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Die Mythen über Rohstoffe ausmisten

18.05.2006  |  Redaktion
Kürzlich habe ich auf einer Party in New York erwähnt, dass ich mit verschiedenen Gruppen in Amerika und Europa über Anlagemöglichkeiten auf dem Rohstoffsektor gesprochen habe. Noch ehe ich ein weiteres Wort sagen konnte, wurde ich von einer Frau unterbrochen. "Rohstoffe!" rief sie aus, mit jener Ungläubigkeit in der Stimme, die die Leute in Manhattan all denen vorbehalten, die nach Los Angeles ziehen. "Mein Bruder hat in Schweinehälften investiert und es hat ihn Kopf und Kragen gekostet. Und er ist Wirtschaftswissenschaftler!"

Jeder scheint irgendeinen Verwandten zu haben, der auf dem Rohstoffsektor eine Niederlage einstecken musste und diese Tatsache (oder dieses Märchen) soll Grund genug sein, dass niemand bei klarem Verstand mehr wagt, sich die Finger an derart gefährlichen Dingen zu verbrennen. Dass es sich bei diesem Opfer auch noch um jemanden vom Fach handeln soll, macht die Warnung nur noch beunruhigender. Ich konnte jedoch mein Lachen nicht unterdrücken.

Milliarden von Dollar werden jeden Tag in die Rohstoffe investiert. Ohne Futures im Rohstoffmarkt wären viele Dinge, auf die Sie sich alltäglich verlassen, entweder sehr viel knapper, vielleicht wären sie gar nicht vorhanden, aber sie wären auf jeden Fall sehr viel teurer. Das beginnt bei der Tasse Kaffee am Morgen, geht weiter mit dem Aluminium im Türblatt und endet mit der Wolle in Ihrem neuen Anzug.

Klar, jede Anlage hat ihre Risiken. Selbst viele Doktoren der Wirtschaftswissenschaften haben im Dot-Com Debakel Geld verloren. (Am Neujahrstag 2002 veröffentlichte das Wall Street Journal seine jährliche Untersuchung der Wirtschaftswissenschaftler für das kommende Jahr. Obwohl die Wirtschaft zu diesem Zeitpunkt bereits seit einem Jahr durchhing, glaubte nicht einer der 55 Wissenschaftler, dass sie wirklich ernsthaft sinken würde. Hundert Prozent der Wissenschaftler lagen falsch, was wiederum beweist, dass auch Doktoren so anfällig für die Massenpsychologie sind, wie wir alle.)

Da draußen gibt es noch einige weitere Allgemeinplätze, warum "normale Leute" nicht in Rohstoffe anlegen sollten, und ich möchte all diese Mythen ein für alle Mal begraben, damit wir uns endlich wieder den interessanteren Geschäften zuwenden können, nämlich, wie sich aus Investitionen in die nächste Generation der Vermögenswerte Geld schlagen lässt.

Übrigens, dieser Verwandte von ihnen, der sich in den Ruin getrieben hat ... er hatte keine Erfahrung. Sie können lernen. Sehrwahrscheinlich hat er direkt Futures gekauft - mit der kleinsten Sicherheitsleistung (Margin), die ein Broker braucht, um eine Position bei einem bestimmten Rohstoff zu besetzen - und als der Markt sich dann gegen ihn wendete, hat er ordentlich einstecken müssen.

Das passiert auf folgende Weise: Wie Aktien, können auch Rohstoffe per Option gekauft werden. Anders als bei Aktien können die zu erbringenden Sicherheitsleistungen (margins) bei Rohstoffen sogar unter 5% liegen: Sie können Sojabohnen im Wert von 100 Dollar für nur 5 Dollar kaufen. Wenn die Sojabohnen auf 105 Dollar steigen, haben sie ihr Geld verdoppelt. Sehr schön. Wenn sie aber um 5% fallen, dann haben sie ihr Geld verloren. Das ist nicht so schön.

