Basis einen Kontrakt Kupfer an der COMEX in NEW YORK. Den Ertrag meines Aktien- aber auch des Terminverkaufs kann ich als gesichert ansehen, alle Daten sind kongruent.

Carry Trades sind jedoch Geschäfte, die komplexer auf verschiedenen Ebenen und noch dazu nebeneinander ablaufen und zu deren festen Ergebnis es erst dann kommen kann, wenn alle damit verbundenen Nebengeschäfte auch abgeschlossen und abgewickelt sind.


Einige Beispiele: Der "Gold-Carry-Trade"

Beginnend in den Jahren ab 1995 waren die Notenbanken bereit, Gold an mit guter Bonität ausgestattete Investment- oder Großbanken zu niedrigsten Zinssätzen zu verleihen. Die Notenbanken hatten ein neues Ertragsfeld für ihre still liegenden Goldbestände entdeckt; die Zinserträge waren für sie relativ hoch, weil die niedrigen Zinsen (so an die 1%) auf den Verkehrswert des Goldes bezahlt wurden, aber bezogen auf den in den Büchern der Notenbanken erscheinenden Buchwert z.B. von 42,22 US$ pro Unze optisch sehr hoch waren und sie natürlich keine Angst vor den Risiken der leihenden Banken haben mussten. Diese verkauften das Gold, legten die Erlöse in soliden Finanztiteln (z.B. USTreasury-Bonds mit damals 5-6% Zins) an und strichen so satte Zinsdifferenzgewinne ein. Man beachte die Zinsmarge von 400% gegenüber dem Schuldzins! Wie oben bereits dargelegt, blieb bei diesem Geschäft eine Position offen, nämlich die Rückzahlungsverpflichtung für die geborgten Goldbestände gegenüber den Notenbanken. Die Kontrakte waren so in sich nicht kongruent.

Einige Institute haben schon die Erfahrung mit dem dabei entstehenden Risiko machen dürfen, so die Portugiesische Notenbank, die einige Tonnen ihres verborgten Goldes nicht mehr zurückbekam, weil der Schuldner in Bankrott fiel. So der Long Term Capital Management Hedgefonds, der geschätzte 300 Tonnen Gold schuldig blieb. Es ist heute noch ein großes Geheimnis, wie viele Tonnen verliehenen Goldes aus diesem "Gold-Carry-Trade" noch nicht zurückgezahlt sind.

Nur der Vollständigkeit halber weise ich darauf hin, dass es auch einen Silber-Carry-Trade - allerdings in weit geringerem Umfange als beim Gold gab.


Ein weiteres Beispiel: Der "Bond-Carry-Trade"

Der Rentenmarkt gilt als sicher. Hier langfristig sichere Erträge zu erzielen, ist ein Zeichen von Solidität, sozusagen, die Mündelsicherheit in Person. Natürlich ist das Handeln oder Halten von Anleihen, Bonds, kurz gesagt von Rentenpapieren aller Art nicht mit hohen Margen und Erträgen verbunden, also für Investment-Banken mit hohen Ertragsvorstellungen ungeeignet.

So versuchten sich viele Institute an der Lösung des alten Bankiersproblems "Wie kann ich aus billigen kurzfristigen Mitteln teure langfristige Anlagen oder Kredite kreieren?" Denn durch eine geniale Lösung dieses Bankiersproblems könnten ebenfalls hohe Zinsmargen erzielt werden. Eine private Anmerkung: Mein Großvater war auch Banker, und zwar bei der Darmstädter-Nationalbank (kurz DANAT-Bank genannt); diese Bank - es war zu ihrer Zeit die zweitgrößte deutsche Bank - hatte es geschafft, über Sonderkonstruktionen kurzfristige Mittel in langfristige Kredite umzuwandeln. Als eine der Voraussetzungen für diese genialen Geschäfte verfiel, brach die Bank zusammen mit der Folge, dass mein Vater als 18-Jähriger auf der Strasse stand, denn mein Großvater konnte seine Familie nicht mehr ernähren.

Heute funktioniert das Wundermittel für die Finanzindustrie anders; man kreiert den "Bond-Carry-Trade", indem man zu Zeiten der lächerlich niedrigen US-Tages- oder Monatszinsen Gelder von der Notenbank aufnahm, dafür Staatsanleihen aufkaufte und das vermeintlich geringe Risiko der Nichtkongruenz der Laufzeiten beider Finanzierungen über Derivate absicherte. Der Bonds-Carry-Trade stellte nun eine ertragsstarke Lösung des Bankproblems der nicht kongruenten Laufzeiten der Finanzmittel und der Anlagezeiträume dar. Das Risiko der Nichtkongruenz wurde und wird ja von den Derivaten "abgehedged" - also abgesichert.

Die Frage ist nur, ob die Kette der Vertragspartner - nämlich Derivatverkäufer/Investment-Bank des Verkäufers/Investment-Bank des Käufers/Derivatkäufer - auf die gesamte Laufzeit des Derivates ungebrochen bleibt, also die Bonität jedes der vier Beteiligten (manchmal sind es nur drei oder wesentlich mehr Partner) auf die Laufzeit des Derivates unverändert erhalten bleibt. Als Immobilien-Fondsverwalter mit einer nahezu dreißigjährigen Erfahrung kann ich sagen, dass ein Großteil meiner Partner schon nach weniger als fünf Jahren eine total geänderte Ausrichtung und völlige neue Bonitätsmerkmale (in der Regel: schlechtere) aufwies.

