Alles Spekulation
05.05.2006 | Klaus Singer
Wie könnten sich die Finanzmärkte in den kommenden Wochen und Monaten entwickeln? Ich möchte im folgenden das aus meiner Sicht wahrscheinlichste Szenario entwickeln. Zugegeben - das ist hoch spekulativ, aber ...
Seit Anfang April zeigt die Auswertung des Verlaufs der Umsatzverteilung im S&P500 drei Topping-out-Phasen. Die erste ging vom 7. bis 12., die zweite vom 21. bis 26. April, die aktuell laufende startete in dieser Woche. Gleichzeitig geht die Mitte März gestartete Akkumulation weiter, lediglich zwischen dem 13 und 17. April gab es kurze Distribution.
Die ansonsten verfolgten Marktindikatoren sind aktuell zwar neutral. Insbesondere der TRIN ist jedoch seit längerem instabil. PCR und VIX verlaufen flach, bei beiden steht eine wichtige Richtungsentscheidung an. Die Wahrscheinlichkeit für eine übergreifende Abwärtsbewegung ist zwar höher, solange die Umsatzverteilung sich aber in Akkumulation befindet, ist die Entscheidung aufgeschoben.
Die wiederholten Topping-out-Phasen legen den Verdacht nahe, dass ein (von mir zu oft zu früh angesagter) Blowoff im Rohr steckt. Gleichzeitig steigt die Korrelation VIX-SPX an, was häufig ein Anzeichen für eine stärkere Ausbruchsbewegung ist.
Die zurückliegenden Tage waren geprägt von teilweiser extremer Inflation beim Gold, beim Öl und bei anderen Rohstoffen; beim Dollar war es umgekehrt, er "deflationierte", tatkräftig angeschoben von Äußerungen der Fed-Spitze. Solche "Exponential-Bewegungen" kommen durch Selbstverstärkung zustande, sie können in einer solchen Phase nur noch stimmungsseitig erklärt werden. Trotzdem gibt es dafür fundamentale "Anlässe", gewissermaßen "Startrampen".
In aktuellen Fall dürfte das die recht rasante Abwertung des Greenback gewesen sein. Die Finanzmärkte bevorzugen mindestens seit 2003 Phasen der Dollarschwäche, was sich auch fundamental unter verschiedenen Aspekten begründen lässt. So wiegt etwa das US-Außendefizit weniger schwer, wenn der Dollar an Wert verliert, insbesondere dann, wenn gleichzeitig US-Staatsanleihen gekauft werden. Usw.
Es spricht aus meiner Sicht viel dafür, dass wir aktuell einen Blowoff im Rohstoffsektor erleben. Ich will damit nicht sagen, dass dann hier aus bullischer Sicht alles vorbei ist. Aber zumindest dürfte in Kürze bei der Rohstoffsspekulation für einige Zeit die Luft raus sein. Öl könnte vormachen, was demnächst z.B. auch mit dem Goldpreis passiert.
Das Kapital muss dann woanders vagabundieren. Nächstes Ziel der Begierde könnten Aktien und vor allem Anleihen sein.
Der Dollar ist auf dem Weg zum starken Widerstand bei rund 1,28 gegen Euro. Hier verläuft zugleich die Obergrenze des aktuellen Aufwärtskanals. Schwer vorstellbar, dass diese Hürde jetzt genommen wird. Und ob sie überhaupt überwunden wird, steht noch dahin.
Womit wir beim Thema "nächste Zinssitzung der Fed" sind. Die Aktienmärkte wurden zuletzt wiederholt vom Zins- und vom Konjunkturthema durchgeschüttelt. Gerne hatte man zunächst gewisse Äußerungen von Bernanke so verstanden, dass auf der am kommenden Mittwoch stattfindenden FOMC-Sitzung zumindest eine Pause im Zinszyklus beschlossen wird. Dies wurde anschließend relativiert, bleibt aber als Hoffnung. Das Konjunkturthema wurde zuletzt in Zusammenhang mit der Zinserhöhung in China aufgewärmt, daraufhin folgende US-Makrodaten hatten die Bedenken hinsichtlich einer Abkühlung der Weltkonjunktur dann wieder in den Hintergrund treten lassen. Jetzt ist es wieder eher so, dass als gut interpretierte Makrodaten die Zinsangst aktivieren und damit eher verkauft werden.
