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Der "Vollendungsplan" für Europa

28.09.2015  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Das Wohl und Wehe des Euro hängt an der europäischen Integration. Sein Bestand erfordert, dass die Euro-Teilnehmerländer beisammen bleiben. Daher muss verhindert werden, dass "schwache Länder" wie zum Beispiel Griechenland austreten. Denn sonst würden die Finanzmärkte erkennen, dass der Euro eben noch nicht unumkehrbar ist.

Zum anderen muss sichergestellt werden, dass die "stärkeren Länder" die Kosten tragen, die mit dem Zusammenhalten des Euro-Währungsraumes verbunden sind. Bislang ist es den Kräften, die das EU-Projekt vorantreiben und "vollenden" wollen, recht gut gelungen, die wahren Kosten zu verstecken. Zum Beispiel ist der breiten Öffentlichkeit vermutlich gar nicht klar, welche Kosten mit dem "Europäischen Stabilitätsmechanismus“ und der sich abzeichnenden "Bankenunion" mit ihrer Einlagensicherung verbunden sind.

Auch der Europäischen Zentralbank (EZB) gelingt es bisher, die Kosten ihrer Eingriffe zu verschleiern. Mit ihrer Niedrigzins-, Anleiheaufkauf- und Geldvermehrungspolitik sorgt sie still und leise für einen Vermögenstransfer von den "starken Ländern" in die "schwachen Länder". Die ablaufende Umverteilung durch die EZB-Politik ist sehr komplex und subtil, so dass vermutlich nur wenige sie erkennen und verstehen. Daher bleibt auch ein hörbarer Aufschrei der Geschädigten aus.

Hinzu kommt, dass die Inflation der Konsumentenpreise - gemäß den staatlichen Statistiken - recht gemäßigt zu sein scheint. Das trägt auch dazu bei, dass die Sparer derzeit relativ hohe, in der Regel unverzinsliche Liquiditätsbestände halten. Die Umverteilungspolitik der EZB wird dadurch natürlich besonders begünstigt. Aktuell geben die staatlichen Inflationszahlen also kein Zeichen, die Euro-Nachfrage könnte einknicken und die Einheitswährung existenziell bedrohen.


Auf Wettbewerb setzen

Die Gefahr kommt aus einer anderen Ecke: dass nämlich eine zunehmende Europa-Enttäuschung den europäischen Integrationsprozess anhält oder gar rückabwickelt. Schwindet die Unterstützung entweder in den kleinen oder gar in den großen Euro-Teilnehmerländern, kann die Lage rasch heikel werden: Ein Ausverkauf auf den Euro-Kreditmärkten setzt ein, es kommt zu Kapitalflucht. Euro-Halter erlitten dann entweder Kreditverluste aufgrund von Staats- und Bankenpleiten, oder aber ihre Ersparnisse verlieren an Kaufkraft, weil die EZB immer mehr Euro in Umlauf bringt, um Staaten und Banken vor der Zahlungsunfähigkeit zu bewahren.

Eine kollektivistisch-zentralistische Konstruktion, wie sie den Europa-Architekten vorschwebt, wird nicht die Lösung der drängenden Probleme bringen. Im Gegenteil. Der Plan, Europa zu "vollenden", wird aufgelaufene Probleme nicht lösen, sondern verstärken und neue schaffen. Der Ausweg aus der aktuellen Misere besteht vielmehr darin, dass Europa (1) die "Zentralstaatsidee" aufgibt, (2) zum Erfolgsmodell "Wettbewerb zwischen den Regionen" zurückkehrt und (3) einen freien Währungswettbewerb zulässt. Es sind der freie Handel, die freie Marktwirtschaft und der Respekt vor dem Privateigentum, die Europa Frieden und Wohlstand gebracht haben. Diese Rezeptur wird auch künftig funktionieren.


Wachstumstrend im Euroraum zeigt nach unten

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Quelle: Eurostat, EZB; eigene Schätzung.


Das Wachstum einer Volkswirtschaft bedeutet, dass die produzierte Gütermenge im Zeitablauf steigt. Es hängt von einer ganzen Reihe von Faktoren ab. Hierzu zählen zum Beispiel technologische Innovationen: Letztere erlauben es, ein bestimmtes Produkt mit weniger Zeitaufwand zu erstellen. Auch spielt die Freiheit, die Verbraucher und Produzenten genießen, eine wichtige Rolle. Je höher die Teilhabe an den Gewinnen ist, die ein Unternehmer erarbeitet, desto größer ist auch der Anreiz zu investieren und dadurch produktivitätssteigernde Neuerungen zu schaffen.