Mit einer gewissen Erfahrung können schlaue Spekulanten Massen von Geld damit machen. Sie wissen auch, dass sie die gleiche Menge Geld verlieren könnten, aber das können sie sich in der Regel auch leisten. Ihr Verwandter steckte jedoch zu tief in der Sache drin. Hätte er die Sojabohnen für 100 Dollar in der gleichen Weise gekauft, auf die er auch IBM kauft - für 100 Dollar (oder sogar für 50 Dollar), dann würde er sehr glücklich sein, wenn der Wert um 5 Dollar stiege und deutlich weniger traurig, wenn er um 5 Dollar fiele.

Wann immer ich in der Öffentlichkeit über Rohstoffe spreche, kommt irgendeiner an und sagt, dass wir heute in einer hoch technisierte Welt leben, in der die Preise für Rohstoffe nie mehr so hoch sein werden, wie sie es zu Zeiten der Fabrikschlote waren. Wenn sie aber die Geschichte zurückverfolgen, dann werden sie feststellen, dass der technische Fortschritt so alt ist, wie die Geschichte selbst.

Die Einführung des schneidigen und schönen Klippers betörte die Menschen zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Er machte selbst befrachtet noch 20 Knoten in der Stunde und durchschnittlich mehr als 400 Meilen in 24 Stunden und war in der Lage von den amerikanischen Häfen über Kap Horn in nur 80 Tagen nach Hong Kong zu reisen Aber es dauerte nur ein Jahrzehnt und die Klipper wurden durch die Dampfer abgelöst. Die waren zwar nicht unbedingt schneller, aber sie waren nicht so abhängig vom Wind.

Dann dauerte es wieder nicht lange, und das nächste große Ding übernahm im Transportwesen. Die Eisenbahn. Und während dieser ganzen Zeit sind die Rohstoffpreise stetig gestiegen. Im 20. Jahrhundert kamen das Telefon, das Radio und Fernsehen, das Auto, Flugzeug und der Halbleiter - und immer wieder kam es während all dieser technischen Revolutionen zu zeitweiligen, manchmal langjährigen Bullenmärkten auf dem Rohstoffsektor.

Selbst ein bahnbrechender Durchbruch in einem Bereich, der mit einem bestimmten Rohstoff in Verbindung steht, senkt nicht notwendig die Preise. Jahrzehntelang war das Bohren unter 1500 m oder vor Küste praktisch unmöglich. In den 1960er Jahren wurde der Hughes Diamantbohrer erfunden und eine Explosion der technischen Vorzüge und Erforschungen ausgelöst. Das Bohren wurde so effizient und es gab Zugang zu Ölvorräten, von denen man sich vorher nicht hätte träumen lassen. Bald gab es überall auf der Welt Ölquellen mit mehr als 7.500 m Tiefe und Bohrinseln vor der Küste. Dennoch sind die Ölpreise in der Phase zwischen 1965 und 1980 um 1.000 Prozent gestiegen. Wenn Angebot und Nachfrage von Rohmaterial ernsthaft aus dem Leim gehen, dann wird auch das Erscheinen einer neuen Technologie nicht notwendigerweise das Gleichgewicht so bald wieder herstellen.

Sicher, Änderungen in der Technik machen eine Wirtschaft weniger abhängig vom Öl. Aber immer noch verbrauchen wir sehr viel davon, und sobald nicht mehr genug davon da ist, werden die Preise steigen.

Sicher, Spekulanten, die bei Rohstoffen auf- oder abspringen, können die Preise nach oben treiben. Und der Dollar ist nur noch ein Schatten seiner selbst - auch in diesem Jahr hat er per saldo gegenüber dem Euro wieder verloren. Da Rohstoffe in Dollar gehandelt werden, wird ein schwacher Dollar dazu führen, dass die Preise höher erscheinen, als sie sind. Rohöl ist z.B. 2002 bis 2004 in Dollar um 64% gestiegen, in Euro nur um 16%.