Im Vorfeld der heutigen US-Arbeitsmarktdaten tendiert der Dollar gegen Euro fester. Fallen diese unerwartet gut aus, dürfte das Befürchtungen anheizen, dass weder ein Ende, noch eine Pause im Zinszyklus ansteht. Nimmt man den Challenger-Report als Omen, so ist sowohl nach der Anzahl der Entlassungs-, wie der Einstellungsankündigungen damit zu rechnen, dass die Erwartung von rund 200.000 neuen Stellen realistisch ist.
Ein positiver Ausreißer dürfte die Aktienbullen irritieren und möglicherweise die Devisenspekulanten vorzeitig auf den Plan rufen, die den Dollar im Vorgriff auf einen weiteren Zinsschritt am Mittwoch kaufen. Allerdings liegt das oben umrissene Währungsziel so nahe, dass die Wahrscheinlichkeit seines Erreichens sehr hoch ist - nur der Weg dahin wird dann etwas erratischer.
Zinssitzung und Arbeitsmarktdaten hin oder her - wenn der Dollar, wie von mir favorisiert, bei 1,28 gegen Euro kehrt macht, rückt damit früher oder später das Thema "US-Außendefizit" nach vorne, insbesondere dann, wenn die TBonds im Verkaufsmodus bleiben. Denn dann fehlen Mittelzuflüsse zur "Finanzierung". Allerdings sollte das mittlerweile erreichte Zinsniveau (das höchste seit Juli 2004) bald wieder TBond-Käufer auf den Plan rufen. Das gilt umso mehr, wenn der Dollar nachhaltig erstarkt, sprich den Kauf von US-"Assets" für Ausländer verteuert. Es spricht aus heutiger Sicht viel dafür, dass (ausländische) Anleihekäufer zwar noch abwarten, aber bald wieder "zulangen". Ob schon im Kontext der FOMC-Sitzung oder später wird sich zeigen. Das würde den Dollar zusätzlich stützen.
Die weiter oben erwähnte Korrelation zwischen VIX und SPX ist normalerweise negativ - Steigende Aktien gehen mit fallendem VIX einher. In Sondersituationen laufen beide parallel, man spricht dann oft von der "wall of worry", die die Bullen emporsteigen sollen, wollen, müssen. Genau das scheint sich momentan wieder anzubahnen - und eine positive, bzw. positiv werdende Korrelation zwischen beiden Werten geht oft mit einer starken Bewegung einher.
Steigen die Kurse am Anfang einer bullischen Phase gegen alle Bedenken und Sorgen, so hat die Bezeichnung "wall of worry" ihre Berechtigung. Aktuell fragt man sich aber nach Jahren der Hausse, was eigentlich noch besser werden soll, um weiter steigende Aktienpreise zu rechtfertigen. Dann sollte man statt von der "Mauer der Sorgen" besser vom "Graben der Ignoranz" sprechen. Ignoranz hinsichtlich der Aussichten, hinsichtlich der geopolitischen Unsicherheiten und auch hinsichtlich eines (nachhaltig) erstarkenden Dollar.
Damit bin ich am Ende meiner (hoch spekulativen) Spekulation angelangt: Die Wahrscheinlichkeit für eine bevorstehende starke Aktienbewegung ist hoch, sie dürfte allerdings nicht von langer Dauer sein. Ignoriert sie zunächst einen festeren Greenback und womöglich einen weiteren Zinsschritt am Mittwoch, wird sie wohl doch recht bald von der Realität eingeholt. Das ist dann der Zeitpunkt, an dem das vagabundierende Kapital weiterzieht zur nächsten "Baustelle", den TBonds. Und was kommt danach? Der Dollar?
Nachbemerkung: Auch wenn bestimmte Szenarien in den Finanzmärkten wahrscheinlicher sein mögen als andere - es sind nur Hypothesen, die Orientierung geben können. Der Prüfstein aber ist und bleibt der Markt (und insbesondere der Dollar).
