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Die 4.760.000.000.000 Euro Lücke

14.09.2015  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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In den Vereinigten Staaten von Amerika war die Teilreserve der Banken bis zur Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 sehr niedrig. Beispielsweise waren nie mehr als 20 Prozent der täglich fälligen Giroguthaben, die Kunden bei der US-Bank hielten, durch Basisgeld (d. h. Guthaben bei der Zentralbank und eigenen Bargeldbeständen) gedeckt. Das Deckungsverhältnis von M2 (ohne Bargeld) lag 1960 noch bei ungefähr 8 Prozent. Danach ging es immer weiter zurück, bis unter ein Prozent bis Mitte 2008. Mit dem Ausbruch der Krise hat sich das nun jedoch geändert.

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Quelle: Thomson Financial, eigene Berechnungen.
*Zuzüglich der Bargeldbestände, die die US-Banken in der Kasse halten.


Die US-Zentralbank begann ab Ende 2008, die US-Dollar-Basisgeldmenge auszuweiten (im Zuge der sogenannten "QE"-Politik). Bis zum Herbst 2009 waren die gesamten täglich fälligen Kundenguthaben der US-Banken mit Basisgeld gedeckt. Die US-Banken waren fortan gegen einen Bankensturm immunisiert. Würden heute die Kunden eine Barauszahlung ihrer Sichtguthaben verlangen, wären die Banken zur vollumfänglichen Auszahlung in der Lage, ohne sich weiteres Geld von der US-Zentralbank beschaffen zu müssen.

Die US-Zentralbank setzte ihre Anleihekäufe jedoch noch weiter fort, so dass bis Oktober 2014 (als die Anleihekäufe eingestellt wurden) die Basisgeldmenge in den Händen der Banken bei 2.900 Mrd. US-Dollar lag. Die Sichtguthaben der Bankkunden betrugen 1.800 Mrd. US-Dollar. Die US-Zentralbank hatte also für eine "Überdeckung" gesorgt. Die US-Banken sind jetzt in der Lage, nicht nur ihre täglichen Verbindlichkeiten, sondern auch Teile ihrer Verbindlichkeiten in Form von fälligen Termin- und Spareinlagen auszuzahlen.


Die "Liquiditätslücke" der Euro-Banken

Blickt man auf die Verhältnisse im Euroraum, so zeigt sich Folgendes. Die täglich fälligen Guthaben, die Kunden bei Euro-Banken halten, belaufen sich auf 5.378 Mrd. Euro. Die Basisgeldbestände der Euro-Banken belaufen sich jedoch nur auf 617 Mrd. Euro. Die Euro-Banken haben folglich ein "Basisgelddefizit" (oder: eine "Liquiditätslücke") in Höhe von 4.761 Mrd. Euro. Einem Bankensturm wäre der Euro-Bankensektor daher, vorsichtig gesprochen, nicht gewachsen. Die EZB hat sich vermutlich bereits darangemacht, diese Liquiditätslücke zu schließen.

Bis zum Herbst 2016 will sie mittels Anleihekäufe zusätzlich 1,14 Billionen Euro in Umlauf bringen. Dazu kauft sie Schuldpapiere und bezahlt die Rechnungen mit neu geschaffenen Euro. Doch das wird die Liquiditätslücke der Euro-Banken nur etwas verkleinern. Sie blieben weiterhin verwundbar gegenüber einem möglichen Bankensturm. Es sind vor allem zwei Gründe, die dafür sprechen, dass die EZB ihre Anleiheaufkäufe bald stark ausweiten könnte:

(1) Die EZB-Geldpolitiker haben ein Interesse daran, das Euro-Bankensystem gegenüber einem möglichen Bankensturm zu immunisieren. Dazu müssen sie den Euro-Banken zusätzlich (mindestens) 4.760 Mrd. Euro zur Verfügung stellen. Dann sind die täglich fälligen Kundenguthaben bei den Euro-Banken mit Basisgeld gedeckt.

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Quelle: Thomson Financial.


(2) Die Notwendigkeit, die Liquiditätslücke zu schließen, kommt den Euro-Regierungen wie gerufen. Denn die EZB müsste dazu ihre Anleihekäufe ausweiten, und auf diesem Wege ließe sich dann ungefähr die Hälfte aller marktgehandelten Staatsschulden im Euroraum "problemlos" monetisieren: Die Schuldpapiere wandern in die Bilanz der EZB beziehungsweise der nationalen Zentralbanken und können zu extremen Tiefzinsen refinanziert werden.

Die täglich fälligen Guthaben, die Kunden bei Euro-Banken halten, mit Basisgeld zu decken, ist das eine. Das andere ist, auch kurzfristig fällige Termineinlagen mit Basisgeld zu unterfüttern. Dazu wäre eine zusätzliche Ausweitung der Euro-Basisgeldmenge von insgesamt etwa 8.400 Mrd. Euro nötig. Mit anderen Worten: Die EZB müsste fast die gesamten marktgehandelten Staatsschulden im Euroraum aufkaufen.


Folgen für die Preise

Was wären die Folgen einer derartigen - möglicherweise gewaltigen - Ausweitung der Euro-Basisgeldmenge? Es mag überraschend sein, aber die Antwort darauf ist nicht einfach. Es kommt nämlich darauf an, welche Maßnahmen die EZB noch ergreift und von wem sie die Wertpapiere kauft.

Die EZB kann die neu geschaffene Basisgeldmenge "stilllegen". Dazu muss sie die Mindestreservesätze soweit anheben, bis die Überschussreserve vollständig in der Mindestreserve gebunden ist. Die Banken können mit dem Basisgeld dann sprichwörtlich nichts mehr anstellen: keine Kreditvergabe und keine Wertpapierkäufe finanzieren. Allerdings würde das auf sehr hohe Mindestreservesätze hin auslaufen. Die Ertragslage vieler Banken würde sich erheblich verschlechtern.

Wenn die EZB Schuldpapiere, die die Banken in ihren Portfolios halten, kauft, steigt "nur" die Basisgeldmenge an. Kauft sie die Wertpapiere von Nichtbanken (Versicherungen, Pensionskassen etc.), steigen sowohl die Basisgeldmenge als auch die Geldmengen M1 und M3 an. Das Ansteigen der Geldmengen M1 bis M3, die für unmittelbare Nachfragezwecke eingesetzt werden, ließe sich nicht mehr "neutralisieren" (es sei denn, die EZB hebt die Zinsen so stark an, dass die Kredit- und Geldmengen schrumpfen. Das aber erscheint unwahrscheinlich). In solch einem Fall wäre mit (mitunter beträchtlichen) Inflationseffekten zu rechnen.

Dass die EZB-Anleihekäufe die Geldmengen M1 bis M3 aufblähen können, zeigen die nachstehenden Zahlen. Im ersten Quartal 2015 belief sich die ausstehende Staatsschuld im Euroraum auf insgesamt 9.432,5 Mrd. Euro (das entsprach einer Verschuldungsquote von 92,9 Prozent). Im Juli 2015 wiesen die Euro-Banken in ihren Bilanzen Forderungen gegenüber den Staaten in Höhe von 2.959 Mrd. Euro aus (dabei beliefen sich die Buchkredite auf 1.123 Mrd. Euro, die Anleihen auf 1.836 Mrd. Euro). Das heißt, dass sich 6.473,5 Mrd. Euro der gesamten Euro-Staatsschulden (oder knapp 69 Prozent) im Besitz von inländischen Nichtbanken und ausländischen Banken und Nichtbanken befanden.


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