Aber auch als der Dollar zwischenzeitlich wieder stieg, passierte etwas Lustiges. Die Preise für Rohstoffe stiegen auch weiterhin an. Die weltweite Erholung wurde - besonders in Asien - Wirklichkeit. Wir können heute eine signifikante strukturelle Verschiebung auf dem Rohstoffmarkt beobachten. Die Stichworte sind "Angebot" und "China". Dieses Land wird auch in den nächsten Jahren noch außergewöhnliche Mengen von Rohstoffen aller Art verbrauchen.

Ich will Sie auch an die 70er Jahre erinnern, als die Inflation in den USA bei ungefähr zehn Prozent im Jahr lag. Die Kaufkraft des Dollars war weit entfernt von dem, was sie einmal war, die Wirtschaft befand sich in einer großen Rezession und die Preise für Rohstoffe stiegen auch weiterhin an. Es geht hier um einen anderen langfristigen Bullenmarkt im Rohstoffbereich und weder Spekulanten noch der Dollar können so etwas ermöglichen. Spekulanten können nur einen kurzfristigen Effekt erwirken. Der Markt ist größer als der Dollar oder die Spekulanten.

Vielleicht wollen sie jetzt sagen: "Aber mein Aktienbroker hat mir doch gesagt, dass das Investieren in Rohstoffe riskant ist."

Wie war das noch einmal mit diesen Cisco Anteilen, die Sie 2000 besaßen? Oder JDS Uniphase oder Global Crossing? So viele riskante Anlagen führten dazu, dass der Beginn des neuen Millenniums für viele keine so glückliche Zeit war, als sie zusehen mussten, wie sich ihre Portfolios in Luft auflösten.

Wenn sie ihre Hausaufgaben machen und vernünftig und verantwortungsbewusst bleiben, dann können Sie vielleicht mit weniger Risiko in Rohstoffe investieren, als wenn sie am Aktienmarkt mitspielten. Ich muss Sie nicht daran erinnern, dass jedes Investieren ein Risiko birgt. Lassen Sie mich aber auf etwas hinweisen, was sie vielleicht noch nicht bemerkt haben. Es gab in den letzten Jahren mehr Sprunghaftigkeit im NASDAQ als auf irgendeinem Rohstoffindex. Verglichen mit den Risiken der meisten Technologieaktien, machen die Rohstoffe einen so sicheren Eindruck, dass sie in keinem "Witwen und Waisen Fond" eines Unternehmens fehlen sollten.

Und wie sieht es damit aus, Anteile von Firmen zu kaufen, die Rohstoffe herstellen, anstelle die Rohstoffe selbst zu kaufen? Das ist für viele Finanzberater der letzte Punkt, bis zu dem sie zu gehen bereit sind. Aber hier zu investieren kann sich als noch riskantere Wette herausstellen, als die Dinge selbst zu kaufen. Angebot und Nachfrage werden die Preise von Kupfer bewegen, während die Anteile von Phelbs Dodge, dem weltweit größten Kupferhändler, von wesentlich schwerer vorhersehbaren Faktoren abhängen können. Darunter fällt der allgemeine Zustand des Aktienmarktes, der Bilanzbogen der Firma und ihre Führungsetage, Probleme mit der Arbeit, Umweltthemen und so weiter.

Die Ölpreise sind in den 70ern in den Himmel gestiegen, aber einige Ölaktien sind es nicht. Eine Studie aus Yale fand heraus, dass die Investition in Rohstofffirmen nicht notwendig einen Ersatz für die Investition in Rohstoff-Futures darstellt. Die Autoren fanden heraus, dass von 1962 bis 2003 "die kumulierte Performance von Futures die Gesamtwertentwicklung von 'passenden' Stammaktien um das Dreifache übertraf.

Und ich will sie an einen weiteren wichtigen Unterschied zwischen Rohstoffen und Aktien erinnern: Rohstoffe können nicht auf Null fallen, so wie es die Anteile von Enron können (und auch taten)!


© Jim Rogers
Quelle: Auszug aus dem kostenlosen Newsletters "Investor´s Daily"





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