© Klaus G. Singer
Seit Anfang April zeigt die Auswertung des Verlaufs der Umsatzverteilung im S&P500 drei Topping-out-Phasen. Die erste ging vom 7. bis 12., die zweite vom 21. bis 26. April, die aktuell laufende startete in dieser Woche. Gleichzeitig geht die Mitte März gestartete Akkumulation weiter, lediglich zwischen dem 13 und 17. April gab es kurze Distribution.
Die ansonsten verfolgten Marktindikatoren sind aktuell zwar neutral. Insbesondere der TRIN ist jedoch seit längerem instabil. PCR und VIX verlaufen flach, bei beiden steht eine wichtige Richtungsentscheidung an. Die Wahrscheinlichkeit für eine übergreifende Abwärtsbewegung ist zwar höher, solange die Umsatzverteilung sich aber in Akkumulation befindet, ist die Entscheidung aufgeschoben.
Die wiederholten Topping-out-Phasen legen den Verdacht nahe, dass ein (von mir zu oft zu früh angesagter) Blowoff im Rohr steckt. Gleichzeitig steigt die Korrelation VIX-SPX an, was häufig ein Anzeichen für eine stärkere Ausbruchsbewegung ist.
Die zurückliegenden Tage waren geprägt von teilweiser extremer Inflation beim Gold, beim Öl und bei anderen Rohstoffen; beim Dollar war es umgekehrt, er "deflationierte", tatkräftig angeschoben von Äußerungen der Fed-Spitze. Solche "Exponential-Bewegungen" kommen durch Selbstverstärkung zustande, sie können in einer solchen Phase nur noch stimmungsseitig erklärt werden. Trotzdem gibt es dafür fundamentale "Anlässe", gewissermaßen "Startrampen".
In aktuellen Fall dürfte das die recht rasante Abwertung des Greenback gewesen sein. Die Finanzmärkte bevorzugen mindestens seit 2003 Phasen der Dollarschwäche, was sich auch fundamental unter verschiedenen Aspekten begründen lässt. So wiegt etwa das US-Außendefizit weniger schwer, wenn der Dollar an Wert verliert, insbesondere dann, wenn gleichzeitig US-Staatsanleihen gekauft werden. Usw.
Es spricht aus meiner Sicht viel dafür, dass wir aktuell einen Blowoff im Rohstoffsektor erleben. Ich will damit nicht sagen, dass dann hier aus bullischer Sicht alles vorbei ist. Aber zumindest dürfte in Kürze bei der Rohstoffsspekulation für einige Zeit die Luft raus sein. Öl könnte vormachen, was demnächst z.B. auch mit dem Goldpreis passiert.
Das Kapital muss dann woanders vagabundieren. Nächstes Ziel der Begierde könnten Aktien und vor allem Anleihen sein.
Der Dollar ist auf dem Weg zum starken Widerstand bei rund 1,28 gegen Euro. Hier verläuft zugleich die Obergrenze des aktuellen Aufwärtskanals. Schwer vorstellbar, dass diese Hürde jetzt genommen wird. Und ob sie überhaupt überwunden wird, steht noch dahin.
Womit wir beim Thema "nächste Zinssitzung der Fed" sind. Die Aktienmärkte wurden zuletzt wiederholt vom Zins- und vom Konjunkturthema durchgeschüttelt. Gerne hatte man zunächst gewisse Äußerungen von Bernanke so verstanden, dass auf der am kommenden Mittwoch stattfindenden FOMC-Sitzung zumindest eine Pause im Zinszyklus beschlossen wird. Dies wurde anschließend relativiert, bleibt aber als Hoffnung. Das Konjunkturthema wurde zuletzt in Zusammenhang mit der Zinserhöhung in China aufgewärmt, daraufhin folgende US-Makrodaten hatten die Bedenken hinsichtlich einer Abkühlung der Weltkonjunktur dann wieder in den Hintergrund treten lassen. Jetzt ist es wieder eher so, dass als gut interpretierte Makrodaten die Zinsangst aktivieren und damit eher verkauft werden.