Altert und schrumpft die Bevölkerung, so wäre damit zu rechnen, dass die Produktionsleistung der Volkswirtschaft insgesamt abnimmt. Das Einkommen pro Kopf muss dabei jedoch nicht notwendigerweise ab-sinken, es kann auch gleichbleiben oder sogar steigen.

Ein Zuwachs der Bevölkerung kann, muss aber nicht, die Wirtschaftsleistung eines Landes erhöhen. Beispielsweise wächst in vielen afrikanischen Ländern die Bevölke-rung stark, dennoch nimmt die Wirtschaftsleistung (absolut oder pro Kopf) nicht oder nur wenig zu. Die Erklärung dafür ist: Damit eine Volkswirtschaft wachsen kann, bedarf es bestimmter Bedingungen.

Hierzu zählen zum Beispiel ein funktionierendes Rechtssystem, freie Märkte, Qualifikation, Lernfähigkeit und -bereitschaft und Fleiß der Menschen usw. Die Idee, dass Zuwanderung nach Europa automatisch zu mehr Wachstum führt - und zum Beispiel hilft, die Finanzierbarkeit des Renten- und Sozialversicherungssystems in Europa zu sichern -, stützt sich auf keine ökonomische Gesetzmäßigkeit, sondern auf eine Hoffnung.


Wie Europas Zukunft schon heute geplant wird

"Der Euro ist mehr als nur eine Währung. Er ist ein politisches und wirtschaftliches Projekt. Alle Mitglieder unserer Währungsunion haben ihre Landeswährung unwiderruflich aufgegeben und teilen ihre währungspolitischen Hoheitsrechte dauerhaft mit den anderen Mitgliedern des Euro-Währungsgebiets." (S. 4)

"Damit sich das Euro-Währungsgebiet schrittweise zu einer echten Wirtschafts- und Währungsunion entwickelt, wird es sich wandeln müssen von einem System der Regeln und Leitlinien für die nationale Wirtschaftspolitik hin zu einem System weitergehender Souveränitätsteilung im Rahmen gemeinsamer Institutionen, die größtenteils bereits existieren und diese Aufgabe nach und nach übernehmen können. In der Praxis würde das bedeuten, dass die Mitgliedstaaten in zunehmendem Maß gemeinsame Entscheidungen über Teile ihrer jeweiligen nationalen Haushalts- und Wirtschaftspolitik akzeptieren müssten." (S. 5)

"Eine echte Fiskalunion wird darüber hinaus eine stärkere gemeinsame Entscheidungsfindung in fiskalpolitischen Angelegenheiten erfordern. Dies bedeutet nicht, dass alle Aspekte der Einnahmen- und Ausgabenpolitik zentralisiert werden sollen. Die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets würden weiterhin gemäß ihrer nationalen Präferenzen und ihrer politischen Gegebenheiten über Steuern und Ausgaben entscheiden. In dem Maße jedoch, wie sich das Euro-Währungsgebiet in Richtung einer echten WWU entwickelt, müssen bestimmte Entscheidungen zunehmend gemeinsam getroffen werden." (S. 18)

"Ein künftiges euroraumweites Schatzamt ("Treasury") könnte den Rahmen für derartige gemeinsame Entscheidungen bieten." (S. 20)

"Vor allem wird im vorliegenden Bericht aber eine klare Richtung für Europas WWU vorgegeben. … Der Europäische Rat wird ersucht, den Vorschlägen schnellstmöglich zuzustimmen." (S. 20)

Quelle: "Die Wirtschafts- und Währungsunion Europas vollenden", vorgelegt von J.-C. Junker, D. Tusk, J. Dijsselbloem, M. Draghi und M. Schulz.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Quelle: Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH


(1) Die Beschlüsse der EU-Innenminister müssen nicht einstimmig sein. 55 Prozent der Staaten, die 65 Prozent der Einwohner vereinen, können Entscheidungen auch gegen den Widerstand anderer Länder durchsetzen. Dagegen stimmten Ungarn, die Slowakei, Tschechien und Rumänien. Finnland nahm an der Abstimmung nicht teil.

(2) Siehe hierzu den Bericht "Die Wirtschafts- und Währungsunion Europas vollenden", vorgelegt von J.-C. Junker, D. Tusk, J. Dijsselbloem, M. Draghi und M. Schulz.




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