Sind Bundesanleihen noch der sichere Hafen?
08.05.2015 | Carsten Klude
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Betrachtet man nun unsere Auswertungen am aktuellen Rand, so ist erneut eine Anomalie im Verhalten der Bundesanleihen festzustellen. Auf Basis aktueller Zahlen wäre zu vermuten, dass bei einem Rückgang des DAX Bundesanleihen ebenfalls nicht positiv, sondern leicht negativ reagieren würden. Die Funktion des sicheren Hafens ist also derzeit erneut gestört, und es stellt sich die Frage, ob es sich hier wiederum um einen kurzfristigen Ausreißer handelt oder vielleicht um ein längerfristige Phänomen.
Auch wenn diese Frage unmöglich abschließend beantwortet werden kann, so sprechen doch einige Gründe dafür, dass es sich nicht zwangsläufig nur um einen kurzfristigen Ausreißer handelt. Wir halten es vielmehr für denkbar, dass die geringe (oder sogar negative) Reagibilität u.U. durch die extrem niedrigen Renditen zu erklären ist.
Wenn man davon ausgeht, dass die Rendite von langlaufenden Bundesanleihen vermutlich nicht signifikant unter den Einlagenzins der EZB von minus 0,2 Prozent fallen wird (in diesem Fall würde die EZB ihre Kaufprogramme einstellen, da sie kein Interesse an einer derartigen Verzerrung des Zinsumfeldes haben kann), heißt dies im Umkehrschluss, dass das untere Ende der Fahnenstange bei Renditen bald erreicht ist. Wenn dem aber so ist, können Anleihen rein rechnerisch auch nicht mehr die Funktion des sicheren Hafens im Fall einer Krise übernehmen, denn es gibt einfach keinen "Renditepuffer" mehr, der für eine positive Performance notwendig wäre.
Etwas anders sieht dies prinzipiell in den USA aus, wo das Renditeniveau wesentlich höher als in Europa liegt. So rentieren 10-jährige Treasuries derzeit bei rund 2%; im Falle einer Korrektur am US-Aktienmarkt besteht daher erheblicher Spielraum für fallende Renditen bei USStaatsanleihen. Diese können damit nach wie vor die Funktion des sicheren Hafens übernehmen. Unsere Berechnungen zeigen zudem, dass der "Hedge" eines USAktienportfolios mit Staatsanleihen im Gegensatz zu Europa aktuell funktionieren sollte: Bei einem Rücksetzer am US-Aktienmarkt von 5% binnen einer Handelswoche wäre derzeit auf Basis unserer Regression mit einem Plus von rund 1,4% bei 10-jährigen US-Staatsanleihen zu rechnen.
Diese Kalkulation erweist sich allerdings nur dann als richtig, wenn die Korrektur am US-Aktienmarkt nicht ausgelöst wird, weil die Marktteilnehmer stark steigende Zinsen in den USA befürchten. Dieses Szenario ist aus unserer Sicht aber zunächst nicht wahrscheinlich, weil wir bis auf weiteres allenfalls moderat steigende Zinsen in den USA für denkbar halten. US-Portfolios dürften von der Mischung von Aktien und Anleihen daher auf absehbare Zeit profitieren.
Für den vor allem in Europa tätigen Investor hat es allerdings durchaus bedeutsame portfoliotechnische Konsequenzen, wenn unsere Hypothese zutrifft, dass die Funktion des sicheren Hafens bei Bundesanleihen derzeit gestört ist. Denn in einem Portfolio, in dem ein sog. "Hedge" über Staatsanleihen nicht mehr oder nur noch bedingt erfolgreich ist, müssten risikobehaftete Assets und damit Aktien eher verkauft als gekauft werden. Das steht im Kontrast zu der landläufigen These, wonach eine geringe Rendite von Staatsanleihen aufgrund mangelnder Investmentalternativen zu einer höheren Aktienquote führen sollte.
Auch wenn wir nach wie vor eher Anhänger der zweiten These sind, ist die Logik der ersten These nicht von der Hand zu weisen. Auf jeden Fall lässt sich aber feststellen, dass bei einem längeren Ausfall der Funktion des sicheren Hafens ein stärkerer Draw-Down am Aktienmarkt zu überdurchschnittlichen Portfolioverlusten führen würde, was wiederum in Portfolios mit Wertsicherungsmechanismen zu einem verstärkt prozyklischen Verkaufsverhalten führen dürfte. So könnte eine fehlende Reagibilität von Bundesanleihen indirekt sogar eine erhöhte Volatilität bei Aktien zur Folge haben.
Die letzten Tage waren u.U. schon ein leichter Vorgeschmack für eine derartige Entwicklung. Nachdem über Monate der Aktienmarkt nur die Richtung nach oben kannte, gab es in den letzten Wochen mehrfach signifikante Rücksetzer auf Tagesbasis. Auch die implizite Volatilität ist vor allem in Europa deutlich angestiegen, und defensive Sektoren weisen seit einigen Wochen wieder eine bessere Wertentwicklung als zyklische Sektoren auf.
Das alles sind Warnsignale, die nicht komplett ignoriert werden können. Auf der anderen Seite weisen die meisten Konjunkturdaten in Europa nach wie vor eine erfreuliche Entwicklung auf, und die laufende Berichtssaison lässt bisher keine größeren Probleme in der Gewinnentwicklung erkennen. Von daher sollte die Grundtendenz am Aktienmarkt weiterhin aufwärts gerichtet sein. Dass mögliche Rücksetzer aber durchaus scharf ausfallen könnten, sollte niemanden überraschen.
© Carsten Klude, Dr. Christian Jasperneite, Matthias Thiel, Martin Hasse, Darian Heede
M.M.Warburg Investment Research
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