Im Vorfeld der heutigen US-Arbeitsmarktdaten tendiert der Dollar gegen Euro fester. Fallen diese unerwartet gut aus, dürfte das Befürchtungen anheizen, dass weder ein Ende, noch eine Pause im Zinszyklus ansteht. Nimmt man den Challenger-Report als Omen, so ist sowohl nach der Anzahl der Entlassungs-, wie der Einstellungsankündigungen damit zu rechnen, dass die Erwartung von rund 200.000 neuen Stellen realistisch ist.
Ein positiver Ausreißer dürfte die Aktienbullen irritieren und möglicherweise die Devisenspekulanten vorzeitig auf den Plan rufen, die den Dollar im Vorgriff auf einen weiteren Zinsschritt am Mittwoch kaufen. Allerdings liegt das oben umrissene Währungsziel so nahe, dass die Wahrscheinlichkeit seines Erreichens sehr hoch ist - nur der Weg dahin wird dann etwas erratischer.
Zinssitzung und Arbeitsmarktdaten hin oder her - wenn der Dollar, wie von mir favorisiert, bei 1,28 gegen Euro kehrt macht, rückt damit früher oder später das Thema "US-Außendefizit" nach vorne, insbesondere dann, wenn die TBonds im Verkaufsmodus bleiben. Denn dann fehlen Mittelzuflüsse zur "Finanzierung". Allerdings sollte das mittlerweile erreichte Zinsniveau (das höchste seit Juli 2004) bald wieder TBond-Käufer auf den Plan rufen. Das gilt umso mehr, wenn der Dollar nachhaltig erstarkt, sprich den Kauf von US-"Assets" für Ausländer verteuert. Es spricht aus heutiger Sicht viel dafür, dass (ausländische) Anleihekäufer zwar noch abwarten, aber bald wieder "zulangen". Ob schon im Kontext der FOMC-Sitzung oder später wird sich zeigen. Das würde den Dollar zusätzlich stützen.
Die weiter oben erwähnte Korrelation zwischen VIX und SPX ist normalerweise negativ - Steigende Aktien gehen mit fallendem VIX einher. In Sondersituationen laufen beide parallel, man spricht dann oft von der "wall of worry", die die Bullen emporsteigen sollen, wollen, müssen. Genau das scheint sich momentan wieder anzubahnen - und eine positive, bzw. positiv werdende Korrelation zwischen beiden Werten geht oft mit einer starken Bewegung einher.
Steigen die Kurse am Anfang einer bullischen Phase gegen alle Bedenken und Sorgen, so hat die Bezeichnung "wall of worry" ihre Berechtigung. Aktuell fragt man sich aber nach Jahren der Hausse, was eigentlich noch besser werden soll, um weiter steigende Aktienpreise zu rechtfertigen. Dann sollte man statt von der "Mauer der Sorgen" besser vom "Graben der Ignoranz" sprechen. Ignoranz hinsichtlich der Aussichten, hinsichtlich der geopolitischen Unsicherheiten und auch hinsichtlich eines (nachhaltig) erstarkenden Dollar.
Damit bin ich am Ende meiner (hoch spekulativen) Spekulation angelangt: Die Wahrscheinlichkeit für eine bevorstehende starke Aktienbewegung ist hoch, sie dürfte allerdings nicht von langer Dauer sein. Ignoriert sie zunächst einen festeren Greenback und womöglich einen weiteren Zinsschritt am Mittwoch, wird sie wohl doch recht bald von der Realität eingeholt. Das ist dann der Zeitpunkt, an dem das vagabundierende Kapital weiterzieht zur nächsten "Baustelle", den TBonds. Und was kommt danach? Der Dollar?
Nachbemerkung: Auch wenn bestimmte Szenarien in den Finanzmärkten wahrscheinlicher sein mögen als andere - es sind nur Hypothesen, die Orientierung geben können. Der Prüfstein aber ist und bleibt der Markt (und insbesondere der Dollar).
© Klaus G. Singer