Die seit Jahren als sicher verbuchten Erträge aus dem Bond-Carry-Trade sollten bei richtigem Verständnis der Risiken erst bei Erfüllung aller Kontrakte, insbesondere der langfristigen Zinsderivate als verdient betrachtet werden. Die ständig steigenden Umfänge bei Zinsderivaten lassen mich vermuten, dass dieses Geschäftsfeld ständig erweitert oder die Erfüllung alter Kontrakte durch die Ausgabe neuer Derivate verzögert wird, d.h. die Stunde der Wahrheit wird nach hinten verschoben.

Ich kann mich irren, aber irgendwie erinnert mich dies an den Untergang des Bankhauses Iwan D. Herstatt in Köln; dort wuchsen die Derivate (damals die riesigen Engagements in dem abstürzenden Dollar) ins Bodenlose. Man freute sich anfangs über die großen Devisenhandelsgewinne, bis dann der Tag der Abrechnung kam...


Ein weiteres Beispiel: Der "Yen-Carry-Trade"

Die japanische Notenbank versuchte seit Beginn der Neunziger-Jahre, mit nahezu auf Null reduzierten langfristzinsen die Wirtschaft mit so viel Liquidität zu versorgen, dass die stark deflatorischen Tendenzen kompensiert werden konnten. Sicherlich fragte sich mancher der japanischen Notenbankiers, warum dieses bis dahin so untrügliche Konzept in Japan keine Früchte trug? Heute wissen wir, der "YEN-Carry-Trade" war hauptsächlich daran schuld. Warum? Durch die Internationalisierung der Finanzmärkte nahmen mehr und mehr Schuldner billige Kredite in Yen auf. In Deutschland wurden mit diesen Mitteln mit nahezu Nullzinsen umfangreiche Immobilien finanziert; man borgte sich in YEN die Mittel und verbaute sie im Euro-Gebiet. Nur ein relativ geringer Teil dieser umfangreichen Kredite floß in die japanische Wirtschaft zu dem eigentlichen Zwecke der Industriestimulation.

Ein großer Anteil dieser billigen YEN-Kredite wird heute immer noch in Anspruch genommen.

Aber, wie oben dargelegt: Abgerechnet wird erst nach Abschluss aller Vertragsbestandteile. Die Zins- und Währungsrisiken der nicht kongruenten Darlehensfinanzierungen sind kaum in allen Fällen durch (recht kostenaufwändige Zins-) Derivate abgesichert und wenn, dann sind Risiken aus den Derivaten für die Vertragsparteien erst dann ausgeschlossen, wenn alle relevanten Verträge erfüllt sind. Ob dies bei den Derivaten, die der erzkonservative und erfolgreiche US-Investor Warren Buffet als "Massenvernichtungsmittel der Finanzindustrie" jüngst bezeichnet hat, möglich sein wird, wird erst die Zukunft zeigen, wenn die unvorstellbar großen Derivatspositionen abgebaut und erfüllt werden müssen.


Eine abschließende Frage: Drohen uns aus den Carry-Trades große Gefahren?

Ich meine, ja. Die schönen Zeiten von Aranjuez (siehe Schiller: Don Carlos) sind bald vorbei; den Kreditnehmern in Yen droht Ungemach. Die japanische Wirtschaft beginnt, sich von der deflatorischen Periode von 1990 bis 2004 zu erholen, auch "angeregt" durch die immensen Preissteigerungen von Rohstoffen, die Japan zwar in hohem Maße braucht, aber nicht im eigenen Lande produziert. Japan wird bald die Preissteigerungen aus den Rohstoffimporten spüren, und diese an die Verbraucher und die Industrie weitergeben müssen. Dann droht die schon als tot bezeichnete Inflation der Konsumartikel und dann bald danach die zur Eindämmung dieser Inflation erforderlichen Zinserhöhungen.

Dann sind die Zeiten der niedrigen Zinsen in Japan Geschichte. Dort werden die Zinsen erheblich steigen müssen, was in Steigerungsprozenten unvorstellbare Erhöhungen bringen wird: Eine Zinserhöhung von z.B. 1,7% auf 3,5% (letzterer ist für uns ein niedriger Zinssatz) bei YEN-Krediten stellt schon eine Erhöhung der Zinsbelastungen von mehr als 100% dar. Werden alle Kreditnehmer diese Zinserhöhung verkraften können? Zweifel sind angebracht.

Der wird Gewinner sein, der seine Yen-Finanzierung, also den bislang so erfolgreichen Yen-Carry-Trade, beizeiten beendet.


Merke

Ein Geschäft ist erst dann als abgeschlossen zu betrachten, wenn alle seine Komponenten als abgeschlossen behandelt werden können. Das ist aber das Manko aller "Carry-Trades", dass der Ertrag bereits vor Abschluss aller Komponenten gefeiert und verbucht wird.

Wir werden sehen, wie die diversen Finanzinstitutionen die wirkliche Abwicklung ihrer Carry-Trades - also der Gold-Beleihungen und -Vorausverkäufe, der kurzfristigen Kreditaufnahmen für Bondskäufe und die extremen Zinserhöhungen aus den Yen-Kreditaufnahmen - erfolgreich beenden zu können. Ich fürchte, es wird Ihnen nicht gelingen, die ehernen Regeln des Finanzwesens außer Kraft zu setzen. Ich verlasse mich nicht mehr auf die Hoffnung, diese Institute könnten alle Verbindlichkeiten, die sie in Derivaten, Zertifikaten, Zins-Swaps oder wie das ganze Konglomerat an Finanzhilfskontrakten so heißen mag, eingegangen sind, auch erfüllen.

Meine Entscheidung heißt: Zurück zu den Wurzeln! Edelmetalle, solide Aktien, ausreichende Barreserven und unbebauter Grund und Boden sind meine Favoriten.


© Dietmar Siebholz






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